Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Konfuzius: Gespräche. Neu übersetzt und kommentiert von Hans van Ess

Hans van Ess, Professor für Sinologie an der LMU München, legt mit diesem Buch eine Neuübersetzung des am zweithäufigsten übersetzten chinesischen Buches vor: der „Gespräche“ (Lunyu) des Konfuzius. Eine solche sei aus mehreren Gründen geboten: Zum einen seien die Übersetzer „bis zum 2. Weltkrieg fast durchweg christliche Missionare“ gewesen, weshalb damit eine – nicht zutreffende – „christliche, zum Teil humanistische Begrifflichkeit“ bis in die heutige Zeit vorherrsche. Zum anderen lieferten die neueren Übersetzungen „fast ausnahmslos keine wirklich neuen Erkenntnisse“, sondern spiegelten vielmehr die „persönlichen Vorlieben der Übersetzer“ wider. Überdies sei Lunyu – entgegen der bisherigen Annahme – kein „aus weitgehend unzusammenhängenden Sentenzen“ bestehendes Werk, sondern bis ins kleinste Detail durchkomponiert; es handele sich um ein  „Propädeutikum“ bzw. einen „Schulbuchtext“ zur „Einführung in die kulturellen Grundlagen“, „thematisch und chronologisch geordnet“ in Auseinandersetzung der verschiedenen konfuzianischen Schulen; es bestehe aus Aufzeichnungen bzw. Mitschriften von Schülern, aber auch stilistisch anders gestalteten Stellen, die vermutlich später entstanden sind.

Van Ess bettet die einzelnen Sprüche vorrangig in den historischen Hintergrund ein und gleicht sie mit der Darstellung von geschichtlichen Ereignissen und in Chroniken genannten Personen ab. Er gibt den einzelnen Kapiteln Überschriften, die nach Inhalten wie Lernen, Lehrer, Regierung, Umgang miteinander oder nach Personen wie einzelnen Schülern – von unterschiedlichem Alter und unterschiedlicher gesellschaftlicher Stellung bzw. Intelligenz – oder Würdenträgern benannt werden.

Ebenfalls in Abgrenzung zur herkömmlichen Lesart konstatiert der Autor für das Werk konzeptionell den Charakter situativ bedingter Unterweisungen, vorrangig „Regeln des sittlichen oder höflichen Anstands“, aus denen sich jedoch keine „Ethik“ konstruieren lasse: „Viele philosophisch scheinende Aussagen nehmen bei der Kontextualisierung vor dem historischen Hintergrund eine andere Bedeutung an, als sie in der Philosophiegeschichte steht. […] Der Text diente nicht rein philosophischer Erbauung, sondern der Beschreibung verschiedener Situationen, mit denen ein konfuzianischer Beamter – aber im Spezialfall auch ein Kaiser – in seinem Alltag konfrontiert sein konnte. Das Leben des Konfuzius und seiner Schüler war also Folie zur plastischen Illustration von Dilemmata, Konfliktsituationen und vorbildlichem Verhalten jeglicher Art. Vielleicht waren die Sprüche nur Anhaltspunkte für die größeren Zusammenhänge, die in ihrem Hintergrund standen. Diese Zusammenhänge waren historische Situationen, aus denen die einzelnen Sätze entnommen sind.“ (67f.)

Damit setzt sich van Ess auch inhaltlich von dem Gros der bisher üblichen Interpretationen ab. Eine deutliche Neugewichtung schafft er bei dem Zeichen „ren“, zusammengesetzt aus „Mensch“ und „zwei“. Dessen bisher dominierende Übersetzung als „Menschlichkeit“ oder „Güte“ bezeichnet der Autor als eher unzutreffend, da diese Missverständnisse hervorrufe. Stattdessen übersetzt er das Zeichen unter anderem als „Fähigkeit, mit den Menschen umzugehen“ bzw. „schonend mit den Leuten umzugehen“ – was sich in Kap.12.22 jedoch letztlich kaum mehr von dem Ausdruck „ai ren“ („ai“: in der Hauptübersetzung lieben, und „ren“: die Menschen) als „Fähigkeit, mit den Menschen gut umzugehen“ unterscheidet. Trotz guter Begründungen mag nicht jeder diesem Verzicht auf sonst übliche prägnante, inhaltsstarke Formulierungen zustimmen.

Mit ihrer starken historischen, jedoch kaum philosophischen Ausrichtung hat diese umfangreiche, detaillierte und aufwendige Arbeit ein geteiltes Echo in der Fachwelt gefunden. Nichtsdestotrotz ist die Neuübersetzung für Fachleute und kundige Laien interessant, aber für den schulischen Unterricht nur bedingt nützlich, da die allgemeinphilosophischen Aspekte, mit denen man das Lunyu gemeinhin verbindet, hier keinen Raum finden.

Das 800 Seiten starke Buch umfasst eine knapp 80-seitige Einleitung, den umfangreichen Hauptteil aus chinesischem Text, deutscher Übersetzung und ausführlichen Erklärungen; ein 80 Seiten langer Schlussteil mit Anmerkungen, Literatur und Register rundet das Buch ab. Der Verlag C.H. Beck legt eine schön gestaltete Ausgabe vor, gut redigiert auf hochwertigem Papier, die man gerne zur Hand nimmt.

München: C.H. Beck Verlag. 2023
816 Seiten m. s-w Abb.
48,00 €
ISBN 978-3-406-79734-7

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