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Michael Fishbane: Einstimmung auf das Heilige. Eine jüdische Theologie
Vom 3. bis 4. November 2019 gab es in Berlin eine gemeinsame Fachtagung der Deutschen Bischofskonferenz mit der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Im Laufe der Tagung kristallisierte sich immer mehr heraus, dass das jeweilige Verständnis von Theologie, ihren Methoden und ihren Gegenständen unterschiedlich ist. Leider konnte dieser Thematik aus Zeitgründen nicht mehr vertieft nachgegangen werden; sie ist aber weiterhin ein zentraler Diskussionspunkt im jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland, der aber bisher wenig bearbeitet wurde. Von daher ist Michael Fishbanes Buch „Einstimmung auf das Heilige – Eine jüdische Theologie“ ein Glücksfall, der konstruktiv von christlicher Seite aufgenommen werden sollte. Wie die Einleitung von Markus Krah zeigt, sind im nordamerikanischen Kontext nach dem Zweiten Weltkrieg bahnbrechende Arbeiten zum Verständnis jüdischer Theologie entstanden (z.B. von A. Heschel, J.B. Soloveitchik, N. Gillman), die aber wenig im europäischen Kontext bekannt sind.
Michael Fishbane entfaltet seinen Ansatz jüdischer Theologie in fünf Kapiteln. Den Ausgangspunkt jedweder Theologie verortet er in der Erzählung vom brennenden Dornbusch (Exodus 3,1 - 4,17), in der von der ersten Begegnung Mose mit Gott berichtet wird. Für Fishbane hat dabei die Offenbarung des Gottesnamens zentrale Bedeutung, den er als „Ich werde sein, wie ich sein werde“ (Exodus 3,14) übersetzt. Die Eigenbezeichnung Gottes im Futur zeigt, dass Jahwe für jeden Menschen und zu jeder Zeit eine Zukunft eröffnet und daher immer dem Sein den Vorzug vor dem Nicht-Sein gibt. Von daher beinhaltet der Glaube an Gott immer die Hoffnung auf eine fortgesetzte Creatio continua, die Leben will und Leben schafft.
Theologie hat für den Theologen daher seit der Selbstoffenbarung am Sinai den Auftrag, Gottes Spuren und Wirken in der Welt offenzulegen. Gott selbst ist im Sinne der Theologia negativa für den Menschen nicht greifbar und ein absolutes Geheimnis. Wer und was Gott ist, kann nur indirekt über das erschlossen werden, was im Suchprozess im Alltag von ihm entdeckt werden kann. Von daher ist Theologie für Fishbane kein Unternehmen, das allein am Schreibtisch abgehandelt wird. Im Rekurs auf Luthers Diktum „Vera theologia est practica“ muss Theologie immer konkrete Bezüge zu den jeweiligen Lebenswelten der Menschen haben. Da diese aber je nach Kultur, Ort, Zeit und Erfahrungshorizonten unterschiedlich sind, gibt es diachron und synchron eine große Pluralität von theologischen Ansätzen, die durchaus zu konträren Ergebnissen kommen können.
Zugleich weist Fishbane darauf hin, dass Theologie, die immer menschlichen Ursprungs ist, einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen muss. Das heißt: Theologie ist immer ein geistiger und leiblicher Prozess, weil der Mensch Geist und Leib ist. Ohne die Reflexion auf die leiblichen Erfahrungen und die alleinige Betonung des Geistes ist Theologie nicht nur einseitig, sondern auch falsch. Neben dem Geist sind die Erfahrungen des Leibes gleichwertige Erkenntnisorte der Theologie.
Fishbane versteht seinen Ansatz einer jüdischen Theologie als integratives Projekt, das versucht, die verschiedenen Erfahrungsebenen des Menschen, worunter auch die Wissenschaften, Künste und Politik gehören, als produktive Orte der Gotteserkenntnis zu entdecken. Zugleich hat für ihn die Gotteserkenntnis auch starke (sozial)ethische Implikationen: Weil Gott im Sinne des Shalom als umfassendes Wohlergehen und Heil für den Menschen Zukunft schafft, ist der Mensch wiederum verpflichtet, dies in seinen Beziehungen und Handlungen zu leben.
Für Fishbane muss jüdische Theologie immer in der Lage sein, Wissenschaft, Spiritualität, Ästhetik, Ethik und die Lebenswelten der Menschen zusammenzuführen. Dieser starke integrative Ansatz kann für das christliche Verständnis irritierend sein, zumal es seit dem 19. Jahrhundert zu einer enormen Binnendifferenzierung in der Theologie kam, die sich im 20. Jahrhundert fortsetzte. Zugleich ist auch seine Sprache für Theologen aus dem europäischen Kontext eher ungewöhnlich, weil sie sehr narrativ und poetisch gefärbt ist.
Für den jüdisch-christlichen Dialog und die damit verbundene Theologie ist Michael Fishbanes Buch ein Juwel und ein Gesprächsangebot. Es ist zu hoffen, dass christlicherseits dieses Angebot produktiv an- und aufgenommen wird. Zugleich wird in diesem Werk auf eine eher indirekte Weise deutlich, wie stark das Christentum vom Judentum geprägt ist. Dies wiederzuentdecken, müsste gegenwärtig eine hohe Priorität haben.
Zum Schluss soll lobend erwähnt werden, dass das Buch hervorragend lektoriert wurde. Vor allem der Anmerkungsapparat bietet viele Verständnishilfen. Weiterhin wäre es für den europäischen und deutschen Kontext hilfreich und produktiv, wenn weitere Werke jüdischer Theologen aus dem nordamerikanischen Bereich übersetzt und herausgegeben würden.
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Manfred Oeming und Udo Richter
Mit einem Geleitwort von Manfred Oeming und einer Einleitung von Markus Krah
Freiburg: Herder Verlag. 2023
288 Seiten
35,00 €
ISBN 978-3-451-38980-1