Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jürgen Wasim Frembgen: Magie und Ekstase

Jürgen Wasim Frembgen öffnet den Blick für die innere Vielfalt des Islam und zeigt Formen der „in indigenen Traditionen wurzelnden gefühlsbetonten Religiosität“ von muslimischen Gläubigen auf. In ihnen bestehen „Freiräume für Frauen und soziale Außenseiter“. Der Autor stellt Erfahrungsräume der Spiritualität vor, die neben dem „von Männern dominierten normativen Islam“ Wirklichkeit sind.

Frembgen sieht die indigene Praxis der Devotion, Magie und Geisterwelt als ein wesentliches Moment des Frömmigkeitserlebens im Islam an: „Ob jemand in einem Heiligenschrein Fürsprache bei Gott sucht oder ausschließlich in einer Moschee betet, ihrem gemeinsamen Glauben entspringt das Bedürfnis nach Heil, Sinn und Ordnung im Leben.“ Der indigen kolorierte Islam betont die Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Zwar besteht die Vorstellung von Gott als strafendem Richter, allerdings in geringem Maße. Frembgen verweist auf den „Erhabenen“, der als „rahman“, d. h. als Barmherziger oder Mitfühlender, verehrt werde. Der arabische Begriff führt zu dem Wort „rahim“, das Gebärmutter bedeutet, so dass Gott als der Helfende, der sich um jeden Menschen sorgt, vorgestellt wird. Liebevolle Fürsorge und menschenfreundliche Emotionalität werden wertgeschätzt und geachtet.

Im Sufi-Islam sind charismatische spirituelle Vorbilder gegenwärtig, die als Heilige bezeichnet werden, verstanden als Freunde Gottes und als „Brückenpfeiler zum Göttlichen“. Die muslimische Heiligenverehrung ist zudem „frauenfreundlich“, weil sich die Frauen, die die Heiligen lobpreisen, am Schrein die Möglichkeit zu einem zeitweiligen Rückzug von der hohen Beanspruchung im häuslichen Umfeld finden. Es bestehen hybride Heiligenkulte im indigenen Islam, in denen Islamisches mit dem Christentum, dem Hinduismus und der Sikh-Religion verknüpft wird. Frembgen nennt Beispiele und beschreibt die Atmosphäre positiv: „An solchen Schreinen, die sich durch Inklusivität auszeichnen, begegnen sich Anhänger unterschiedlicher Religionen; Symbole und vielfach auch Riten werden miteinander geteilt.“ Religiöse Menschen begegnen einander hier in Sympathie, erfahren den Glauben der anderen als eine Bereicherung, die auf diese Weise erlebt und mitgelebt werden kann.

Mystische Erfahrungen äußern sich in Ergriffenheit, in religiöser Ekstase und Trance. Menschen aus dem Westen reagieren darauf oft mit Vorbehalten. Diese Formen der Innerlichkeit und Spiritualität werden in der muslimischen Welt zumeist nicht als negativ beurteilt: „Der Mensch wird ergriffen, scheint mit dem Göttlichen zu verschmelzen und sich mit ihm zu vereinigen.“ Die religiöse Wirklichkeit bemächtigt sich auf gewisse Weise eines Menschen, und dies gewinnt einen bestimmten Ausdruck, ob in einem Tanz, in Trance oder in ekstatischen Zuständen. Indessen werden mancherorts „Sakraldrogen“ verwendet – genannt sind Haschisch und Opium –, um die „Pforten der Wahrnehmung“ für eine „tiefere Erkenntnis des Numinosen“ zu öffnen. Dass insbesondere hier – neben einer möglichen Schädigung der Gesundheit der Einzelnen – die Möglichkeit der Machtausübung und des Machtmissbrauchs durch die Personen besteht, die als spirituelle Meister auftreten und Drogen zu kultischen Zwecken billigen oder sogar verabreichen, wird nicht diskutiert. Die Kritik aus dem orthodoxen Islam gegenüber bestimmten indigenen Traditionen, die nicht näher vorgestellt wird, mag also durchaus begründet sein.

In diesem Buch stellt der Jürgen Wasim Frembgen facettenreiche Rituale aus dem islamischen Raum vor, die phänomenologisch wahrgenommen und historisch betrachtet werden. Der Autor spricht diesen Riten der Volksfrömmigkeit eine integrative Kraft zu, die das „Gemeinschaftsgefühl der Menschen“ stärke und den „Raum für Lebensfreude“ öffne.

Leserinnen und Leser können sich in diesem Buch mit dem Reichtum von mystischen wie magischen Kult- und Kulturformen des Islam vertraut machen. Zugleich wird die eine oder der andere bei der Lektüre erwägen, dass ein kritisch-reflektiertes Nachdenken über manche der hier geschilderten Frömmigkeitspraktiken sich als notwendig, sinnvoll und vernünftig erweisen könnte.

Kleine Kulturgeschichte des unbekannten Islam
Freiburg: Herder Verlag. 2022
160 Seiten m. s-w Abb.
16,00 €
ISBN 978-3-451-39416-4

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