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Julian Nida-Rümelin / Klaus Zierer: Demokratie in die Köpfe. Warum sich unsere Zukunft in den Schulen entscheidet
Bei der Landtagswahl in Bayern erreichten CSU (37%) und Freie Wähler (15,8%) wieder eine Mehrheit, die AfD gelangte mit 14,6%, die Grünen mit 14,4% und die SPD mit 8,4% in den Landtag. Die Wähler mit hohem Bildungsabschluss hätten die Regierung Söder/Aiwanger hingegen abgewählt (31+11%) und der AfD ein Drittel weniger Stimmen gegeben, dafür den Grünen 27 und der SPD 9 Prozent. Es liegt dem hier anzuzeigenden Werk zwar fern, seine nach separaten Vorworten miteinander verbundenen demokratie- und bildungstheoretischen Texte parteipolitisch oder auf formale Bildungsabschlüsse zu fokussieren, doch den grassierenden Populismus verstehen sie als Gefahr für die Rationalität der liberalen Demokratie. Ihr Haupttitel mag etwas nach „Nürnberger Trichter“ klingen, doch ihr Plädoyer für mehr Persönlichkeits- und politische Bildung hat hohe Plausibilität.
Demokratie realisiere sich entgegen einem „gefährlichen Irrtum“ nicht schon dann, „wenn sich die jeweilige Mehrheitsmeinung durchsetzt“, sondern sei als „Form kollektiver Selbstbestimmung“ zugleich „Prozess und Ergebnis“, „Lebensform, die sich dynamisch entwickelt“. International falle auf: Ein niedriges Bildungsniveau gehe mit geringer Wahlbeteiligung einher und mache Menschen „gerade in Krisenzeiten zum Spielball von Demagogen“. Dabei gerieten die drei Säulen der Demokratie: „individuelle Freiheitsrechte, institutionalisierte Solidarität und eine Zivilkultur des Respekts und der Anerkennung“ unter Druck. Die für moderne Demokratien konstitutive Verbindung von Freiheit und Gleichheit werde von fünf Strömungen ideologisch attackiert: „Die Libertären akzeptieren nur die Freiheit, die Kommunisten nur Gleichheit, die Non-Egalitären wollen Freiheit und Gleichheit durch Solidarität ersetzen, die Multikulturalisten verabschieden die humanistischen Grundlagen der Demokratie in Gestalt eines pluralistischen Kollektivismus und die Identitären in Gestalt eines monistischen Kollektivismus“.
Grenzen zeigen die Autoren auch Kommunitaristen auf, deren legitimes Anliegen, den Zusammenhalt zu stärken, nicht in Konflikt zur Freiheitlichkeit, zur „wechselseitigen Anerkennung autonomer Lebensgestaltung“ bringen dürfe. Andererseits wird auch der „kulturelle Minimalismus liberaler politischer Theorie“ zurückgewiesen zugunsten der Annahme eines „kulturellen Fundaments“ und „normativen Konsenses“ der Demokratie, der mehr sei als bloßer „Verfassungspatriotismus“. Von linker und liberaler Kritik am „Leitkultur“-Begriff distanzieren sich die Autoren hier vorsichtig, binden diesen aber an „humanistische Wertorientierungen“. Säkularisierung als „Bedingung demokratischen Friedens“ dürfe nicht mit der Bekämpfung von Religionen und mit atheistischer Indoktrination verwechselt werden.
Weniger austariert ist die Kritik: „Pessimistische Anthropologien sind antidemokratisch“; Menschen sind vielmehr empathiefähig, kooperativ und „auch ohne eigene Vorteile zu erwarten, hilfsbereit und rücksichtsvoll“. Zu optimistische Anthropologien führten schon in Diktatur – deshalb ja die Gewaltenteilung, eine Frucht anthropologischer Skepsis.
