Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Michael Hampe: Wozu? Eine Philosophie der Zwecklosigkeit

 

Was kann ich von einer „Philosophie der Zwecklosigkeit“ erwarten? Eine Erklärung, warum alles zwecklos ist, oder eine kritische Auseinandersetzung mit dem Streben nach der Erfüllung von Zwecken. Letzteres ist hier der Fall.

Michael Hampe entwickelt in der Form einer „autobiographischen Philosophie“ Möglichkeiten, sich selbst zu denken und den Menschen in seinem Welt-, besonders Gesellschaftsbezug und in seiner Endlichkeit zu begreifen. Bezugnehmend auf eigene biographische Ereignisse werden eine Vielzahl von Fragen gestellt und Denkmöglichkeiten entwickelt, die andeuten, in welcher Richtung der Standpunkt des Autors liegen könnte.

Hampe beginnt mit den Grundvollzügen „Unterscheiden“ und „Bewerten“. Diese erweitern sich und differenzieren sich mit Hilfe des Lernens von Sprache innerhalb einer Gesellschaft aus. Die Gesellschaft nimmt Einfluss auf das Individuum, indem dessen „Aufmerksamkeit“ auf „Projekte“ gerichtet wird, also auf klar bestimmte Zwecke, die in Zukunft realisiert werden sollen. Hampe spricht hier von Erziehung als „Abrichten“.

In seinen biographischen Notizen, etwa denen zu Traum und Wachsein, Spiel und Ernst oder Erfahrungen mit Leid und Tod, entwickelt Hampe vor allem die Fragwürdigkeit der Wirklichkeit, des eigenen Selbst und dessen Sinnbezug. Das Verschwinden des Strebens nach Realisierung von Zwecken erscheint ihm als besondere Form des Glücks. In der Kontemplation kann dies erfahren werden, wenn die Aufmerksamkeit nicht mehr der Zukunft gilt, sondern der Gegenwart.

Grundlegend für die weitere Betrachtung ist für Hampe der skeptische Blick auf alles. Er hebt die Endlichkeit der Erkenntnis hervor, die sich der Wirklichkeit nur in Bildern nähern kann. Davon ausgehend kritisiert er das Bewerten, das das hierarchische Denken begründet. Er sieht die Besonderheit von Situationen durch die Verwendung allgemeiner deskriptiver sowie normativer Prinzipien vernachlässigt.

Dass das Sich-Ausrichten auf Zwecke und das Bewerten in unserem Denken eine so große Rolle spielen, sieht Hampe als Folge der Philosophie von Aristoteles. Als Gegenentwürfe stellt er die Positionen von Samuel Beckett, Baruch de Spinoza und Wilfrid Sellars dar. Während Beckett das Dasein durch letztlich sinnlose Wiederholungen gekennzeichnet sieht, wendet sich Spinoza gegen die Zweckhaftigkeit, da sie als Mittel verstanden wird, göttlicher Bestrafung zu entgehen. Sich der Wirklichkeit Gottes zu nähern bedeutet für Spinoza stattdessen die Dinge befreit von ihrer Zweckhaftigkeit zu betrachten. Sich dem Empfindungsstrom, bezogen auf die phänomenale Welt, zu überlassen, anstatt sich der Welt erklärend und bewertend gegenüberzustellen, wird anhand von Sellars als Alternative zur Zweckhaftigkeit dargestellt. Mit Simone Weil schließlich plädiert Hampe für eine reine Aufmerksamkeit, die frei von der Ablenkung durch Zwecke ist und den freien Blick auf die Wirklichkeit gestattet. Abschließend wird mit Ludwig Wittgenstein verdeutlicht, dass die Bilder, in denen man eine Vorstellung der Welt gewinnt, dann wichtig sind, wenn sie, auch wenn sie verdinglichen, nicht auf Tatsachen, sondern auf die Lebensführung zielen.

Der in diesem Buch durchgehende skeptische Blick Hampes drückt sich darin aus, dass es überwiegend aus Fragen besteht sowie aus Sätzen, die aussagen, was der Fall sein kann oder was etwas zu sein scheint. Aus einem Skeptizismus wird aber erst dann eine Philosophie, wenn man einen Standpunkt vertritt, auch wenn dieser kritikwürdig ist und bleiben muss. Der ist hier oft nur schwer feststellbar. Ebenso sind begriffliche Zuspitzungen oft erst aus dem Zusammenhang erkennbar, wenn z. B. der Begriff des zweckgerichteten Handelns auf die Realisierung nahezu durchgeplanter Lebensprojekte beschränkt wird, mit gesellschaftlich bestimmten, meist unhinterfragten Zwecken. Dass Hampes deutliche Kritik am Argumentieren und an allgemeinen Prinzipien nur diejenigen betrifft, die verabsolutiert werden, erfährt man erst am Ende des Abschnitts.

Berechtigt ist seine Kritik, wenn sie sich auf solche „Bewertungen“ bezieht, die nur den unmittelbaren Nutzen im Blick haben, die eine Unterwerfung unter Sachzwänge zur Folge haben. Nachvollziehbar ist auch der Wunsch nach einer Offenheit für die Wirklichkeit ohne Nachweis der Nützlichkeit für Bestimmtes. (Welche/r Lehrerin / Lehrer verzweifelt nicht gelegentlich an der hartnäckigen Forderung, die Nützlichkeit des Lernstoffs nachzuweisen.) Aber der Weltbezug des Menschen ist immer ein intentionaler Akt, es geht immer um (Bewertungen einschließende) Bedeutungen, die zum Selbstverständnis beitragen und Handlungsmöglichkeiten erschließen. Auch ein Selbst- und Weltbezug, der sich von einem von Zwecken bestimmten Denken lösen will, ist eine Intention und insofern selbst ein Zweck. Zu wenig beachtet Hampe meiner Ansicht nach, dass für das Verständnis des Menschen von der Wirklichkeit der Akt der Reflexion auf sich selbst und damit auf die Welt grundlegend ist und dass es Ergebnis von Entscheidungen ist, die Bewertungen voraussetzen.

Da ich mich als Philosoph zu einer kritischen Haltung auch mir selbst gegenüber verpflichtet sehe, könnte ich die Position des Autors auch missverstanden haben. Möglicherweise habe ich ein entscheidendes „kann“ im Text übersehen oder eines zu wenig in meinen Text eingefügt.

München: Carl Hanser Verlag. 2024
233 Seiten
25,00 €
ISBN 978-3-446-27916-2

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