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Martin W. Ramb / Holger Zaborowski (Hg.): Krieg
„Krieg“ – aktueller kann ein Buchtitel kaum sein. Doch womit kann der noch etwas zögerliche Interessent rechnen: einer fundierten Analysen über Gründe und Verlauf der gegenwärtigen Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen oder vielleicht einem ganz anderen Zugang? Das Cover mit der Zeichnung aneinandergereihter Leichensäcke deutet es schon an: Es geht um eine bildnerische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Krieg. Wer das heute wagt, stellt sich – gewollt oder ungewollt – in eine Reihe mit Größen wie Francisco de Goya, Otto Dix oder Pablo Picasso. Was macht die Illustrationen von Drushba Pankow, die im Zentrum des Buches „Krieg“ stehen, sehens- und bedenkenswert?
Drushba Pankow ist ein Grafikkollektiv und besteht aus Alexandra Kardinar (*1972), Professorin für Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, und Volker Schlecht (*1968), Professor für Gestalten/Zeichnen an der Hochschule Anhalt in Dessau. Unter ihren Arbeiten ragen die Grafic Novel „Das Fräulein von Scuderi“ nach E.T.A. Hoffmann (2011) und die preisgekrönte Grafic Documentary „Und wenn die Wahrheit mich vernichtet“ über den seliggesprochenen Pater Richard Henkes im KZ Dachau (2019) heraus. Auf Bitte des Eulenfischs, des Limburger Magazins für Religion und Bildung, für die Ausgabe „Krieg und Frieden“ (Nr. 31 / 2023) etwas beizusteuern, entstanden zehn Grafiken. Sie sind zusammen mit einem philosophischen Aufsatz von Holger Zaborowski – der Versöhnung nur durch die Überwindung einer Hermeneutik wechselseitigen Verdachts durch eine solche des Wohlwollens für möglich hält (8-19) – und einem aufschlussreichen Gespräch von Martin W. Ramb mit dem Duo (22-27) im vorliegenden Band wieder abgedruckt.
Die Anfrage des Eulenfischs bot beiden Künstlern die „willkommene Möglichkeit“, der um den Ukraine-Krieg „kreisenden Gedanken“ mit ihren bildnerischen „Mitteln irgendwie Herr zu werden“ (22), anders formuliert: die Erstellung von Bildwerken als einen Erkenntnisprozess zu begreifen. Anders als Fotografie und Film geben ihre Illustrationen nicht vor, die Realität des Krieges wiederzugeben oder gar die Ursachen erklären zu können. Der Verzicht auf direkte Bebilderung bedeutet auch Verzicht auf emotionale Überwältigung. Es geht Drushba Pankow vielmehr um ein visuelles Denken, das wiederkehrende kriegerische Bildmuster aufspürt und solchermaßen gegen verführerische Propaganda zu immunisieren versucht.
In dieser Absicht kombinieren Alexandra Kardinar und Volker Schlecht drei unterschiedliche Bildmaterialien. (1) Die Illustration „Frieden“ geht von historischem Bildmaterial in Gestalt von zehn bedeutenden Persönlichkeiten aus: die Philosophen Erasmus von Rotterdam und Immanuel Kant, die Politiker Neville Chamberlain, Jitzchak Rabin, Willy Brandt und Michail Gorbatschow, dazu Lew Tolstoi, Dietrich Bonhoeffer und Mahatma Gandhi und als einzige Frau Bertha von Suttner. (2) Der Bildhintergrund, den die stark beschädigte Verklärungskathedrale von Odessa bildet, bezieht sich direkt auf den Ukraine-Krieg; auf anderen Grafiken sind zerstörtes Kriegsgerät und weitere Kriegsutensilien montiert. (3) Im gesamten Bildzyklus finden sich immer wieder Zitate aus der Kunstgeschichte wie beispielsweise Michelangelos römische Pièta, Donatellos Bronze des nackten David oder Engelsdarstellungen. – Dieses Bildmaterial wird, wie die zahlreichen im Buch reproduzierten Zeichnungen veranschaulichen, zeichnerisch aufbereitet und dann digital zusammengesetzt; anschließend erfolgt die dezente, nirgends grelle Kolorierung.
