Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Merdan Güneç / Andreas Kubik / Georg Steins (Hg.): Macht im interreligiösen Dialog

Die Frage der Macht in religiösen Kontexten ist gegenwärtig hochaktuell. Der reale Machtverlust der beiden Großkirchen in vielen europäischen Gesellschaften auf Grund diverser Faktoren auf der einen Seite und die machtvolle Zunahme von Extremismen, auch religiöser, in einigen Teilen der Welt auf der anderen Seite beschreiben sehr verkürzt das Feld. Dazu kommt die Forderung vieler katholischer Gläubiger, mehr Einfluss und Macht in ihrer Kirche zu bekommen (Stichwort: Synodaler Weg) im Sinne einer gleichberechtigten Partizipation, so dass eine Egalität zwischen Klerikern und sogenannten Laien hergestellt wird.

Es war nur eine Frage der Zeit, dass die Machtfrage im Bereich des interreligiösen Dialogs auch gestellt wird, zumal sie schon seit längerer Zeit virulent immer mitlief, wenn ein Dialog auf Augenhöhe gefordert wurde. Der nun vorliegende Sammelband „Macht im interreligiösen Dialog – Interdisziplinäre Perspektiven“ will diese Frage aus verschiedenen Perspektive angehen. Er ist aus Vorträgen einer Ringvorlesung entstanden, die 2020/21 an der Universität Osnabrück im Rahmen des Graduiertenkollegs „Religiöse Differenzen gestalten“ entstanden.

Das Buch gliedert sich in vier große Abschnitte, in denen jeweils drei Beiträge zu finden sind. Am Beginn stehen grundsätzliche Überlegungen, die aus religionswissenschaftlicher, christlich-theologischer (katholisch) und philosophischer Perspektive die Verbindung von Macht und Dialog reflektieren. Danach folgen die Sichten einzelner Religionsgemeinschaften auf das Thema, wobei zwei islamischer und eine protestantischer Provenienz sind. Im dritten Teil werden Dialogrealitäten in Europa und Deutschland kritisch hinterfragt, und zwar hinsichtlich ihrer integrationspolitischen Aneignung, ihrer Frage nach der Identität von Muslimen im Dialog und der massenmedialen Berichterstattung. Zum Schluss wird der Blick auf internationale Fallstudien geweitet, wobei Europa, Nigeria und Indonesien im Fokus stehen.

Insgesamt liefert der Sammelband mit seinen 12 Beiträgen sehr interessante Perspektiven hinsichtlich der Frage der Macht im interreligiösen Dialog. Dabei zeigt sich, dass bis heute vor allem im christlich-muslimischen Dialog starke Asymmetrien bestehen, die verschiedene Ursachen haben. So kann auf Grund der historisch gewachsenen ökonomischen und institutionellen Macht der Kirchen in Europa, vor allem in Deutschland hinsichtlich ihres Körperschaftsstatus, von Augenhöhe noch keine Rede sein. Ebenfalls wird in den gesellschaftlichen Diskursen der Islam in vielen europäischen Kontexten mit Extremismus, Rückständigkeit und Bedrohungslagen in Verbindung gebracht. Von Seiten der Politik wird daher immer wieder eine Reformation des Islam gefordert, der sich dann zu einem genehmen Euro-Islam entwickeln soll, wobei die Anforderungsprofile je nach politischer Verortung dermaßen unterschiedlich sind, das mit der Forderung nach Reformen keine Klarheit geschaffen wird. Ebenfalls besteht immer die Gefahr, dass interreligiöse Dialoginitiativen integrationspolitisch vereinnahmt werden und so als gesellschaftlicher Reparaturbetrieb dienen sollen.

Auf der anderen Seite zeigen die Beiträge viele positive Beispiele auf. In Nigeria und Indonesien haben christlich-muslimische Dialoginitiativen sehr stark zum Frieden zwischen den vielfältigen Gruppen der Länder beigetragen. In Deutschland entsteht mit Hilfe der neu errichteten Fakultäten für islamische Theologie sowohl eine muslimische Diskursmacht als auch ein institutionelles Empowerment auf verschiedenen Ebenen (Schule, Erwachsenenbildung, Seelsorge usw.). Beides führt zu immer mehr Augenhöhe im Dialog.

Das Buch ist sehr zu empfehlen, zumal zum einen die muslimischen Stimmen den Finger auf die Wunde einer erwünschten Dialogharmonie legen, die viele christliche Partner als zu erstrebendes Ideal als regulative Idee mitlaufen lassen und sich viele Politiker wünschen, weil sie als Kitt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen soll. Beides – Dialogharmonie und integrationspolitische Funktionalisierung – führt aber letztendlich dazu, dass die Vielfältigkeit des Islam nicht wahrgenommen wird und an ihrer Stelle ein Konstrukt, wie z.B. der Euro-Islam, gesetzt wird, das mit der Realität nichts zu tun hat und zugleich die bestehenden islamischen Ausprägungen zu Unrecht pejorativ herabsetzt. Zum anderen weitet der Blick auf Nigeria und Indonesien die Perspektive ungemein, weil in diesen Ländern trotz vieler Schwierigkeiten Christen und Muslime gemeinsam an Projekten arbeiten, die zielführend sind.

Zum Schluss soll auf einen kritischen Punkt hingewiesen werden: Der Sammelband hat leider den Nachteil, dass er nur zum Teil hält, was er verspricht. Der Titel „Macht im interreligiösen Dialog – Interdisziplinäre Perspektiven“ verheißt nicht nur ein breites interdisziplinäres Spektrum, sondern auch ein religiöses. Das wird aber nicht eingelöst. Der Blick auf andere Religionen kommt in wenigen Beiträgen nur sehr marginal in Erscheinung. Es wäre sicher sehr spannend gewesen, die Frage nach der Macht im Dialog auch mit Blick auf das Judentum, die Aleviten, die Eziden sowie auf die wachsende Zahl der Buddhisten in Deutschland zu stellen. Noch gar nicht im Fokus sind diejenigen, die keiner Religion oder Konfession angehören, aber jetzt in unserem Land die Mehrheit bilden. Wie gestaltet sich der Dialog mit diesen Menschen, zumal immer mehr von ihnen in den entscheidenden politischen Gremien sitzen und daher mit ihrer Macht die Religionspolitik performen. Von daher hätte der Titel des Buches eigentlich „Macht im christlich-islamischen Dialog“ heißen müssen.

Interdisziplinäre Perspektiven
Freiburg: Herder Verlag. 2022
354 Seiten
42,00 €
ISBN 978-3-451-39227-6

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