Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Kathrin Müller: Das Kreuz. Eine Objektgeschichte des bekannten Symbols von der Spätantike bis zur Neuzeit

In unseren alltäglichen Zusammenhängen erscheint das Kreuz zunächst als Wort und (Bild-)Objekt unproblematisch. Redewendungen wie: „Es ist ein Kreuz mit …“ oder: „XY trägt ein schweres Kreuz“ gehen uns leicht über die Lippen oder man nehme die Tatsache, dass die Ex-Kanzlerin ein „Groß-Kreuz“ als Orden verliehen bekam: Das Phänomen Kreuz regt in diesen Kontexten kaum zu einem strittigen Diskurs an. Es gibt jedoch Lebenszusammenhänge in Gesellschaft und Politik, in denen reale Spannungen zutage treten, etwa dann, wenn man realisiert, dass im Blick auf transnationale humanitäre Hilfeleistungen islamische Länder unter dem Titel „Roter Halbmond“ und Israel entsprechend unter dem „roten Davidstern“ statt unter dem Titel „Rotes Kreuz“ firmieren… Heftiges Konfliktpotential um das Kreuz als spezifisch christliches Sinnzeichen offenbart sich aber dann, wenn z.B. das deutsche Außenministerium jüngst anlässlich einer internationalen Konferenz im Münsteraner Friedenssaal ein altehrwürdiges Kreuz abhängen lässt.

Die Professorin für Bildkulturen des Mittelalters an der Humboldt-Universität Berlin hat nun eine höchst beachtliche Kunst- und Kulturgeschichte des allgegenwärtigen und zugleich komplexen, ja oft schwer verständlichen Symbols vorgelegt. In dieser bildgeschichtlichen Darstellung versteht sie es, die verschlungenen und ambivalenten Wege des Kreuzverständnisses herauszusezieren.

Das alles entscheidende Grundproblem in christlicher Frühzeit stellte dar: Der Tod am Kreuz war aus der Perspektive der römischen Besatzungsmacht eine grausame, vor allem aber eine bewusst herabwürdigende politisch-öffentlichkeitswirksame Folter- und Todesstrafe; aus der Sicht des alttestamentlichen Judentums war der am „Holzpfahl Hängende“ zudem ein explizit „von Gott Verfluchter“ (Dt 21, 22 f). Wie konnte es dann dazu kommen, dass aus dem schmachvollen Folter- und Hinrichtungsinstrument ein hoffnungsvolles Heils-, ja Triumph-Zeichen, dass aus einem zunächst offensichtlich verbrecherischen, gottfernen Gescheiterten ein Erlöser werden konnte?

Entscheidend für diese paradoxe Volte ist zunächst auf der Ebene der neutestamentlichen Kreuzestheologie, dass Jesus den Tod am Kreuz als Opfertod für die „gottlosen Sünder“ (Röm 5,6) freiwillig übernahm und damit das gestörte Mensch-Gott-Verhältnis mit einem Blut-/Bundesopfer versöhnte. So wird aus dem Signum des Fluches eines des Heils und Paulus interpretiert diese Paradoxie des Kreuzes als göttliche Provokation: Die Plausibilitätsstrukturen der Juden („Zeichen“) und der Griechen („Weisheit“) konterkariert die Kreuzesbotschaft: Vermeintliche Stärke und versöhnende Schwäche verkehren sich und läuten eine neue Weltordnung, den Beginn einer neuen Zeit ein. Das Kreuzzeichen begann so seinen Weg in den frühen Zeiten zunächst in kleinen Gesten wie dem Bekreuzigen der Stirn beim Taufritus und fand schließlich seinen großen Durchbruch mit dem Sieg Konstantins des Großen in der Schlacht an der Milvischen Brücke sowie mit der Inthronisation des Christentums als Staatsreligion. Dieser Vorgang offenbart jedoch die Schattenseite der militärisch-politischen Instrumentalisierung des Kreuzsymbols, später in den gewaltförmigen Kreuzzügen und in der Judenverfolgung. Weitere Auswüchse in späterer Zeit veranschaulicht die Autorin etwa am Beispiel des Reformators Luther: Die Kreuzzüge, aber auch deren zivile Form wie die private Pilgerreise ins Heilige Land waren mit skurrilen Ablassversprechen verbunden; selbst das rituelle Abschreiten von Kreuzwegen mit ihren Skulpturen/Bildstöcken in heimatlichen Gefilden waren Medien des Sündenstrafen-Erlasses. Diese Formen des Ablasshandels wurden von der Reformation auf dem Hintergrund der Sola-gratia-Lehre als Pervertierung des Rechtfertigungsgedankens strikt abgelehnt.

Die Autorin beendet ihren beeindruckenden objektgeschichtlichen Bilder-Bogen in unserer Jetztzeit mit Blick auf aktuelle Kreuzesdebatten, exemplarisch werden beleuchtet: das konfliktscheue Ablegen der Kreuz-Anhängerketten der deutschen Bischöfe Marx und Bedford-Strohm auf dem Tempelberg/Al-Aksa-Moschee in Jerusalem auf Aufforderung islamischer Geistlichkeit (anno 2016), die Querelen um bayerische Behördenkreuze (anno 2019) und die Streitigkeiten um das Kuppelkreuz auf dem Humboldt-Forum/Berlin (anno 2020).

Für die an der Materie Interessierten lässt das reich bebilderte Opus magnum kaum Wünsche offen; lediglich hätte man noch einen Blick auf aktuelle Kreuzesbilder der Gegenwartskunst richten können, die nicht selten gesellschafts- und kirchenkritisches Potential transportieren, um zu zeigen, dass eine Kreuzesdebatte auch unter heutigen Künstlern ernsthaft geführt wird. Trotzdem gehört diese hilfreiche Publikation in die Hände der Religionslehrenden, denn die detailgetreu abgedruckten Bildwerke des zentralen christlichen Symbols quer durch die Jahrhunderte werden mit präzisen Bildbeschreibungen und -interpretationen versehen und sind damit unterrichtspraktisch bestens zu vermitteln.

Freiburg: Herder Verlag. 2022
320 Seiten m. farb. Abb.
35,00 Euro
ISBN 978-3-451-38713-5

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