Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Perry Schmidt-Leukel: Das himmlische Geflecht. Buddhismus und Christentum – ein anderer Vergleich

Perry Schmidt-Leukel ist Professor für Religionswissenschaft und interkulturelle Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er ist Autor zahlreicher Werke zur Theologie der Religionen und Experte für Buddhismus und Christentum. Im Jahr 2015 hielt er an der Universität Glasgow (Schottland) als erster Deutscher seit fünfundzwanzig Jahren die international renommierten Gifford Lectures und zählt zu den bedeutendsten Religionswissenschaftlern und Theologen der Gegenwart.

Das von Perry Schmidt-Leukel vorgelegte Werk „Das himmlische Geflecht.

Buddhismus und Christentum – ein anderer Vergleich" ist eine anspruchsvolle religionstheologische Anwendung des von ihm entwickelten neuartigen Ansatzes der „fraktalen Interpretation“ religiöser Vielfalt, die von ihm als Antwort auf die Krise der vergleichenden Methode innerhalb von Religionswissenschaft und Theologie gesehen wird (1. Kapitel). Diesem Ansatz liegt die phänomenologisch gut fundierte Entdeckung fraktaler Strukturen, welche eine neue Perspektive für einen Religionsvergleich erschließen sollen (2. Kapitel), zugrunde. Der phänomenologische Befund fraktaler Muster vereinbart sich besonders gut mit einer pluralistischen Religionstheologie (87). In der Geometrie spricht man dann von fraktalen Strukturen, wenn man eine Figur oder ein Objekt vergrößert und der vergrößerte Abschnitt dem Original dann sehr ähnlich oder sogar mit ihm identisch ist. So gibt es phänomenologisch gesehen auch innerhalb einer jeden Religion eine enorme Vielfalt, deren Strukturen öfters jenen der globalen Religionsvielfalt entsprechen. Diese Ähnlichkeiten zwischen den Strukturen interreligiöser und intrareligiöser Vielfalt lassen sich als Fraktale beschreiben. Anders ausgedrückt, die Unterschiede zwischen den Religionen (interreligiös) finden sich vielfach modifiziert und in anderer Gestalt als Unterschiede innerhalb der Religionen (intrareligiös) und als unterschiedliche Formen von Religiosität, die ein religiöses Subjekt im Laufe seines Lebens durchschreitet, einschließlich der sich herausbildenden Formen hybrider und multireligiöser Identität (intrasubjektiv) als fraktale Strukturen wieder.

Schmidt-Leukel vergleicht Buddhismus und Christentum konkret in Bezug auf deren jeweiliges Verhältnis zur Welt (3. Kapitel), zur letzten Wirklichkeit (4. Kapitel), zur dunklen Seite der menschlichen Existenz (5. Kapitel), zu heilsvermittelnden Vorbildern (6. Kapitel), zu Heilswegen (7. Kapitel) und zu den Heilszielen (8. Kapitel). Der konkrete Vergleich in Bezug auf das jeweilige thematische Feld zeigt Kontrastierungen beider Religionen, die häufig als gegensätzlich gedeutet werden: Verblendung im Gegensatz zu Sünde, erwachter Lehrer versus inkarnierten Gottessohn, Selbsterlösung gegen Fremderlösung, entweder glückseliges Entwerden oder glückselige Gemeinschaft.

Der eigentliche Vergleichspunkt wird jedoch in dem Vergleich zweiter Ordnung mit der fraktalen Perspektive sichtbar (8. Kapitel). Es wird deutlich, dass sich die unterschiedlichen Positionen im Hinblick auf das jeweilige Thema wie Verhältnis zur Welt, Heilsproblem, Heilsweg, Heilsziel, Heilsgestalten auch innerhalb einer jeden der beiden Religionen finden lassen. Schmidt-Leukels eigentlicher Vergleichspunkt ist somit „der Vergleich dieser intrareligiösen Unterschiede“ (16).

Das neue Werk von Schmidt-Leukel wirft markante Schlaglichter auf zwei globale religiöse Traditionen: Buddhismus und Christentum. Sein fraktal argumentierender Ansatz trägt sicherlich dazu bei, aus der Metaperspektive der Religionswissenschaft und Religionstheologie die alten Vorurteile und falsche Konzeptionen in Bezug auf Buddhismus auszuräumen. Viel wichtiger ist es aber, dass dieser Ansatz ein verbessertes interreligiös ökumenisches Verständnis des Anderen ermöglicht, welches wiederum „zu einem neuen Verständnis der eigenen Tradition im Verhältnis zum anderen“ führen sollte (366).

Der Verfasser liefert ungeahnte faszinierende Einsichten in Christentum und Buddhismus durch konkrete Anwendung seines fraktalorientierten Ansatzes. Das Buch ist daher sehr zu empfehlen nicht nur für Leser, die sich für Buddhismus und Christentum interessieren, sondern auch für Theologen, Religionswissenschaftler und Leser, die sich über die anspruchsvolle und vielversprechende neue methodologische Entwicklung in Religionstheologie und Religionswissenschaft ein Bild machen wollen und vor allem für diejenigen Leser, die über die eigene Religion religionstheologisch fundiert reflektieren wollen.

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2022
416 Seiten m. farb. Abb.
26,00 €
ISBN 978-3-579-07183-1

Zurück