Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Laura Swan: Die Weisheit der Beginen

Das gängige Schlagwort vom patriarchalischen Christentum verdeckt völlig, welch emanzipatorische Initiativen und Impulse darin bisher schon am Werk waren – angefangen mit der Übernahme des israelitischen Bekenntnisses zur Gottebenbildlichkeit jedes Menschen und deren christologischer Vertiefung. Dass deshalb Frauen und Männer in Christus gleichwürdig sind, ist eine höchst bedeutsame, ja revolutionäre Perspektive, die sich in der bisherigen Geschichte des Christentums vielfältig konkretisiert hat – in der Würdigung der Witwen z.B. in der alten Kirche, in der Geschichte der Orden, in der kirchenrechtlichen Durchsetzung der Ehe als Vertrag unter Gleichberechtigten und nicht zuletzt in Gestalt jener großen Frauenbewegung, die mit der Lebensform der Beginen verbunden ist. Was da Anfang des 13. Jahrhunderts im heutigen Belgien und Niederlanden begann, schwoll zu einer vielfarbigen und inspirierenden Reformbewegung in Europa an: das Gemeinschaftsleben von Frauen, die keine feierlichen Gelübde wie in den üblichen Orden ablegten, kirchenrechtlich also Laien blieben und doch ausdrücklich nach den evangelischen Räten lebten, selbstbestimmt und in Gemeinschaft. Dass der hierfür gebräuchliche lateinische Fachbegriff „semireligiös“ (keine „richtigen“ Ordensleute, sprich Religiosen) hier unübersetzt beibehalten wird, ist mindestens miss-, wenn nicht unverständlich. Es geht ja gerade nicht um Halb(herzig)keiten oder Defizienzen, vielmehr um eine höchst kreative und profilierte Lebensform und -bewegung des Christlichen.

Die US-amerikanische Benediktinerin erzählt davon historisch kenntnisreich und lebendig, weitestgehend an der englischsprachigen Sekundärliteratur orientiert. Mit der gregorianischen Befreiung der Kirche aus der kaiserlichen Bevormundung entstand ja in paradoxer Gegenabhängigkeit jene „kaiserliche“, feudale und hierarchistische Kirchengestalt, die bis zum letzten Konzil bestimmend blieb und deren imperiales Symbol die päpstliche Kaiserkrone (Tiara) war (erst Paul VI. setzte sie ab und verkaufte sie an die Armen; erst Papst Franziskus verzichtete ausdrücklich auf den Titel „Stellvertreter Christi“, den sich die Päpste just damals zulegten). In solchen Zeiten institutioneller Konsolidierung und auch Verfestigung der Kirchengestalt (4. Laterankonzil) wird wie immer der reformerische Rückruf an die biblischen Ursprünge laut: damals mit der heftigen Sehnsucht nach der Vita apostolica und in Gestalt neuer geistlicher Bewegungen und radikal einfacher Ordensgemeinschaften, zumal in den aufblühenden Städten (man denke nur an Franziskus und Klara). Die Beginen-Bewegung gehört in diese Aufbruchs- und Reformdynamik der entstehenden Großkirche und erreicht ihre produktivste Zeit zwischen 1270-1350 mit gewaltigem Reform- und Reformationspotential. Nicht zufällig gibt es derzeit wieder engagierte Frauen, die an diese großen Traditionen anknüpfen und sie als Beginen kreativ übersetzen.

Laura Swan erzählt das anschaulich, mit einer (oft nur aufzählenden) Fülle von Namen und Biografien, mit originellen Beispielen und Zitaten. Nicht nur für den diakonisch-sozialen Bereich sind die selbstbewussten Frauen in ihren Beginen-Höfen bedeutsam, sie können durchaus als geschäftstüchtige Unternehmerinnen gelten; des Öfteren sind sie literarisch und homiletisch höchst produktiv. Am bekanntesten hierzulande dürften Mechthild von Magdeburg und dann Katharina von Siena sein, auch Margarete Porete gewinnt zu Recht wieder mehr Aufmerksamkeit als Glaubenslehrerin, nahezu unbekannt hierzulande ist leider immer noch die große Hadewijch, aus deren Texten Swan ebenfalls ausführlich zitiert. Geschickt werden so an einzelnen Pionierinnen Grundzüge der Bewegung deutlich und die ansonsten bisweilen pauschale Kontextualisierung in soziale und politische Konstellationen gewinnt Konkretion.

Kurzum, eine inspirierende und sehr gut lesbare Darstellung. Dank dieser gelungenen Luftaufnahme mit einigen Fein- und Nah-Einstellungen wächst umso mehr der Wunsch, diese Beginen-Spiritualität mehr ins ausdrücklich theologische Gespräch zu ziehen und z.B. mit Geschichte und Gegenwart christlicher Mystik en détail zu verbinden. Ebenso wäre der historisch-sozialgeschichtliche Kontext damals noch stärker zu profilieren. Jedenfalls ist das Erbe dieser mutigen und selbstbewussten Frauen neu zu entdecken – in durchaus emanzipatorischer und reformatorischer Absicht.

Geschichte und Spiritualität einer mittelalterlichen Frauenbewegung
Aus dem Englischen übersetzt von Begine Katelene Mauritz, Begine Sr. Birta Lieb und Begine Cornelia Perthes
Freiburg: Herder Verlag. 2023
222 Seiten
26,00 €

ISBN 978-3-451-39641-0

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