Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Klaus W. Hälbig: Die Tür zur Gottesschau

Klaus W. Hälbig entwirft um Michael Triegels Augustinus-Retabel eine theologische Summe des trinitarischen Schöpfungs- und Erlösungswerkes – vergegenwärtigt in der Feier der Liturgie der Kirche. In der Liturgie wird Zeit transparent auf Ewigkeit, Geschichte auf das Heilshandeln Gottes. Sie ist jener Resonanzraum, in der das Wort Gottes das Herz der Menschen erreicht, weil sie im Heiligen Spiel die Vernunft über sich hinaus in eine symbolisch vermittelte Anschauung Gottes führt, in der u.a. das Andachtsbild seinen unverzichtbaren Ort hat. Irdische Liturgie als Abbild kosmischer Ordnung und Vergegenwärtigung der Erlösung aller Menschen durch den Abstieg Gottes in unser Fleisch, um unser Fleisch zu Gott zu erhöhen in Menschwerdung, Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi – Hälbig stützt sich dabei auf Josef Ratzingers „Der Geist der Liturgie“ in ihrer Inspiration durch den Kirchenvater Augustinus.

Dessen Leben und Werk wird in einem zweiten Teil skizziert werden, um in einer Vorstellung des Künstlers Michael Triegel zu münden und dessen Weg zum Glauben vorzustellen. Danach umgibt Hälbig jede Tafel des Retabels mit einem Kranz aus Schriftverweisen, Zitationen aus den Kirchenvätern, vornehmlich Augustins, anderer Theologen, kabbalistischer Zahlensymbolik und webt so einen dichten Teppich an Allegorien, um das wiedererstehen zu lassen, was er verloren gegangen glaubt: dass Schöpfung und Schrift, Theologie und Liturgie, Universalität und Individualität, Welt- und Heilsgeschichte, Glauben und Leben, Kirche und Welt zusammengeschaut und als zusammengehörig erlebt werden im christlichen Kult. Im künstlerischen Werk Triegels sieht er die gelungene Restitution eines zeitgenössischen christlichen Andachtsbildes.

Es bereitet bis zur Hälfte des Buches ein großes ästhetisches Vergnügen, sich Geist und Sinne derart weiten zu lassen, dass alles mit allem in Beziehung steht und sich in der Gottesschau, im Glauben an Gott, vollendet. Nach der Hälfte packt den Leser aber eine Müdigkeit, die allegorisch stehen mag für die Crux dieser Art eines allumfassenden allegorischen Systems: Es kommt derart bedeutungsschwanger daher, dass es unter der Last seiner eigenen Bedeutsamkeit kollabiert. Die spätmittelalterliche Frömmigkeit ist nicht zuletzt daran zugrunde gegangen, dass sie den allegorischen Bogen überspannte. Die Weite des Denkens, Fühlens und Glaubens, die dieses System beim ersten Lesen nach innen hin, liturgisch vermittelt, aufmacht, bezahlt sie nach außen hin mit scharfer Abgrenzung und schablonenhaftem Urteil. Hälbig setzt sich hart ab zum Liturgieverständnis des Protestantismus, ohne dessen geschichtliche Ursachen zu würdigen, und lässt am Weg der Kunst an der Schwelle zum 20. Jh. kein gutes Haar – „...eine areligiöse und atheistische Kunst [produziert] bei allem Pathos der Kunstfreiheit und Autonomie letztlich bloß Artefakte, die zu keiner ‚goldenen Reife‘ finden und niemandes Herz mehr trösten“ (112) –, ohne zu sehen, dass aus der Schwäche des Christentums und kirchlicher Verkündigung Künstler mit ihrer Kunst gerade deshalb die Religion zu beerben dachten, weil nur noch die Kunst könne, was dem Glauben misslinge, das Leben zu deuten, Bedeutsamkeit zu stiften. Die Restauration der Allegorie wird so zur Problemanzeige.

Auf die unzähligen Brüche menschlicher Geschichte antwortet Gott im Zerbrechen seines Sohnes am Kreuz. Die Brüche bleiben, gebrochen gibt es Hoffnung durch den Gekreuzigt-Auferstandenen. Wie müsste eine Liturgie aussehen, die dies heute feierte? Wie müsste ein Andachtsbild aussehen, das dies heute zur Anschauung brächte? Hälbigs Verdienst ist es, diese Fragen zu schärfen und Liturgie und Kunst zur Andacht vor Verflachung und Simplifizierung bewahren zu wollen. Seine Lösung bringt eher eine Verschärfung des Problems.

 

Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag. 2015

249 Seiten m. einer farb. Abb.

29,99 €

ISBN 978-3-89680-898-1

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