Mit Jürgen Habermas betrachten die Autoren „Soziale Medien“ als „Zäsur, vergleichbar mit der Einführung des Buchdruckes“, mit „möglicherweise auch disruptiven Auswirkungen“. Durch Analyse und Programmierung von Nutzerpräferenzen bestimme nicht die Vielfalt an Meinungen den Diskurs, „sondern die ewige Wiederkunft des Gleichen“ in Kommunikationsblasen. Dabei drohe Verrohung und Zerstörung der Debattenkultur. So sei es „ein verfassungsrechtliches Gebot, eine Medienstruktur aufrecht zu erhalten, die den inklusiven Charakter der Öffentlichkeit und den deliberativen Charakter der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung ermöglicht“ (Habermas). Gegenüber jahrzehntelangen strukturellen Fehlentwicklungen im Bildungswesen: Abwertung nichtakademischer Bildung, „dysfunktionale Digitalisierung jugendlicher Lebenswelten“, Rückgang der Buchlektüre, Fokus auf mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen, wirkt Nida-Rümelins Gewichtung der Pandemiepolitik überdimensioniert und mit dem Verdikt „Desaster“ irritierend scharf. Gerade das Bildungsideal würde doch sorgsame Abwägung mit anderen grundrechtlichen Schutzgütern und Sensibilität für Dilemmata einer Politik ohne Blaupause nahelegen?
Weniger klar positionieren die Autoren sich zu den Blockaden der „Last Generation“, deren Übergriffigkeit nur andeutungsweise im Kontext „Verletzung der Freiheit und Gleichheit aller Menschen“ erwähnt wird. Eindringlicher der Verweis auf die „hidden agenda“ von Antidemokraten. Das Ende der Weimarer Republik lehre Warnzeichen ernst zu nehmen, „die auf einen schrittweisen Zerfall der Demokratie hinweisen. Die politische Gegenwart ist leider geprägt durch solche Warnzeichen, und zwar in zunehmendem Maße“.
Stuttgart: Hirzel Verlag. 2023
197 Seiten
26,00 Euro
ISBN 978-3-7776-3372-5
Bei der Landtagswahl in Bayern erreichten CSU (37%) und Freie Wähler (15,8%) wieder eine Mehrheit, die AfD gelangte mit 14,6%, die Grünen mit 14,4% und die SPD mit 8,4% in den Landtag. Die Wähler mit hohem Bildungsabschluss hätten die Regierung Söder/Aiwanger hingegen abgewählt (31+11%) und der AfD ein Drittel weniger Stimmen gegeben, dafür den Grünen 27 und der SPD 9 Prozent. Es liegt dem hier anzuzeigenden Werk zwar fern, seine nach separaten Vorworten miteinander verbundenen demokratie- und bildungstheoretischen Texte parteipolitisch oder auf formale Bildungsabschlüsse zu fokussieren, doch den grassierenden Populismus verstehen sie als Gefahr für die Rationalität der liberalen Demokratie. Ihr Haupttitel mag etwas nach „Nürnberger Trichter“ klingen, doch ihr Plädoyer für mehr Persönlichkeits- und politische Bildung hat hohe Plausibilität.
Demokratie realisiere sich entgegen einem „gefährlichen Irrtum“ nicht schon dann, „wenn sich die jeweilige Mehrheitsmeinung durchsetzt“, sondern sei als „Form kollektiver Selbstbestimmung“ zugleich „Prozess und Ergebnis“, „Lebensform, die sich dynamisch entwickelt“. International falle auf: Ein niedriges Bildungsniveau gehe mit geringer Wahlbeteiligung einher und mache Menschen „gerade in Krisenzeiten zum Spielball von Demagogen“. Dabei gerieten die drei Säulen der Demokratie: „individuelle Freiheitsrechte, institutionalisierte Solidarität und eine Zivilkultur des Respekts und der Anerkennung“ unter Druck. Die für moderne Demokratien konstitutive Verbindung von Freiheit und Gleichheit werde von fünf Strömungen ideologisch attackiert: „Die Libertären akzeptieren nur die Freiheit, die Kommunisten nur Gleichheit, die Non-Egalitären wollen Freiheit und Gleichheit durch Solidarität ersetzen, die Multikulturalisten verabschieden die humanistischen Grundlagen der Demokratie in Gestalt eines pluralistischen Kollektivismus und die Identitären in Gestalt eines monistischen Kollektivismus“.
Grenzen zeigen die Autoren auch Kommunitaristen auf, deren legitimes Anliegen, den Zusammenhalt zu stärken, nicht in Konflikt zur Freiheitlichkeit, zur „wechselseitigen Anerkennung autonomer Lebensgestaltung“ bringen dürfe. Andererseits wird auch der „kulturelle Minimalismus liberaler politischer Theorie“ zurückgewiesen zugunsten der Annahme eines „kulturellen Fundaments“ und „normativen Konsenses“ der Demokratie, der mehr sei als bloßer „Verfassungspatriotismus“. Von linker und liberaler Kritik am „Leitkultur“-Begriff distanzieren sich die Autoren hier vorsichtig, binden diesen aber an „humanistische Wertorientierungen“. Säkularisierung als „Bedingung demokratischen Friedens“ dürfe nicht mit der Bekämpfung von Religionen und mit atheistischer Indoktrination verwechselt werden.