Durch die eigenwillige Kombination der genannten Bildelemente entsteht ein neuer bildnerischer Sinn, der sich nicht schon auf den ersten Blick erschließt. Deswegen war es eine gute Idee der Herausgeber, verschiedene Autorinnen und Autoren um kurze Texte zu den Illustrationen zu bitten (29-91). Herausgekommen sind unterschiedliche Zugänge, darunter ein origineller Abzählreim, wobei sich der Rezensent bei einigen Beiträgen einen etwas stärkeren Bezug auf die zu interpretierende Grafik gewünscht hätte. Für eine eigene Deutung geben die im Abschnitt „Zu den Illustrationen“ (92) aufgeführten Bildreferenzen dem Betrachter vielerlei Anregungen.
Die zehn Illustrationen stehen zwar für sich, dennoch lassen sich Bezüge erkennen. Den Auftakt des Zyklus bilden die „Reiter“ mit sieben Männern auf Pferden: Es sind die drei Diktatoren Mussolini, Putin und Kim Jong-un; hinzu kommen Reiterstatuen des hl. Georg, von Peter dem Großen und des Söldners Gattamaleta. Den oberen Bildabschluss bildet ein männliches Skelett auf dem Skelett eines Pferdes. Gleich stellen sich Fragen: Warum platzieren die Künstler den nimbierten Heiligen mit seiner langen Lanze in diese üble Männergesellschaft mit dem Tod an der Spitze? Fehlt dem Guten die Kraft, diese Unheil bringenden apokalyptischen Reiter aufzuhalten, die, wie die folgende Illustration mit dem Titel „Opfer“ zeigt, Tod und Krieg mit sich bringen? Sie zeigt Michelangelos Pièta, wobei Maria das Gesicht einer Ukrainerin hat und auf die vor ihr liegenden Leichensäcke blickt; hinter der ihren Sohn in den Armen haltenden Maria ist ein zerstörtes Gebäude und ein weiterer, tiefschwarzer Leichensack zu sehen. Die dritte Illustration „Kreuze“ präsentiert ein weiteres Kriegsopfer: Ein kreuztragender, nimbierter Christus hat sich zwischen den vielen kreuzförmigen Panzersperren verirrt.
Das von Potentaten in Gang gesetzte Unheil wird auf zwei weiteren Darstellungen visualisiert. Auf exakt datierte Fotografien bezieht sich die Grafik „Männlichkeit“: Mussolini, Breschnew, Mao und Putin präsentieren ihrem Volk ihren nackten Oberkörper – und damit ihre Virilität, was die hinter ihnen stehende Skulptur eines nackten Herkules unterstreicht; Hitler in Lederhose steht etwas abseits. In der daran anschließenden Illustration „Potenz“ ist ein wohlgeformter Satyr zu sehen, dessen Penis von einer Rakete abgedeckt wird. Um ihn herum sind Raketenwerfer und Kriegsgerät sowie ein vermummter Hamas-Kämpfer mit nach oben gerecktem Maschinengewehr gruppiert. – Diese Zusammenstellung historischer Skulpturen mit Personen der Zeitgeschichte arbeitet ein gewaltaffines visuelles Muster heraus: Erkennbar wird die Kontinuität eines Männertyps, dem es eigen ist, sich unter Einsatz von rücksichtsloser Gewalt und Krieg durchzusetzen.
Der Zyklus endet nicht ohne Hoffnung: Das abschließende „Gericht“ kombiniert mehrere Gerichtssäle. Bewachungspersonal ist schon anwesend, noch fehlen die Richter, die die Menschenschänder und Kriegsverbrecher verurteilen – und damit erst eine grundlegende Voraussetzung für Versöhnung nach dem Ende von Terror und Krieg schaffen.
Das schön gestaltete Buch umfasst außer dem bereits mehrfach ausgezeichneten Zyklus zahlreiche Schwarzweißabbildungen und anregende Texte. Der Rezensent ist der Einladung zum Betrachten und zum Nachdenken – zu visuellem Denken – gerne gefolgt und hat Neues gelernt.
Mit Illustrationen von Drushba Pankow – Alexandra Kardinar und Volker Schlecht
Edition Denkbares
Sankt Ottilien: EOS Verlag. 2024
96 Seiten m. s-w u. farb. Abb.
19,95 €
ISBN 978-3-8306-8233-3