Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Konrad Hilpert: Ehe, Partnerschaft, Sexualität

Von der Sexualmoral zur Beziehungsethik

Das Jahr 1968 stellt für die katholische Moraltheologie einen markanten Einschnitt dar. Die Enzyklika „Humanae Vitae“ beschleunigte die schon damals vorhandenen Fliehkräfte im katholischen Bewusstsein, versetzte der Autorität des päpstlichen Lehramtes einen Schlag und führte schließlich zur Ausbildung einer von diesem Lehramt emanzipierten theologischen Ethik. Auf keinem anderen Feld kirchlichen Nachdenkens ist deshalb die Diskrepanz zwischen dem, was Rom verkündet, und dem, was Forschung und Lehre als theologische Einsichten anbieten, so groß wie im Bereich der Sexualmoral. Hier kommt exemplarisch zum Austrag, was Autonomie des Menschen eigentlich heißt – Recht, Pflicht und Kompetenz zu bestimmen, was der eigenen Person entspricht. 

Der bekannte und mittlerweile emeritierte katholische Moraltheologe Konrad Hilpert geht die skizzierte Herausforderung mit seinen Leserinnen und Lesern noch einmal Schritt für Schritt durch. Der Untertitel seines Buches zeigt dabei an, worin die kopernikanische Wende der universitären katholischen Sexualethik besteht: Von einem festen und rigiden, aus naturrechtlichen Ausdeutungen bestehenden Sittengesetz, in dem sich bis in den biologischen Zyklus der Frau hinein Gottes Wille manifestiert, hin zu einer auf ethischen Prinzipien basierenden Beziehungsethik, deren Begründung sich einer rational nachvollziehbaren Kommunikation verdankt. Hilpert markiert einige Eckpunkte dieser neuen Bewusstseinsform und macht zugleich deutlich, woran es in der katholischen „Tradition“ noch immer hapert – nämlich an einem echten Bewusstsein für die Geschichtlichkeit des Daseins und der Erkenntnis: Ist es z. B. wirklich noch vermittelbar, dass ein monogam lebendes homosexuelles Paar „in Sünde“ leben, eine heterosexuelle lieblose Dienst-nach-Vorschrift-Ehe aber als Sakrament durchgehen soll? Oder hat eine „Ehe“ zur Zeit Christi mit dem, was im 21. Jahrhundert unter „Ehe“ gelebt werden darf oder muss, wirklich mehr als nur das Wort gemeinsam? 

Hilpert geht systematisch den veränderten Rahmenbedingungen und Ausgestaltungen von Sexualität nach, ohne sich in Details zu verlieren. V.a. aber meldet er Korrekturbedarf an, wenn er für eine Neubestimmung des Status der humanwissenschaftlichen Erkenntnisse innerhalb der lehramtlichen Theologie plädiert, was nichts anderes heißen soll als „genaues Hinhören“.

Das Buch hat einen festen Ort im deutschsprachigen katholischen Mikrokosmos. Entstanden ist es nach der Aufdeckung der Missbrauchsskandale 2010, die auch bei Nichtpsychologen die (fachlich geklärte) Frage aufkommen ließ, welcher Zusammenhang zwischen sexualethischem Rigorismus auf der einen und Sünde bzw. Verbrechen auf der anderen Seite besteht. Der unmittelbare Kontext des Buches ist jedoch die Beratung des „Familienthemas“ auf den römischen Bischofssynoden 2014 und 2015, auf denen erstmals seit langem wieder die Spannweite des Katholischen sichtbar werden konnte. Papst Franziskus hat die vorhandenen unterschiedlichen Denkansätze innerhalb des bischöflichen Lehramtes genutzt, um dem „Evangelium“, das nicht aus Einzelanweisungen für bestimmte „Fälle“ besteht, in der Kirche wieder mehr Raum zu geben. Hier gilt es, Hilpert zufolge, anzusetzen und die behördliche Kommunikation von oben nach unten zu ersetzen durch eine den Grundprinzipien des II. Vatikanums gemäße Diskursart, welche die Zuständigkeit und Professionalität der Nichtkleriker im Bereich der ethischen Themenfelder adäquat berücksichtigt.

Hilperts Buch ist im Kern ein Plädoyer für eine weisheitlich ausgerichtete Theologie der menschlichen Beziehungen, das sich an interessierte katholische Laien, aber auch an katholische Pädagoginnen und Pädagogen wendet, welche junge Leute auf dem Weg zu einer ihnen gemäßen sexuellen Identität begleiten und dabei nicht auf die wertvollen Anliegen der Tradition verzichten wollen. 

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2015
176 Seiten
19,99 Euro
ISBN 978-3-534-74012-3

 

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