Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Peter Schäfer: Die Schlange war klug

„Die Hebräische Bibel und ihre rabbinische Deutung erweisen sich als Schlüssel zur Beantwortung der Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen.“ Zu diesem Schluss gelangt der emeritierte Professor für Judaistik (an der Freien Universität Berlin und der Princeton University) und ehemalige Direktor des Jüdischen Museums Berlin Peter Schäfer in seinem bemerkenswerten Buch „Die Schlange war klug. Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen des westlichen Denkens“ in dessen letztem Satz. Auch wer die These des Autors, dass das Konzil von Trient den augustinischen Ansatz einer „im biologisch-genealogischen Sinne vererbten Sünde“ als freiheitsnegierendes Faktum dogmatisiert habe, in dieser Schärfe nicht teilen will, liest das Werk des Berliner Gelehrten mit größtem Gewinn. Der starke Gegensatz, den Schäfer zwischen jüdischer und christlicher Sicht auf Genesis 3 aufbaut, lässt sich ja zumindest mit Blick auf die Rezeptionsgeschichte dieses für die beiden Weltreligionen hochbedeutsamen Textes nicht leugnen, und der „moderne(n) katholische(n) Dogmatik“ gesteht Schäfer das Bemühen zu, „das tridentinische Dogma aus seinem historischen Kontext herauszulösen und statt ‚Erbsünde‘ harmlosere Begriffe zu finden.“ Nur sehr kurz streift Schäfer in diesem Zusammenhang den Grund dafür, dass schon Paulus „von der Schuld des ersten Menschenpaares überzeugt war“ und diese als „felix culpa“ einstuft: Erst das Konstrukt einer sich seit ihren Anfängen unablässig fortsetzenden Ur-Schuld macht das Leben und Sterben Jesu Christi als Erlösungsgeschehen verständlich.

Jenseits aller Erwägungen über die im Dienste der zentralen Aussageabsicht stehenden (zu starken?) Kontrastierungen („pessimistische[s] Welt- und Menschenbild des Christentums“ versus Betonung von Autonomie sowie Partnerschaft zwischen Mensch und Gott im Judentum) löst das Buch den Anspruch des Untertitels, die „Grundlagen des westlichen Denkens“ zu entfalten, durchaus ein. Während die entsprechenden Ausführungen in den letzten Kapiteln eher skizzenhaften Charakter tragen – Immanuel Kants Neudeutung des „Sündenfalls“ wird auf drei Seiten und ohne Bezugnahme auf „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (1793-1794) dargestellt, die „Politische Theologie und Erbsündenlehre bei Carl Schmitt“ zum Abschluss des Buches dagegen auf zehn Seiten – kommen an den eigentlichen Schöpfungsmythen interessierte Leser umfassend auf ihre Kosten.

Als in hohem Maße inspirierend erweist sich daher die Lektüre insbesondere der Ausführungen zu den beiden Schöpfungsberichten bzw. der Erzählung von der Sintflut, die auf eine Übersetzung von Gen 1,1 - 3,24 durch den Autor folgen, ebenso zu dem altorientalischen Atrachasis- sowie dem Gilgamesch-Epos und zu Enuma Elisch, deren Inhalte mit großer Sorgfalt gegenüber den Originaltexten referiert und einem Vergleich mit der Bibel unterzogen werden, zu antiken Autoren wie Platon, Aristoteles und – außerordentlich erhellend – zu Lukrez. Peter Schäfers Werk „Die Schlange war klug“ bietet einen sehr gelungenen geistesgeschichtlichen Abriss sich über Jahrtausende hinweg erstreckender Rezeptions- und Kontrastlinien, der im Einklang zu dessen Schlusssatz und mit Bezug auf die Hebräische Bibel eine Antwort mindestens auf die erste der beiden eingangs zitierten und kulturgeschichtlich zu verstehenden Fragen, nämlich diejenige, „woher wir kommen“, zu geben vermag.

Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen westlichen Denkens
München: C.H.Beck Verlag. 2022
447 Seiten m. farb. Abb.
34,00 €
ISBN 978-3-406-79042-3

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