Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Martin Ramb / Holger Zaborowski (Hg.). Auf dem Weg zum Kreuz

Wer hat an Aschermittwoch schon geahnt, dass die Karwoche 2020 bestenfalls digital stattfinden würde, weil sich eine bislang unbekannte Pandemie weltweit mit rasendem Tempo und schlimmen Folgen für die individuelle Gesundheit und das soziale Leben breitgemacht hat? In dieser dramatischen Situation kamen die beiden Herausgeber auf den klugen Gedanken, verschiedene (katholische) Autorinnen und Autoren um einem Beitrag über die Stationen des Kreuzwegs Christi mit Bezug auf Covid-19 zu bitten, der auf der Internetplattform der katholischen Kirche „katholisch.de“ veröffentlich wurde. Diese Texte sind ergänzt um weitere Artikel in der „Edition Denkbares“ nachzulesen. Das Besondere diese Buches liegt nun darin, dass die insgesamt zwanzig zwei- bis dreiseitigen meditativen Texte nicht mit den üblichen Bildern der Kreuzwegstationen, sondern mit aktuellen, die Corona-Pandemie dokumentierenden Fotografien illustriert sind – wodurch eine weitere Bedeutungsebene das gesamte Buch durchzieht. Dass sich der Betrachter nicht mit jedem der ausgewählten Fotos anfreunden kann, liegt auf der Hand.

Nur einige Gedanken seien aus den ganz individuellen Annäherungen herausgestellt: Corona trifft uns wie eine Geißel, ist aber keine Strafe Gottes; die Frage nach dem Warum bleibt unbeantwortet (Gotthard Fuchs). – Im Zusammenhang der Verurteilung Jesu wird die Frage nach der Wahrheit aufgeworfen; wer die Wahrheit realpolitischem oder gar zynischem Machtkalkül unterwirft, der schafft Opfer – wie der Blick auf die USA demonstriert (Holger Zaborowski). – Menschen, die ihrer Kleidung beraubt werden, verlieren einen bedeutsamen Teil ihrer Identität; besteht hier nicht eine Parallele zwischen dem nackten Jesus und der sterilen Krankenhauskleidung der an Covid-19 Erkrankten (Martin Ramb)? – Auf dem Weg nach Golgatha begegnet der kreuztragende Jesus seiner Mutter, die auf Distanz zu ihrem Sohn gezwungen ist – nicht unähnlich dem Zwang, gefährdeten Verwandten nur mit Abstand begegnen zu können (Makrina Finlay OSB). – Simon von Kyrene wird gezwungen, das Kreuz Jesus zu tragen; sein Blick auf Jesus hat ihm vielleicht „zu einer leisen Ahnung von Gottes Gegenwart und von der Verantwortung für den anderen“ verholfen (Susanne Nordhofen); jedenfalls trägt er das Kreuz, ähnlich den Ärzten und Pflegern in Krankenhäusern oder Senioreneinrichtungen, die nicht nach einem Warum fragen, sondern durch ihre Arbeit Verantwortung für Andere übernehmen (Thomas Brose). – Der Tod Jesu zeigt: Die Gottverlassenheit des gekreuzigten Jesus ist der Ort der Offenbarung Gottes – einer zurecht als „dunkel“ zu charakterisierenden Offenbarung (Margareta Gruber OSF). – Die Grablegung Jesu schneidet die Rückkehr zur Normalität ab, seine Auferstehung bedeutet ein „ganz anderes“ Danach; wie aber wird die Welt nach Corona sein (Maura Zátony OSB)? – Auf dem Weg nach Emmaus kommt Jesus den beiden Jüngern nahe, wie er den Aussätzigen nahe war; kann es überhaupt Heilung ohne Nähe geben (Klaus Mertes SJ)? – Auf die Nachricht, dass ein Freund an Covid-19 erkrankt ist, reagiert der Schriftsteller Patrick Roth mit einer Besinnung auf Psalm 23, den er als Weg einer inneren Verwandlung durchdekliniert; dieser etwas längere Text wirft ein ungewohntes psychologisches Licht auf dieses oft interpretierte Gebet.

„Was ist heute ein angemessenes Bild für die Stationen des Kreuzweges?“, fragt Thomas Sternberg in seinem Geleitwort. Die beiden Herausgeber haben zusammen mit den Autorinnen und Autoren den Versuch unternommen, die Frömmigkeit des Kreuzweges zu beleben, indem sie die Stationen im Horizont der Corona-Pandemie betrachten. Jeder wird in diesem schönen Buch Neues und Tröstliches für sich selbst entdecken können.

Meditationen in Zeiten der Corona-Pandemie
Edition Denkbares
Sankt Ottilien: EOS Verlag. 2020
102 Seiten mit farb. Abb.
14,95 €
ISBN 987-3-8306-8013-0

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