Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Markus Hofer: Das Heilige und das Nackte

Nacktheit und Scham sind als kulturelle Phänomene gleich ursprünglich. Im Vergleich zu ihrer Umwelt sind die biblischen Texte des Alten und Neuen Testamentes eher desinteressiert am Sexuellen. Im Spiegel der abendländischen Kunst weisen marginale künstlerische Darstellungen von Nacktheit auf einen selbstverständlichen Umgang mit ihr in der Öffentlichkeit hin, während eine Dominanz des Nackten in der Kunst als Indiz für ihre gesellschaftliche Marginalisierung gelten kann.

Unter diesen drei Thesen lotet Markus Hofer das Verhältnis von Nacktem und Heiligem aus, wie es sich ihm in der Kunst zeigt, und liefert damit einen wichtigen Beitrag in der aktuellen Diskussion über die kirchliche Sexuallehre und -moral im Zuge des Synodalen Weges. Mit Humor und Leichtigkeit geschrieben, ist dieses Buch eine kurzweilige Lektüre und zugleich inhaltsschwer. Aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen füttert Hofer der Kultur- und Kunstgeschichte weitere wichtige Erkenntnisse zu, die Allgemeinplätze der inner- und außerkirchlichen Meinungen, wie (katholische) Kirche(n) zur Sexualität stehen, anfragen. Hofer nennt die historischen Altlasten dieser Lehre und verweist auf die Strenge ihrer Prinzipien im Kontext einer zu vielen Zeiten milden Praxis.

Der Mensch des Mittelalters zeigt einen natürlichen Umgang mit Nacktheit und Sexualität, während der humanistisch gebildete Zeitgenosse der Renaissance zwar die idealtypische Schönheit des Körpers feiert, zugleich aber große Vorbehalte gegen Emotionen und Triebe, die die Vernunft verdunkeln, hegt. Der Verlust des Heiligen in der Moderne überantwortet dem Staat die Verantwortung für die Moralität seiner Bürger und den Wissenschaften die Bestimmung eines förderlichen Umgangs mit ihrer Sexualität – mit dem Ergebnis einer bedrückenden Prüderie ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hofers Fazit: Die Kirchen, namentlich die katholische, sind in Sachen Nacktheit und Sexualität keine Unschuldslämmer, doch auch nicht jene Sündenböcke, zu denen sie derzeit gestempelt werden. Das Heilige soll vom Sexuellen abgesondert werden, damit sich der Beter auf Gott hin ungestört ausrichten kann. Durch den Glauben, dass der, den Leib geschaffen, alles sehr gut geschaffen hat; dass der, den Menschen erlöst hat, selbst Fleisch geworden ist, sind das Heilige und das Nackte im Christentum wesenhaft aufeinander bezogen und müssen miteinander im Spiel gehalten werden.

Hofers Kulturgeschichte des Heiligen und des Nackten – entwickelt durch Bezugnahme auf außerbiblische Konzepte, im Nachgehen der Geschichte religiöser abendländischer Bildkunst und prägnante Darstellungen des Verhältnisses von Heiligem und Nacktem von biblischen Figuren und Heiligen – ist ein schönes Beispiel, wie Wissen in einer hochemotionalen Debatte mit dementsprechenden Lagerbildungen wieder Spielraum eröffnet und scheinbar sicher Gewusstes wohltuend in Frage stellt.

Eine Kulturgeschichte
Innsbruck-Wien: Tyrolia Verlag. 2022
192 Seiten m. farb. Abb.
28,00 €
ISBN 978-3-7022-4052-3

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