Weniger austariert ist die Kritik: „Pessimistische Anthropologien sind antidemokratisch“; Menschen sind vielmehr empathiefähig, kooperativ und „auch ohne eigene Vorteile zu erwarten, hilfsbereit und rücksichtsvoll“. Zu optimistische Anthropologien führten schon in Diktatur – deshalb ja die Gewaltenteilung, eine Frucht anthropologischer Skepsis.
Mit Jürgen Habermas betrachten die Autoren „Soziale Medien“ als „Zäsur, vergleichbar mit der Einführung des Buchdruckes“, mit „möglicherweise auch disruptiven Auswirkungen“. Durch Analyse und Programmierung von Nutzerpräferenzen bestimme nicht die Vielfalt an Meinungen den Diskurs, „sondern die ewige Wiederkunft des Gleichen“ in Kommunikationsblasen. Dabei drohe Verrohung und Zerstörung der Debattenkultur. So sei es „ein verfassungsrechtliches Gebot, eine Medienstruktur aufrecht zu erhalten, die den inklusiven Charakter der Öffentlichkeit und den deliberativen Charakter der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung ermöglicht“ (Habermas). Gegenüber jahrzehntelangen strukturellen Fehlentwicklungen im Bildungswesen: Abwertung nichtakademischer Bildung, „dysfunktionale Digitalisierung jugendlicher Lebenswelten“, Rückgang der Buchlektüre, Fokus auf mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen, wirkt Nida-Rümelins Gewichtung der Pandemiepolitik überdimensioniert und mit dem Verdikt „Desaster“ irritierend scharf. Gerade das Bildungsideal würde doch sorgsame Abwägung mit anderen grundrechtlichen Schutzgütern und Sensibilität für Dilemmata einer Politik ohne Blaupause nahelegen?
Weniger klar positionieren die Autoren sich zu den Blockaden der „Last Generation“, deren Übergriffigkeit nur andeutungsweise im Kontext „Verletzung der Freiheit und Gleichheit aller Menschen“ erwähnt wird. Eindringlicher der Verweis auf die „hidden agenda“ von Antidemokraten. Das Ende der Weimarer Republik lehre Warnzeichen ernst zu nehmen, „die auf einen schrittweisen Zerfall der Demokratie hinweisen. Die politische Gegenwart ist leider geprägt durch solche Warnzeichen, und zwar in zunehmendem Maße“.
Stuttgart: Hirzel Verlag. 2023
197 Seiten
26,00 Euro
ISBN 978-3-7776-3372-5
Bei der Landtagswahl in Bayern erreichten CSU (37%) und Freie Wähler (15,8%) wieder eine Mehrheit, die AfD gelangte mit 14,6%, die Grünen mit 14,4% und die SPD mit 8,4% in den Landtag. Die Wähler mit hohem Bildungsabschluss hätten die Regierung Söder/Aiwanger hingegen abgewählt (31+11%) und der AfD ein Drittel weniger Stimmen gegeben, dafür den Grünen 27 und der SPD 9 Prozent. Es liegt dem hier anzuzeigenden Werk zwar fern, seine nach separaten Vorworten miteinander verbundenen demokratie- und bildungstheoretischen Texte parteipolitisch oder auf formale Bildungsabschlüsse zu fokussieren, doch den grassierenden Populismus verstehen sie als Gefahr für die Rationalität der liberalen Demokratie. Ihr Haupttitel mag etwas nach „Nürnberger Trichter“ klingen, doch ihr Plädoyer für mehr Persönlichkeits- und politische Bildung hat hohe Plausibilität.
