Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Michael Köhlmeier / Konrad Paul Liessmann: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?

Mythologisch-philosophische Verführungen

Originell ist nicht nur der Titel. Originell ist auch die dialogische Form des Buchs: Der österreichische Autor Michael Köhlmeier erzählt jeweils ein Volksmärchen, eine Geschichte aus dem Alten Testament, Auszüge aus Heiligen- oder Heldenlegenden oder eine Episode aus der griechischen Mythologie und ordnet sie Schlüsselbegriffen der Menschheit zu: Neugier, Arbeit, Gewalt, Rache, Lust, Geheimnis, Ich, Schönheit, Meisterschaft, Macht, Grenze und Schicksal. Dann folgt, grafisch abgesetzt, die Rede des Wiener Philosophen Konrad Paul Liessmann. Und hier wird es nun mitunter kurios. Die Kritiken überbieten sich für diesen Dialog mit Lob, beruhigenderweise jedoch findet man auch einzelne, die sich trauen, von Plattitüden zu sprechen. 

Liessmann lenkt beispielsweise, Bezug nehmend auf die Geschichte des Daidalos, den Diskurs dahin, dass es verführerisch sei, die Natur zu überwinden. So weit, so gut. Immerhin machte es Daidalos möglich, so der Mythos, dass sich eine Frau mit einem Stier vereinige: Dazu schreibt Liessmann allerdings: „Ohne den Vergleich zu weit treiben zu wollen, erinnert dies doch ein wenig an jene technischen Innovationen der Reproduktionsmedizin, die es kinderlosen oder homosexuellen Paaren oder Frauen jenseits der Menopause doch noch erlauben, zu Kindern zu kommen.“ (41)

Auch das aktuelle Thema Flüchtlinge will er offenbar nicht aussparen. Unter dem Stichwort „Gewalt“ erzählt Köhlmeier zunächst ein weniger bekanntes Märchen über die Inkarnation des Bösen, das als fremde, schöne, hilflose und traurige Frau getarnt ist. So getarnt kann das Böse alles und alle vernichten. Alle, die so vernichtet wurden, sind laut Liessmann zu „Opfern ihres Mitleids“ (58) geworden. Liessmann schreibt: 

„Die Versuchung liegt nahe, dieses Märchen auch unter dem Gesichtspunkt der Flüchtlingsdiskussion zu deuten. War es nicht so, dass die unzähligen Bilder trauriger Menschen, von denen man nichts wusste, moralische Gefühle in kaum bekannter Intensität auszulösen wussten? Und ist der Wille, fremdes Leid zu mindern, nicht auch in Gefahr, sich diesem auf Gedeih und Verderb auszuliefern? War es nicht dieser Wille zum Guten, der lange nicht wahrhaben wollte, dass Trauer und Schutzbedürftigkeit keine moralischen Qualitäten sind?“ (61) 

Er fabuliert weiter über eine erotische Dimension des schönen jungen Flüchtlings. Und stoppt sich gewissermaßen selbst, wenn er schreibt: „Nein, wir wollen dieser Versuchung nicht länger nachgeben und dem Märchen nicht mehr Bedeutung zugestehen, als es in seiner archetypischen Konstruktion aufzuweisen vermag“. Welche Versuchung? Und wieso führt er diese Gedanken episch breit aus, wenn er sogleich schreibt, das Märchen damit nun vielleicht doch überstrapaziert zu haben? Eine wenig christliche und nicht nur deshalb befremdliche Lesart. Ad hoc fielen mir mehr Märchen ein, die uneigennützige Fürsorge oder Empathie mit einem Königreich belohnen. 

Zum Teil ist also schon die Vorlage zu dem jeweiligen Schlüsselbegriff fragwürdig gewählt. Treffsicher hingegen gewählt ist die Geschichte der Tantaliden für das Kapitel Rache. Liessmann schreibt dazu: „Und eines gibt es nicht: eine klare Trennung von Tätern und Opfern“. Und doch gibt es in dieser Geschichte von Kannibalismus, Rache und Gewalt einige wenige nachvollziehbare „Trennlinien“: Tantalos‘ Enkel Atreus beispielsweise zerstückelt aus Eifersucht die Söhne seines Bruders Thyestes, um sie ihm zum Mahl vorzusetzen. Und Thyestes wiederum vergewaltigte daraufhin sein „Töchterchen“, wie Köhlmeier schreibt, um den von den Göttern prophezeiten Rächer zu bekommen. 

Würde man beim Lesen nicht über diese kleineren Ungenauigkeiten und jene größeren Plattitüden stolpern, es wäre ein interessant und kurzweilig zu lesender Dialog. Und die vielen Querverweise, sei es auf Kierkegaard, Hegel, Adorno, Goethe und viele andere und deren Sicht auf Schlüsselbegriffe des Lebens, sind unterhaltsam eingeflochten und lassen erahnen: Es hätte eine schöne Tasse Tee mit einem großartigen Erzähler und einem Philosophieprofessor werden können.

München: Carl Hanser Verlag. 2016
223 Seiten
20,00 €
ISBN 978-3-446-25288-2

 

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