Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Norbert Feinendegen: C. S. Lewis: Überrascht von Gott

Die Gnade Gottes führte ihn „gnadenlos“ zum Christentum. Sein messerscharfes Denken ließ ihm keinen anderen Ausweg. Es erging ihm wie Augustinus (255, Fußnote 112). Er kapitulierte schließlich vor Gott und nannte sich später „de[n] niedergeschlagenste[n] und widerwilligste[n] Bekehrte[n] in ganz England“ (247, 253). Es war ihm wichtig zu betonen, „dass Gott selbst ein lebendiger Akteur in seiner Bekehrungsgeschichte war“ (13). Wie kam es dazu, dass ein ehemals freiheitsliebender Hardcore-Materialist, der sich gegen alle auch transzendenten Einmischungen in sein Leben verwahrte (131), zum demütigen Christen wurde und rückblickend sagt: „I was not born to be free – I was born to adore and obey.“ (Ich wurde nicht geboren, um frei zu sein – ich wurde geboren, um anzubeten und zu gehorchen.) Norbert Feinendegen ist dem in einem spannend zu lesenden Buch nachgegangen.

Aus seinen autobiographischen Äußerungen „Early pros Joy“ (EP) und „Surprised by Joy“ (SbJ), die Feinendegen in der Bekehrungsgeschichte von C. S. Lewis zu verorten sucht, geht hervor, dass Jack, wie er sich gern von Freunden nennen ließ, wie ein anderer „Jack“, Jakob, der Stammvater Israels mit Gott – statt einer ganzen Nacht, 10 Jahre seines Lebens rang – und wie der biblische Jack erst gegen Morgengrauen, ähnlich C. S. Lewis erst sehr spät im Morgengrauen seines beginnenden Christseins erkannte, wer sein Gegner war.

C. S. Lewis wehrte sich gegen die Wirksamkeit der Gnade Gottes in einem Zweifrontenkrieg. Ich verwende diese Metapher, weil Lewis nach und nach lernen musste, dass die wesenhafte Unerkennbarkeit Gottes von Menschen nur mythisch, metaphorisch in Sprache gefasst werden kann und Gott selbst in seiner Menschwerdung eine unüberbietbare Metapher (vgl. 281ff) Realität werden ließ. Im Vorfeld dieses Zweifrontenkrieges haben nordische Mythen, keltische Sagen und überhaupt ein Gestimmtsein für archaische Erzählungen, die mit Natur, Landschaften und Jahreszeiten innig verwoben sind, eine Erfahrung von Joy verursacht. Hierhin gehört auch die Begeisterung für die Musik Wagners (vgl. 47ff).

Die erste Front des Zweifrontenkrieges führte er gegen Sinn und Gefühl, wenn er nach und nach erfahren musste, wie die Gnade Gottes über Joy (vgl. 22ff) eindringen wollte und sich nicht als bloßes hiesiges Gefühl, Sinnenerlebnis, Freude, Ekstase, mystische Stimmung, pure Ästhetik oder nicht lokalisierbare Sehnsucht zeigte, sondern letztlich als ursprüngliche Freude und Glückseligkeit von woanders her (vgl. 78ff) kam. Die Lektüre Bergsons (102) verhalf ihm, die Erlebnisse von Joy als Imagination zu verstehen. Feinendegen zeigt, wie imaginative subjektive Annäherungen bestenfalls (!) nur in die Nähe des ersehnten Wirklichen führen, die eigentliche Sehnsucht letztlich aber nur von einer objektiven Gabe erfüllt werden kann: „Er bestand darauf, dass die Gottheit in dem Tempel zu erscheinen habe, den er für sie gebaut hatte, eben dies machte ihn aber blind für ihr Erscheinen an einem anderen Ort.“ (79) Er wollte unbedingt einziger Bestimmer seines Lebens und sogar im Bereich des Unbestimmbaren Bestimmer bleiben.

An der anderen Front kämpfte er mit scharfem Intellekt an der sich in seiner Jugend ab 1911 entwickelnden materialistischen Einstellung, von der er sich in Rückzugsgefechten auf die Positionen Realismus, absoluter und subjektiver Idealismus und bloß philosophischem Theismus und dann vom „Spirit“ zu Gott zurückziehen muss, wobei er letztere Position noch verzweifelt gegen ein christliches Gottesbild verteidigt und schließlich vor der Erkenntnis kapitulieren muss, dass Gott in dem Mann aus Nazareth Mensch geworden ist (vgl. dazu das Fazit von 244ff). Feinendegen zitiert dazu eine längere Passage aus „Myth Became Fact“: „Das Herz des Christentums ist ein Mythos, der zugleich ein Faktum ist. Der alte Mythos vom sterbenden Gott steigt herab vom Himmel der Legende und der Imagination auf die Erde der Geschichte, ohne dabei aufzuhören, ein Mythos zu sein. Er ereignet sich – zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort, mit bestimmbaren historischen Folgen. Wir schreiten fort von einem Balder oder Osiris, von denen niemand weiß, wann und wo sie gestorben sind, zu einer historischen Person, die unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde […]. Indem er zum Faktum wird, hört er nicht auf ein Mythos zu sein: das ist das Wunder.“ (281)