Demokratie realisiere sich entgegen einem „gefährlichen Irrtum“ nicht schon dann, „wenn sich die jeweilige Mehrheitsmeinung durchsetzt“, sondern sei als „Form kollektiver Selbstbestimmung“ zugleich „Prozess und Ergebnis“, „Lebensform, die sich dynamisch entwickelt“. International falle auf: Ein niedriges Bildungsniveau gehe mit geringer Wahlbeteiligung einher und mache Menschen „gerade in Krisenzeiten zum Spielball von Demagogen“. Dabei gerieten die drei Säulen der Demokratie: „individuelle Freiheitsrechte, institutionalisierte Solidarität und eine Zivilkultur des Respekts und der Anerkennung“ unter Druck. Die für moderne Demokratien konstitutive Verbindung von Freiheit und Gleichheit werde von fünf Strömungen ideologisch attackiert: „Die Libertären akzeptieren nur die Freiheit, die Kommunisten nur Gleichheit, die Non-Egalitären wollen Freiheit und Gleichheit durch Solidarität ersetzen, die Multikulturalisten verabschieden die humanistischen Grundlagen der Demokratie in Gestalt eines pluralistischen Kollektivismus und die Identitären in Gestalt eines monistischen Kollektivismus“.
Grenzen zeigen die Autoren auch Kommunitaristen auf, deren legitimes Anliegen, den Zusammenhalt zu stärken, nicht in Konflikt zur Freiheitlichkeit, zur „wechselseitigen Anerkennung autonomer Lebensgestaltung“ bringen dürfe. Andererseits wird auch der „kulturelle Minimalismus liberaler politischer Theorie“ zurückgewiesen zugunsten der Annahme eines „kulturellen Fundaments“ und „normativen Konsenses“ der Demokratie, der mehr sei als bloßer „Verfassungspatriotismus“. Von linker und liberaler Kritik am „Leitkultur“-Begriff distanzieren sich die Autoren hier vorsichtig, binden diesen aber an „humanistische Wertorientierungen“. Säkularisierung als „Bedingung demokratischen Friedens“ dürfe nicht mit der Bekämpfung von Religionen und mit atheistischer Indoktrination verwechselt werden.
Weniger austariert ist die Kritik: „Pessimistische Anthropologien sind antidemokratisch“; Menschen sind vielmehr empathiefähig, kooperativ und „auch ohne eigene Vorteile zu erwarten, hilfsbereit und rücksichtsvoll“. Zu optimistische Anthropologien führten schon in Diktatur – deshalb ja die Gewaltenteilung, eine Frucht anthropologischer Skepsis.
Mit Jürgen Habermas betrachten die Autoren „Soziale Medien“ als „Zäsur, vergleichbar mit der Einführung des Buchdruckes“, mit „möglicherweise auch disruptiven Auswirkungen“. Durch Analyse und Programmierung von Nutzerpräferenzen bestimme nicht die Vielfalt an Meinungen den Diskurs, „sondern die ewige Wiederkunft des Gleichen“ in Kommunikationsblasen. Dabei drohe Verrohung und Zerstörung der Debattenkultur. So sei es „ein verfassungsrechtliches Gebot, eine Medienstruktur aufrecht zu erhalten, die den inklusiven Charakter der Öffentlichkeit und den deliberativen Charakter der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung ermöglicht“ (Habermas). Gegenüber jahrzehntelangen strukturellen Fehlentwicklungen im Bildungswesen: Abwertung nichtakademischer Bildung, „dysfunktionale Digitalisierung jugendlicher Lebenswelten“, Rückgang der Buchlektüre, Fokus auf mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen, wirkt Nida-Rümelins Gewichtung der Pandemiepolitik überdimensioniert und mit dem Verdikt „Desaster“ irritierend scharf. Gerade das Bildungsideal würde doch sorgsame Abwägung mit anderen grundrechtlichen Schutzgütern und Sensibilität für Dilemmata einer Politik ohne Blaupause nahelegen?
Weniger klar positionieren die Autoren sich zu den Blockaden der „Last Generation“, deren Übergriffigkeit nur andeutungsweise im Kontext „Verletzung der Freiheit und Gleichheit aller Menschen“ erwähnt wird. Eindringlicher der Verweis auf die „hidden agenda“ von Antidemokraten. Das Ende der Weimarer Republik lehre Warnzeichen ernst zu nehmen, „die auf einen schrittweisen Zerfall der Demokratie hinweisen. Die politische Gegenwart ist leider geprägt durch solche Warnzeichen, und zwar in zunehmendem Maße“.
Stuttgart: Hirzel Verlag. 2023
197 Seiten
26,00 Euro
ISBN 978-3-7776-3372-5