Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Julian Nida-Rümelin / Nathalie Weidenfeld: Digitaler Humanismus

Zweifel und Hoffnung, Misstrauen und Euphorie, Zukunftsangst und Heilsversprechen – damit sind jene zwei Kehrseiten benannt, welche die Auseinandersetzungen um das Thema der Digitalisierung heute vielfach prägen. Im aktuellen Diskurs begegnen also Positionen, die sich oftmals als Extreme, d.h. entweder als apokalyptische Sorge oder uneingeschränkte Zusage, entpuppen und damit der Komplexität des gegenwärtigen Wandels kaum gerecht werden. Ausgehend von dieser Beobachtung haben es sich daher Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld zu ihrem Anliegen gemacht, auf Grundlage eines Dialogs zwischen moderner Popkultur und philosophischer Reflexion einen Gegenentwurf vorzulegen, den sie als „Digitalen Humanismus“ bezeichnen.

Was aber verbirgt sich hinter dem Begriff? Zunächst geht es den beiden Autoren um einen Zugang, der gerade kein Extrem darstellt, sondern sowohl die Licht- als auch Schattenseiten des digitalen Wandels wahrnimmt und deshalb differenziertere Urteile anbieten möchte, als dies in vielen Debatten bislang üblich ist. Konkret bedeutet dies, technische Errungenschaften einerseits anzuerkennen, sofern sie das menschliche Leben reichhaltiger machen. Andererseits ist dort Skepsis angebracht, wo die Grenze zwischen Mensch und Roboter ausgeblendet bleibt oder gar überwunden werden will. Das Buch stützt sich mit anderen Worten auf eine Anthropologie, die den Menschen mit seinen kognitiven, emotionalen wie ethischen Potentialen in den Fokus rückt und zugleich um seine Limitationen weiß und diese in weiterer Konsequenz achten will.

Diese Bestimmung markiert für Nida-Rümelin und Weidenfeld auch den kategorialen Unterschied zwischen Mensch und Maschine, den sie unter verschiedenen Gesichts­punkten immer wieder thematisieren. So widmet sich ein Großteil der 20 Kapitel etwa Fragen wie: Sind Menschen determiniert? Kommt Robotern ein spezieller Status zu? Können Maschinen fühlen? Können sie denken? Agieren sie moralisch? Ausgehend von entsprechenden Klärungen greifen die Autoren schließlich weitere Themenfelder auf: Wie steht es um die Kommunikation zwischen Bot und Mensch? Muss der Zugang zum Internet allen Menschen zur Verfügung stehen? Was kann digitale Bildung bedeuten? Liegt die Zukunft der Politik in der Liquid Democracy? Was wird aus der Industrie 4.0?

Letztlich wird mit diesen Kapiteln vor allem auf eine Einsicht gezielt: Maschinen sind keine Menschen. Zwar ist eine Simulation von menschlichem Empfinden, Denken und (moralischem) Handeln möglich, gleichsam beruht diese aber stets auf Algorithmen. Oder anders formuliert: Roboter, KIs usw. haben keine Gefühle und handeln nicht nach eigenen Gründen, sondern basieren auf Programmierungen. Der Mensch verhält sich im Gegensatz dazu gerade nicht nach solchen vordefinierten Eingaben, sondern bleibt aufgrund seiner Freiheit stets empfindender wie denkender Akteur, der moralische Entscheidungen treffen kann und diese daher im Letzten zu verantworten hat.

Trotz der Fülle an philosophischen Problemkreisen, die sich mit der Frage nach der Digitalisierung verbinden, gelingt es den Autoren, einen kurzweiligen Überblick über die aktuelle Debatte zu liefern. Fachwissen wird einem breiten Publikum zur Verfügung gestellt, obgleich dies an der einen oder anderen Stelle (leider) mit Verkürzungen einhergeht. Wohl aufgrund des knappen Umfangs des Buchs und der von Anfang an transparent entfalteten Positionierung der Autoren werden sorgfältige Abwägungen eher vernachlässigt und dadurch Pro- und Contra-Argumente (z.B. mit Hinblick auf die Bewertung der Willensfreiheit oder des Konsequentialismus) einseitiger dargestellt, als sie zuweilen im philosophischen Fachdiskurs eingebracht und diskutiert werden.

Die Entscheidung für ein solches Vorgehen hat vermutlich mit der Zielgruppe des Buches zu tun. Dementsprechend scheinen die Autoren vor allem Personen im Blick zu haben, die sich etwa aufgrund persönlicher Interessen oder beruflicher Tätigkeit einen ersten Eindruck über die Thematik verschaffen wollen. Dieses Anliegen wird durch etliche Verweise auf ausgewählte Filme der letzten Jahrzehnte sowie auf historische Ereignisse, relevante Studienergebnisse und Praxisbeispiele unterstützt, mit denen nicht nur die einzelnen Kapitel eingeleitet, sondern die unterschiedlichen Themen veranschaulicht und in einen größeren Kontext eingebettet werden. Für Menschen, die sich etwa im Kontext von Pastoral oder Unterricht mit diesen Themen befassen, stellen diese praktischen Impulse überdies eine echte Fundgrube dar, die die methodische Erarbeitung und lebensweltliche Einordnung erleichtern kann. Die bewusste Abkehr von – mitunter stark religiös aufgeladenen – Extremen lohnt eine Lektüre gerade aus theologischer Perspektive und lädt zu weiteren Vertiefungen in Theorie wie Praxis ein.

Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz
München: Piper Verlag. 32018
220 Seiten m. s-w Abb.
24,00 €
ISBN 978-3-492-05837-7

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