Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Nikolas Jaspert: Die Reconquista

Das harmonische Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Religionen gehört zeitgenössisch zu den großen Zielen liberaler Gesellschaften. Diese Zielvorgabe erfordert eine Auseinandersetzung mit historischen Deutungsmustern religiös begründeter Kriege wie Kreuzzüge, Djihad oder auch Reconquista, die wieder in aller Munde sind und ein Zusammenleben von Angehörigen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen erschweren. Zu einem der wirkmächtigsten propagandistischen Deutungsmuster gehört die „Reconquista“-Ideologie der Ibero-Romania, die noch heute in verwandten Ideologien wie rechtsradikale neo-nationalistischen Bewegungen und djihadistischen Strömungen aufscheint.

Nikolas Jaspert legt mit seinem historischen Überblick über „die“ Reconquista in der christlich-muslimischen Iberia zwischen 711 und 1492 einen wesentlichen Grundstein zur Beschäftigung mit religiösen Entwicklungen und kulturellen Verflechtungen in multireligiös geprägten Staaten und Grenzräumen. Statt das Bild der sukzessiven und blutigen Rückeroberung islamischer Hoheitsgebiete in der mittelalterlichen Iberia seitens des Christentums durch unangemessene Vereinfachungen zu befördern, entlarvt er die sogenannte Reconquista auf profunde und ansprechende Weise als wirkmächtiges, konstruiertes Narrativ, das das wechselnde Kriegsglück der iberischen Königreiche nicht ausreichend berücksichtigt und Phasen des kulturellen Austauschs zwischen Christen, Muslimen und auch Juden verschleiert. In einer Kombination aus chronologischer Schilderung der einzelnen Phasen muslimischer oder christlicher Expansionserfolge einerseits und thematisch interessanten Einblicken in neue Interessensfelder der Forschung andererseits wird die Lektüre zu einem kurzweiligen Vergnügen. Das schmale Bändchen bietet eine detaillierte Analyse der zeitlichen Abfolge der wechselseitigen Geschichte, die auf der Grundlage profunder Quellenrecherche stets beide Religionsparteiungen in ausgewogenem Verhältnis im Blick behält und offenlegt, dass es keine geradlinig verlaufene Reconquista gab. Eine chronologische Herangehensweise birgt in Überblicksdarstellungen stets die Gefahr, die Leser mit Namen und Daten zu überfrachten. Trotz knapper Darstellung der Zeitspanne von knapp 800 Jahren gelingt es auch in diesem Band nicht immer, die Komplexität und Verworrenheit der Ereignisse durch Reduzierung von Namen und Daten sowie durch Elementarisierungen aufzuheben.

Die Stärke der Abhandlung liegt stattdessen auf der thematisch interessanten Präsentation neuerer Forschungsergebnisse: Hierzu zählt etwa der Nachweis einer ethnischen und religiösen Heterogenität der Eroberer der frühesten arabischen Expansion, die die Rede von einer Islamisierung der eroberten iberischen Gebiete zumindest in der Frühzeit nicht zulässt. Daraus ergibt sich die Frage nach den Gründen einer religiösen Aufladung der Rückeroberungen durch christliche Herrscher seit dem 11. Jh. und dem sich etablierenden Narrativ eines heiligen Gotteskrieges, das ähnlich und doch nicht identisch mit der Kreuzzugsideologie verwendet wurde.

Aufschlussreich für das Verständnis aktueller Konflikte im gesellschaftlichen Miteinander der unterschiedlichsten Kulturen und Religionen in Deutschland sind die Kapitel über sogenannte „Grenzgesellschaften“ (Kap. 7) und über das Leben unter der Herrschaft Andersgläubiger (Kap. 9). Der Lebensalltag an nicht statischen Religionsgrenzen habe Kulturgesellschaften hervorgebracht, die sich von der je islamischen oder christlichen Gesellschaft des Binnenlandes unterschieden und von einem Wechsel zwischen Grenzstreit und Grenzharmonie geprägt waren. Die Phasen der Harmonie seien weniger von einem toleranten Miteinander der Religionen als von einem wirtschaftlich-politischen Pragmatismus geprägt gewesen, da die Gefahr gewalttätiger Auseinandersetzungen mit Personenraub latent vorhanden war. Der Gefangenenloskauf brachte institutionalisierte Formen hervor, die andernorts ihresgleichen suchten. Die Iberia wies die höchste Dichte an Ritter- und Gefangenenbefreiungsorden wie Trinitarier oder Mecedarier auf, deren Vorbild der muslimische Ribāt, ein durchaus vergleichbarer Ritterorden, gewesen sein könnte. Auch das Leben unter der Herrschaft Andersgläubiger war nicht von tolerantem Zusammenleben geprägt, wie es einige neuere Forschungstendenzen nahelegen möchten. Zwar gab es meist eine religiöse Duldung von Minderheiten, die jedoch weniger Rechte besaßen und sich eher um Abgrenzung als um Assimilation bemühten, was die Frage nach dem Gelingen von Integrationsprozessen in Staaten der Gegenwart als hochgradig politische Angelegenheit wieder aktuell werden lässt.

Es gelingt Nikolas Jaspert durchweg, die Relevanz des historischen Reconquista-Narrativs für aktuell vergleichbare und kontrovers diskutierte Fragestellungen (etwa nach dem „clash of civilizations“ der „christlichen“ und „islamischen“ Welt) offenzulegen und so die vermeintliche Deutungshoheit ideologisch enggeführter Deutungsmuster zu entlarven, zugleich aber auch vor Verharmlosungsversuchen zu warnen. Alles in allem ist die Lektüre im Spiegel aktueller Politik überaus empfehlenswert.

Christen und Muslime auf der Iberischen Halbinsel 711-1492
München: C.H. Beck Verlag. 2019
128 Seiten m. zwei Karten
9,95 €
ISBN 978-3-406-74007-7

 

Zurück