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Martin Schäuble: Die Geschichte der Israelis und Palästinenser
„Es ist fast unmöglich, über den Konflikt zu sprechen. Was für Aiyub Fakten sind, sind für mich [Elad] keine, und andersherum“ – diese Problematik, wie sie hier gegen Ende des Buches von einer Begegnung zwischen einem palästinensischen und einem israelischen Jugendlichen geschildert wird, ist in Bezug auf den Nahost-Konflikt nach dem 7. Oktober 20023 gerade hochaktuell und auch hier in Deutschland allgegenwärtig. Umso wichtiger sind Werke wie das vorliegende Buch, dem es auf 237 Seiten gelingt, die Komplexität des Nahost-Konflikts der letzten 3000 Jahre bis zum 7. Oktober prägnant darzustellen, dabei viele Zeitzeugen zu Wort kommen und (gekürzte) historische Dokumente sprechen zu lassen, ohne dabei zu bewerten oder einseitig zu berichten.
Der Autor Martin Schäuble, Journalist und selbst viele Jahre in Israel und den Palästinensergebieten im Gespräch mit Menschen vor Ort, stellt die Geschichte dieses geopolitisch so bedeutsamen Fleckchens Erde sehr sachkundig dar. Dies gelingt, indem Schäuble unterschiedliche Positionen einander gegenüberstellt, wie z.B. beim ersten israelisch-arabischen Krieg die von Fathma al-Hadi und Hava Keller. Fatma al-Hadi berichtet, wie sie den Kriegsausbruch als Palästinenserin erlebte, und Hava Keller, wie sie während des Krieges den Kibbuz bewachte. Diese Erzählweise verhindert einseitige Narrative, gibt Raum für die faktische historische Darstellung und verdeutlicht die emotionale und identitätsstiftende Bedeutung der zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen. Bei alledem hört er zu, ohne zu bewerten. Die Frage danach, was historisch wirklich geschah, ordnet die subjektiven Aussagen der Betroffenen auf einer Metaebene in jedem Kapitel ein.
Wer dieses Buch gelesen hat, bekommt auf sehr anschauliche, lebensnahe Weise vor Augen geführt, dass es in diesem Konflikt nicht nur schwarz und weiß gibt und dass, trotz aller Unlösbarkeit, die kleine Flamme der Hoffnung auf eine friedliche Koexistenz nie ganz erloschen ist, auch wenn diese Vorstellung nach dem 7. Oktober unerreichbar erscheint. Der Verfasser lässt Avihai Israel Israeli am Ende des Buches zu Wort kommen. Israeli war selbst israelischer Soldat, leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und wird von Schäuble folgendermaßen zitiert: „Den Konflikt als Konflikt zu akzeptieren, das ist die Lösung. Ich kann den Konflikt nur für mich lösen. Ich bin extra in ein Stadtviertel gezogen, in dem Araber leben. Ein guter Freund ist arabischer Israeli. Damit löse ich nicht den Konflikt für alle, aber es bringt mir Frieden.“
Aussagen wie diese sind es, die zum Neu- und Weiterdenken anregen und dieses Buch zu einer Empfehlung für alle machen, die sich fundiert, auf Grundlage von historischen Ereignissen mit der Geschichte Israels und Palästinas auseinandersetzen möchten. Durch das Einstreuen der Lebensgeschichten und Anekdoten von Menschen vor Ort wird der Nahost-Konflikt nicht nur auf der Sachebene, sondern auch auf der emotionalen Ebene erfahrbar. Das macht das Buch gut einsetzbar für den schulischen Bereich: entweder als Zugang zum Nahost-Konflikt für Lehrkräfte, um ihr Hintergrundwissen zu schärfen, oder aber für den Unterricht in Sekundarstufe II – nicht zuletzt, weil die weitergehenden Medientipps, die am Ende jedes Kapitels genannt werden, gute Iden für den Einsatz im Unterricht bereithalten.
Die Altersempfehlung ab 14 Jahre, die vom Verlag gegeben wird, halte ich für anspruchsvoll. Es wird zwar an vielen Stellen nur wenig Hintergrundwissen vorausgesetzt (etwa, wenn muslimische oder jüdische Feste genannt und erklärt werden), aber gerade die komplexen, (geo)politischen Konfliktlinien machen die Lektüre nicht immer leicht. Deshalb würde ich die Verwendung für die Sek II empfehlen. Die gesellschaftlichen Verwerfungen seit dem 7. Oktober 2023 zeigen, dass der Nahost-Konflikt unbedingt im Unterricht behandelt werden muss. Das Buch von Martin Schäuble bietet hierfür einen wertvollen Ansatzpunkt.
Der Nahost-Konflikt aus Sicht derer, die ihn erleben
München: Carl Hanser Verlag. 2024
237 Seiten m. s-w Abb.
22,00 €
ISBN 978-3-44627933-9