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Ludger Schwienhorst-Schönberger: Der eine Gott und die Götter
In 107 kurzen Texten von je 1,5 bis 2,5 Seiten durchschreitet der emeritierte Wiener Alttestamentler Ludger Schwienhorst-Schönberger die Religions- und Theologiegeschichte Israels. Die ersten 15 Texte beschäftigen sich eher grundlegend mit „Religionsgeschichtlichen Vorgaben“ und der „Herkunft JHWHs“. Danach orientieren sich die übergreifenden Abschnitte an den Epochen der Geschichte Israels, von der „Frühstaatlichen Zeit (10. Jh. v. Chr.)“ bis zur Rückkehr aus dem Exil („Heimkehr und Sammlung“, ohne konkrete Zeitangabe). Die Texte wurden ursprünglich für die Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ verfasst und können jeweils für sich gelesen werden. In der Fokussierung auf die jeweilige Fragestellung ist das hilfreich. In der fortlaufenden Lektüre bleiben die Übergänge zwischen den einzelnen Texten dagegen manchmal etwas sperrig. Aber wer sich überhaupt mit einem so anspruchsvollen Thema beschäftigt, wird sich davon die Freude an der Lektüre nicht nehmen lassen.
Neben den großen Themen greift Schwienhorst-Schönberger immer wieder konkrete Bibeltexte auf und zeigt, wie sich die jeweiligen Fragestellungen dort niederschlagen. Für Nicht-Fachleute kann dabei die Dichte der Darstellung sowie die vorausgesetzte Kenntnis biblischer Texte und historischer Zusammenhänge durchaus eine Herausforderung sein. Zugleich bietet das Buch so aber viele Ansatzpunkte zum weiteren Überlegen und Nachdenken.
In den einzelnen Beiträgen greift der Verfasser immer wieder Thesen der atl. Forschung auf, die für theologische Laien zunächst überraschend sein mögen. Ein Beispiel ist die Entstehung Israels „im Land“, anders als in den biblischen Erzählungen, die von einer „Landnahme“ ausgehen. An anderen Stellen positioniert er sich dagegen implizit eher gegen den breiten Konsens der Forschung. So folgt seine historische Beschreibung der Geschichte Davids doch sehr unmittelbar den Erzählungen der Samuelbücher, obwohl deren historischer Gehalt in großen Teilen der Forschung eher kritisch gesehen wird. Es ist keine Frage, dass für ein solches Buch nicht alle wissenschaftlichen Thesen diskutiert werden können. Aber für Nicht-Fachleute könnte es hilfreich sein, wenn sie leichter erkennen könnten, was (eher) Konsens der Forschung ist und was vor allem der eigenen Einschätzung der Befunde entspricht.
Als Hinführung zu den Beiträgen, die zunächst in „Christ in der Gegenwart“ veröffentlicht wurden, hat Schwienhorst-Schönberger auf ca. 50 Seiten Überlegungen zur Religion in der Moderne und seinem Verständnis von Transzendenzerfahrungen vorausgestellt. Darin setzt er sich auch mit der sogenannten „Säkularisierungsthese“ auseinander, die seiner Ansicht nach inzwischen durch neuere empirische Befunde widerlegt sei. Nun hatte ich, ganz ungeplant, gerade vorher die zweite Auflage der umfassenden Studie von Detlef Pollack und Gergely Rosta gelesen: „Religion in der Moderne. Ein internationaler Vergleich“, Frankfurt 2022. Dort finden sich viele gute Gründe, um in den Einschätzungen zur Säkularisierungsthese zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Doch der Lektüre der 107 Beiträge zur Religions- und Theologiegeschichte Israels, die den Hauptteil des Buches ausmachen, nehmen die unterschiedlichen Einschätzungen zu diesen aktuellen religionssoziologischen Fragen nichts von ihrem Wert.
Beim Lesen habe ich mich immer wieder einmal gefragt, wer genau die Zielgruppe für dieses Buch sein könnte. Es sind wohl vor allem sehr interessierte und biblisch-theologisch vorgebildete Menschen. Für sie bietet das Buch einen gut lesbaren Überblick zur Religions- und Theologiegeschichte Israels, mit vielen Anregungen zum Weiterdenken. Ob das „spannend wie ein Krimi“ ist, wie der Werbetext auf der Rückseite verspricht, hängt wohl vor allem davon ab, welche Krimis man liest.
Religions- und Theologiegeschichte Israels – Ein Durchblick
Freiburg: Herder Verlag. 2023
271 Seiten
26,00 €
ISBN 978-3-451-39616-8