Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Oliver Schlaudt: Das Technozän

Die Welt, in der wir leben, ist in zunehmendem Maße durch die Anwendung von Techniken bestimmt, die immer weiter entwickelt werden. Das Leben in dieser „Technosphäre“ nimmt Oliver Schlaudt zum Anlass für eine Philosophie, die die Technik, deren Entwicklung (Evolution) und deren Folgen für den Menschen besonders in den Blick nimmt. Der Verfasser legt Wert darauf, den Menschen in seiner Bedingtheit etwa von physischen, gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten zu begreifen, ihn aber gleichzeitig als einen auf diese Bedingungen gestaltend Einwirkenden zu beschreiben. In der Entwicklungsgeschichte des Menschen als einem technischen Wesen, der der Hauptteil seines Buches gewidmet ist, wird der dort stattfindende Fortschritt an dem Grad der Komplexität technischen Verhaltens bemessen.

Unter dem Titel „Äußere Ökologie des Menschen“ wird der Mensch als ein Organismus in einer Biosphäre beschrieben, die ihn beeinflusst, in die er aber auch eingreift. Die Veränderungen in der Lebensweise – wie etwa der aufrechte Gang oder das Kochen der Nahrung – schlagen sich in der biologischen Disposition des Menschen nieder (z.B. Wachstum des Gehirns). Dass der Einfluss des Menschen auf seinen Lebensraum den anderer Organismen derartig überragt, liegt an seiner Kultur, der Weitergabe von Technik an die kommenden Generationen. Mit der Zunahme an Komplexität der Technik als Gebrauch und Herstellung von Werkzeugen werden im Lauf der Geschichte die sozialen Beziehungen, also die Gesellschaft, immer komplexer. Zur Tradierung der Technik entwickelt sich die Sprache als eine „symbolische Technik“. Schlaudt erweitert hier den Begriff der Technik um symbolische und soziale „Werkzeuge“. Die Weiterentwicklung von Technik hängt einerseits von den äußeren Gegebenheiten und den kulturell vermittelten Techniken ab, erfordert aber andererseits, dass Dinge und Werkzeuge abweichend von dem tradierten Gebrauch verwendet werden (Exaptation).

Im Folgenden wendet sich der Verfasser der „inneren Ökologie des technischen Menschen“ zu, der Bedeutung des menschlichen Geistes. Der Frage, was und wie gedacht wird, wird in der Entwicklung einer „Technikgeschichte des Geistes“ nachgegangen. Er beginnt mit der Wahrnehmung, die beim Menschen neben dem sinnlichen Abbild auch die Erkenntnis der Funktionalität des Gegenstands einschließt, um sich dann dem Denken zuzuwenden. Für die kognitive Entwicklung sind sowohl somatische Werkzeuge (z.B. Hände) als auch materielle und symbolische – vor allem die Sprache – als eine soziale Technik von Bedeutung. Das Symbolische unterbricht die Unmittelbarkeit von Reiz und Reaktion. Schlaudt versteht Sprache als eine soziale Technik, die, einmal erlernt, eigenständig angewandt werden kann. Sie macht ein durch den Willen gesteuertes Verhalten erst möglich (relative Autonomie). Gesten, Bilder und vor allem die Schrift erweitern die Technik symbolischen Handels. Zu der inneren Ökologie des Menschen gehören die Bedürfnisse und Wünsche des Menschen. Das, was die fortschreitende Technik ermöglicht, führt zwar zur Befriedigung von Wünschen, hat aber Folgen, etwa, dass sie neue Bedürfnisse induziert, für deren Befriedigung der Mensch einen höheren Aufwand hat. Die erhoffte Entlastung durch die Technik wird dadurch egalisiert. Den Menschen sieht Schlaudt deshalb in einer Tretmühle.

Eine weitere Folge der technischen Entwicklung ist, dass das Selbst- und das Weltverständnis sich zunehmend an dem Modell der Maschine orientieren. Die Zielsetzung der Forschung verändert sich immer mehr von der Erkenntnis natürlicher Zusammenhänge zur Naturbeherrschung. Diese Intention findet, so Schlaudt, einen Ausdruck im dualistischen Denken. Eine scharfe Trennung von „Körper“ und „Geist“ werden z. B. dem „Beherrschten“ und dem „Herrschenden“ zugeordnet. Mit solchen Gegensatzpaaren wird das Weltverständnis strukturiert.

