Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Karlheinz Ruhstorfer (Hg.): Christologie

 

Mit vorliegendem Buch möchte der Herausgeber „eine gleichermaßen aktuelle und fundierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Person Jesu von Nazareth auf einem ersten Reflexionsniveau“ (12) bieten. Diese Vorgabe haben die Autoren des Bandes eingelöst. Sinnvollerweise hält sich auch diese „Christologie“ an die vielfach bewährte Aufteilung in zwei biblische Teile sowie einen historischen und einen systematischen Teil.

Oliver Dyma geht den messianischen Erwartungen im Alten Testament nach (15-68). Als besondere Ausdrucksformen für Israels Hoffnung auf die Durchsetzung der Königsherrschaft Gottes können sie innergeschichtlich oder eschatologisch gedacht werden (15). Grundgelegt sind sie in der Königstheologie und -ideologie im Bannkreis der davidischen Dynastie, deren faktischer Untergang Hoffnungen auf ihre Wiedererrichtung freisetzte. Neben den einschlägigen Texten aus dem Psalter, der Geschichts-, Propheten- und weisheitlich-apokalyptischen Literatur kommen auch nachalttestamentliche Entwicklungen in den Blick, die in der Summe die Vielfalt messianischer Heilserwartungen gut veranschaulichen helfen.

Den neutestamentlichen Befund „Von der Verkündigung Jesu zum verkündigten Christus“ (69-140) zeichnet Stefan Schreiber nach (in Anlehnung an seine jüngere Monographie: „Die Anfänge der Christologie. Deutungen Jesu im Neuen Testament“, 2015). Die breite Spektralität frühjüdisch-messianischer Erwartungen setzt sich in der christologischen Reflexion neutestamentlicher Schriften fort. Als Determinanten der frühen, in Formeln und Titeln gefassten Christuskerygmatik werden das apokalyptische Weltbild ebenso berücksichtigt wie die Konkurrenzbildung gegenüber den heidnischen Göttern und römischen Kaisern. Als grundlegendes theologisches Modell hebt Schreiber das der „Repräsentanz“ hervor. Dieses erkennt in Jesus Christus noch kein göttliches Wesen im ontologischen Sinn, sondern sieht in ihm den Gott Israels wirkend und sich offenbarend (81). Auch wenn ein messianischer Anspruch des historischen Jesus aus den Evangelien nicht zu erkennen ist (85), bezeugen zahlreiche Texte des NT eine Kontinuität zwischen vorösterlichem Jesus und nachösterlichem Christus (90). So wird die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu in den frühen Christologien in die Überzeugung von der Erhöhung und endzeitlichen Herrschaft des auferstandenen Christus transponiert. Ein in der gegenwärtigen Diskussion offener Streitpunkt ist die „divine Christology“ (100) mit der Frage, wie Paulus die „Gottheit“ Jesu bestimmt. Richtgrößen im Diskurs sind die Aussagen des Philipperhymnus, die liturgische Verehrung Jesu, die Vorstellungen des „Jewish relational monotheism“ und zeitgenössische Herrscher-Titel. Ein Durchgang durch die neutestamentlichen Schriften zeigt im Ganzen, dass es nicht möglich ist, eine genealogisch lineare Lehrbildung von einer einfachen zu einer „hohen“ Christologie zu rekonstruieren (137). Erst die verstärkte Einwirkung philosophischer Kategorien verleiht ihr einen entscheidenden Entwicklungsschritt.

Diesem geht Roland Kany in seiner Darstellung der „Christologie im antiken Christentum“ (141-213) überblicksartig nach. Fundamental und erhellend sind die einleitenden Überlegungen zur vielfach geäußerten Hypothese einer mutmaßlichen Diastase zwischen biblisch-heilsgeschichtlichem und philosophisch-ontologischem Denken (146-149). Die Tatsache, dass schon die Septuaginta und das NT von griechischem Denken weithin durchdrungen sind, sollte zur Zurückhaltung mahnen. Die nachfolgende Skizze bedeutender antiker Einträge in die christologische Debatte und Lehrbildung bis hin zum Konzil von Chalcedon bietet profundes Wissen auf knappem Raum.

Vom Herausgeber verantwortet ist der abschließende Teil „Von der Geschichte der Christologie zur Christologie der Geschichte“ (215-377). Gleich zu Beginn markiert Ruhstorfer die sich aus dem Inkarnationsgedanken ergebende „radikal geschichtliche Dimension“ (215) als wesentliches Merkmal des christlichen Glaubens und der Kirche „als Gemeinschaft selbstbewusster Individuen“ (215). Die im Weiteren wahlweise vorgestellten Entwicklungsschritte vom Mittelalter bis in die Postmoderne versteht er als Paradigma einer kulturgeschichtlich universalen Dynamik, die er in der „offene[n] und plurale[n] Dialektik von Logos und Sarx“ (13) angelegt sieht. Er verfolgt unverkennbar die Intention, die Christologie in ihrer vielfältigen Genese nicht bloß binnenkirchlich zu situieren und zu deuten, sondern das Ringen um die Einheit von Gott und Mensch in der Person Jesu Christi als Impetus für vielfältige Entgrenzungsprozesse wahrzunehmen. Insbesondere die von Ruhstorfer vermessene „tele-semeio-logische Christologie der Postmoderne“ mit Jacques Derrida und Roger Haight als Stimmführern regt zum Nach- und Weiterdenken an. Ob diese zu den Kirchenvätern der Zukunft gehören werden, wird sich erweisen müssen.

Paderborn: Schöningh Verlag. 2018
391 Seiten m. s-w Abb.
29,99 €
ISBN 978-3-8252-4942-7

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