Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Kurt Erlemann: Wunder. Theorie – Auslegung – Didaktik

An Büchern über die Wunder der neutestamentlichen Überlieferung besteht in der Exegese – anders als in der systematischen Theologie – kein Mangel. Erwähnt seien nur die zahlreichen Beiträge von Bernd Kollmann und das von Ruben Zimmermann herausgegebene zweibändige „Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen“, in dem sich die Vielfalt bibelwissenschaftlich reflektierter Zugänge gut widerspiegelt. Auch Kurt Erlemann ist im vorliegenden, eng an sein Buch „Kaum zu glauben. Wunder im NT“ (2016) anschließenden Opus dieser Vielfalt verpflichtet. Entsprechend seiner Konzeption als Fach- und Lehrbuch enthält es exegetische, hermeneutische und besonders auch didaktische Fragestellungen, wobei sich Auswahl und Analyse einzelner Wundertexte an den Kerncurricula für den Evangelischen Religionsunterricht ausrichten.

Das Einführungskapitel gibt einen ersten komprimierten Überblick über Wunder und Wundertexte in der Bibel und ihrem Umfeld, ihre Einordnung in die Jesuserinnerung und Gattungsgeschichte, ihr Verhältnis zum Christusglauben, den weltbildlichen Hintergrund, ihre eigene, rationale Logik sowie ihre theologische und anthropologische Bedeutung (15–64). Weitere Kapitel vertiefen das Welt- und Menschenbild der Wundertexte aus kultur- und religionshistorischer Perspektive (65-90), stellen in kritischer Weiterführung verschiedene Paradigmen der Wunderdeutung und ihres Wirklichkeitsverständnisses dar (91–155) und gehen inhaltlichen Aspekten und Sinnebenen nach (157–214). Es folgen eine Auswahl von Exegesen ntl. Wundertexte und eine Vorstellung didaktischer Impulse mit Anknüpfung an die vorigen Beispielexegesen (259–331). Ein „Serviceteil“ mit verschiedenen Stellen- und Sachregistern sowie Literaturangaben beschließen dieses einführende Studienwerk.

Für Erlemanns Sicht grundlegend ist seine im Einführungsteil aufgeführte These 4, dass Wunder einer Logik mit „eigenen, rational beschreibbaren Gesetzmäßigkeiten“ (19) folgten. Wunder sind „rational nicht erklärbar, … aber nicht irrational“ (ebd.), wobei „irrational … nicht das Widervernünftige [bezeichnet], sondern das, was die Grenzen der Vernunft übersteigt“ (19, Anm. 2). Im Einzelnen bestimmt der Autor die Wunderlogik als eine Logik des intensiven Gebets, des nachhaltigen Glaubens, als Logik kontrafaktischer Hoffnung und einträchtiger Liebe (138–140). Hier wie auch im Ganzen seiner in immer neuen Anläufen versuchten Verortung und Deutung der biblischen Wundergeschichten dominieren die begrifflich-kategorialen und weltbildlichen Vorgaben des ntl. Wunderverständnisses. Aus exegetischer Sicht ist das vertretbar, zumal die theologische Relevanz der Wunder gut herausgearbeitet wird, doch lässt der Vorrang einer mythisch-kosmischen und religiös-mystischen Wahrnehmungsweise die epistemologische und ontologische Dimension deutlich unterbelichtet erscheinen. Der Hinweis auf „spirituell erfahrbare, weiche Fakten“ (20 u.ö.) wird im Diskurs mit der Geschichtswissenschaft und Philosophie kaum ausreichen, zumal dann, wenn man mit Erlemann voraussetzt, dass die Wundertexte auch Naturgesetze durchbrechen und so „die menschliche ratio mit der Wirklichkeit des naturhaft Unmöglichen“ (29) konfrontieren.

Auffallend ist weiter die kleinteilige Gliederung mit vielen inhaltlichen Wiederholungen, die der Stringenz des Ganzen nicht immer förderlich ist. Anscheinend ist das Lehrbuch eher für eine selektive Lektüre gedacht. Im Ganzen aber stellt das Buch mit seiner exegetischen und didaktischen Erschließung verschiedener Wundertexte eine Bereicherung des gegenwärtigen Studienmaterials dar. Einem propädeutischen Anspruch wird es jedenfalls gerecht und regt zu einer vertieften Beschäftigung mit der Welt der biblischen Wundertexte an.

Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag. 2021
372 Seiten
29,90 €
ISBN 978-3-8252-5657-9

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