Im abschließenden Kapitel wendet sich der Verfasser den Folgen der Technik für den Menschen zu, ihrer Bedeutung im Hinblick auf Freiheit und Glück. Er weist darauf hin, dass Technik neue Abhängigkeiten schafft, insbesondere durch den Müll, der nicht mehr in einen Verwertungskreislauf gelangt, sondern als solcher dauerhaft bleibt. Ein wesentliches Problem wird in der „Monotechnik“ gesehen, der Technik, zu deren Entstehung der Anwender kaum einen Bezug hat und die in ihrer Anwendung wenige Möglichkeiten zu eigener Zweckbestimmung (Exaptation) in sich tragen. Er schließt mit einem Veto gegen eine Technik, die den Menschen zu beherrschen droht.

Dem Gedankengang des Autors kann man phasenweise mühelos folgen; Beispiele sowie zahlreiche Illustrationen und Quellentexte sind hilfreich. Einiges bleibt, was die Verwendung von Begriffen oder die Bedeutung mancher Gedankengänge angeht, unklar. Begriffe wie Denken, Sprache oder Technik werden meist quantitativ verstanden, um deren Evolution als Anreicherung von gedanklicher, sprachlicher oder technischer Komplexität zu beschreiben. Diese Verwendung ist legitim. Dass aber z. B. Sprache als menschliches Vermögen im qualitativen Sinn erst dann als existent angesehen wird, wenn der Mensch hinreichend an dem kulturell tradierten Sprachschatz partizipiert, ist nicht einzusehen.

Manche begriffliche Trennungen sind nicht nachvollziehbar. Was zum Beispiel „Denken“ und „Handeln“ betrifft, wird versucht, das „Zählen“ als eine Handlung zu beschreiben, die erst später ein Verständnis von „Zahlen“ hervorbringt. „Zählen“ ohne eine Vorstellung von dem angezielten Ergebnis, nämlich der Anzahl, ist kein Zählen. Ob für die Darstellung des Ergebnisses Namen von Dingen, Körperteilen oder ob eigens konzipierte Wörter als Zahlwörter dienen, ist ein terminologisches, kein begriffliches Problem.

Auch die ausführliche Auseinandersetzung damit, ob das Denken der Sprache zu Grunde liegt oder umkehrt, ist überflüssig, da man sich fragen muss, was überhaupt gedacht wird, wenn man es sich nicht ausdrücklich machen kann, oder was man überhaupt sagt, wenn man es nicht denkt. Das Problem ist hier: Es werden einzelne Aspekte des Menschen, die als begriffliche Trennungen nur methodisch sinnvoll sind, ontologisiert. Dabei werden Dualismen konstruiert, die Schlaudt erklärtermaßen und zu Recht vermeiden will.

Neben einigen Anregungen, die ich der Darstellung der Wechselwirkungen durch Veränderungen von Mensch und Welt in diesem Buch verdanke, scheint mir das Hauptproblem in der Betrachtung des Menschen hinsichtlich seines relationalen Charakters zu bestehen. Schlaudt legt eingangs zu Recht Wert darauf, den Menschen nicht unabhängig von seinem Welt- und Gesellschaftsbezug zu denken. Der Selbstbezug des Menschen als anthropologisch grundlegende Größe hat jedoch keinen angemessenen systematischen Ort. So scheint der Selbstbezug erst als Ergebnis aus den anderen Bezügen – wobei Technik eine besondere Rolle spielt – hervorzugehen. Berücksichtigt man aber diesen Selbstbezug, dann bedeutet dies, dass der frühzeitliche Mensch als Mensch zu betrachten ist, der denkt und weiß, dass er denkt (Sprache, Bewusstsein) – und somit der (hier verwendete) Begriff der „Menschwerdung“ unsinnig ist.

Eine Einführung in die evolutionäre Technikphilosophie
Frankfurt: Vittorio Klostermann Verlag. 2022
222 Seiten m. s-w-Abb.
19,80 €
ISBN 978-3-465-04586-1

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