So weit die Bewegung vom Abstrakten zum Konkreten (280). Am Ende wurde aus einer „abstrakte[n] Pflicht ein moralisches Gesetz […] zum Gehorsam einer konkreten Person gegenüber“ (252). Denn nur so konnten Imagination, ethischer Impuls und Lehre in einer Einheit gedacht und gelebt werden. Nicht ohne Grund erwähnt Lewis in dieser Bekehrungsgeschichte selbst den großen Gnadentheologen Augustinus an entscheidender Stelle seiner Bekehrung (vgl. 255).

 

Dabei hat alles scheinbar harmlos, schon in seiner Kindheit, mit einer Erfahrung von Joy begonnen. Als Kind – ganz offensichtlich hochsensibel – war ein „Spielzeuggarten im Kinderzimmer“ (22) auslösendes Moment. Einerseits erlebte er eine übergroße Freude und andererseits war Joy auch vom Verschwinden derselben als Erfahrung charakterisiert. In SbJ beschreibt er im Nachhinein Joy „…als eine Sehnsucht nach einer Sehnsucht …“ (23). In seinen autobiographischen Aufzeichnungen dekliniert er Joy in allen Phasen seines Erlebens und Denkens durch, bis er – Norbert Feinendegen hat das im Titel seiner Bekehrungsgeschichte festgehalten – zu Gott fand: Lewis wird „Überrascht von Gott“ und Joy als sensual/emotional/rationaler irdischer Platzhalter entschleiert (142).Joy wird schließlich nach einer anspruchsvollen begrifflichen Durchdeklinierung zu dem, was mit Thomas von Aquin gesprochen, „alle Gottnennen“.

Lewis selbst sieht sich und Gott als Gegner wie in einem Schachspiel (152ff u. ö.), das er schließlich nach vier Schachzügen (196ff) mit einem Schachmatt (247ff) gegen Gott verliert. In mehreren autobiographischen Bemerkungen wurde der schon als kleiner Junge von Joy Überraschte im Alter von 33 Jahren schließlich von Gott überrascht, wobei er Joy zuerst gar nicht mit Gott assoziierte (78). Das alles liest sich bei Feinendegen von Kapitel zu Kapitel wie ein Fortsetzungskrimi. Entscheidende Momente hält Lewis selbst fest: Auf dem Oberdeck eines Linienbusses 1926 „wurde ihm klar, dass er etwas in sich zurückhielt oder aus seinem Leben ausschloss“ (205). Er hatte das Gefühl, sich öffnen zu müssen, die absolute Souveränität über sich selbst aufgeben zu müssen. Das fühlte sich an, „als würde er beginnen wie ein Schneemann zu schmelzen (205). Der 4. Schachzug Gottes wird wirksam: Aus dem unpersönlichen absoluten Idealismus schält sich ein persönlicher werdender subjektiver Idealismus heraus, wobei bloß Spirit personale Form annimmt, ohne schon für uns ein Du zu werden (245). Wir selber – unser Denken und Handeln – sind aber immer noch Vollzüge Spirits, vergleichbar der Figur Hamlets im Werk von Shakespeare (212). Dieser Prozess dauert 4 Jahre lang, an dessen Ende er zum Theisten wird. Zum Christen wird er „auf einem Motorrad“ (288) überrascht. Jetzt ist er endgültig „schachmatt“ (247ff). Er hat die Partie gegen Gott verloren: Gott ist tatsächlich Mensch geworden. Ein Mythos wird historische Tatsache. Imagination und scharfer Intellekt, in den Worten Feinendegens, die Einordnung seiner imaginativen „Erlebnisse in seine theoretische Weltsicht“ (89) ist gelungen, der Zweifrontenkrieg beendet. Die imaginativen nordischen Mythen waren bloß Metaphern, die Menschen sozusagen gegen den Himmel schleudern, aber im Christentum ist aus diesem – wenn auch nicht nordischen Himmel – Gott Mensch geworden. Und er hat den Mythos zum Logos werden lassen, sodass Gott Mythos und Metapher verwendet (vgl. 283) hat, um real Mensch zu werden.

C. S. Lewis scheint nach dieser verlorenen Schachpartie nicht unglücklich geworden zu sein. Er hat jedenfalls keine Revanche gefordert. Aber gleich zwei autobiographische Überlegungen assoziiert er mit Joy: „Early pros Joy“ (1930/31 verfasst) und „Surprised by Joy“ (1955). Feinendegen bringt es dann auf den Punkt: „Jack“ wird nach langem Kampf – im Morgengrauen seines Ringens – endgültig „Überrascht von Gott“.

Wie der große christliche Denker zum Glauben fand
Lüdenscheid: Fontis Verlag. 2023
304 Seiten
19,90 €
ISBN 9783038482567

Zurück