Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Pierre Claverie: An der Nahtstelle zweier Welten. Muslime und Christen im Dialog

Mit einiger Ehrfurcht nimmt man diese Auswahl von Texten des 2018 seliggesprochenen Dominikaners Pierre Claverie über den Dialog zwischen Muslimen und Christen zur Hand, denn um den Preis seines eigenen Lebens hat sich Claverie im nachkolonialen Algerien in einer von Gewalt gegen Christen geprägten Zeit für ein friedliches Zusammenleben der Religionsgruppen eingesetzt. Als Bischof von Oran wollte er mit unbedingtem Willen zum Dialog auch angesichts des zunehmenden Terrors nicht resignieren und seine ihm anvertraute Herde der noch im Land verbliebenen Christen nicht verlassen. Doch der Hass sparte ihn nicht aus und so fiel er am 1. August 1996 zusammen mit dem erst 21-jährigen Mohamed Bouchikhi, der als Moslem ehrenamtlich für ihn arbeitete, einem Bombenanschlag zum Opfer.

Wer also wäre berufener als Claverie, uns trotz terroristischer Gewalt und verfestigten gegenseitigen Vorurteilen den Weg zu weisen zu einem versöhnlichen und respektvollen Umgang mit dem Islam. Es ist leicht, von der Position einer Mehrheitsgesellschaft aus darüber zu reden, aber ungleich schwerer, ihn als Teil einer ausgegrenzten christlichen Minderheit, die zudem mit der Unterdrückung während des Kolonialregimes in Verbindung gebracht wird, auch zu gehen, wie es Claverie als Bischof von Oran getan hat.

Die 15-jährige Erfahrung Claveries als christlicher Oberhirt in einem muslimischen Land in schwieriger Zeit ist in seine in diesem Band zusammengestellten Texte eingegangen. Friede wäre erreichbar, so seine Erkenntnis, als ein „Zusammenwohnen innerhalb der Verschiedenheit“, wenn alle Seiten sich öffnen würden für das Schätzenswerte der anderen Religion. Damit ließe sich ein fruchtbarer interreligiöser Dialog anbahnen, der Voraussetzung für echtes gegenseitiges Kennenlernen ist, bei dem keine Unterschiede verwischt und keine Probleme, wie die Gefahren eines politischen Islam, blauäugig verharmlost werden. Für Claverie ist es insbesondere die persönliche Begegnung, die uns lehrt, mittels „eines Anderen“ alle anderen zu entdecken.

Erfolgreich kann eine solche Annäherung aber nur dann sein, wenn sie keine „neue Form des Proselytismus“ ist, sondern echtes gemeinsames Befragen der eigenen und anderen Religion, immer in dem Wissen, dass der andere „einen Teil der Wahrheit besitzen kann, der mir fehlt und ohne den meine eigene Wahrheitssuche nicht vollständig abgeschlossen werden kann“. Jede Gebärde der Überlegenheit und der dogmatischen Besserwisserei würde den Dialog zerstören. Zuletzt lässt sich mit einer echten und offenen Begegnung sogar ein inneres teilhabendes Verständnis für den anderen erreichen, wie es Claverie von sich selbst berichtet: „Wenn ich den Muezzin mit Allāhu akbar zum Gebet rufen höre, bete ich – und ich füge hinzu: Ja, groß ist er, aber er hat sich klein gemacht.“ Darin ist zunächst als das Gemeinsame der Glaube an den einen Gott, vor dem wir verantwortlich sind, ausgedrückt, aber mit der sich herabneigenden Nähe Gottes in Jesus Christus auch das Trennende benannt.

Dieses Trennende kann nicht aufgehoben werden, ohne das Heilsereignis der Menschwerdung Gottes in seiner allumfassenden Einmaligkeit zu übergehen. Wie lässt sich dann aber ohne Ausschließung des anderen zur Gemeinsamkeit finden? Zugespitzt fragt Claverie: „Gehört Gott uns?“ – eine Leitfrage, unter die er die Begegnung mit allen anderen Religionen stellt. In einem der besonders interessanten Beiträge des Bandes ringt er um eine Antwort, wobei er an die Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils anknüpft. Es ist der Ausbruch aus der Selbstverschließung bis hin zur Selbsthingabe, der für Claverie alle Religionen verbindet. Und diese Selbsthingabe nimmt mit hinein in das Pascha einer durch Jesus Christus ermöglichten „neuen Geburt durch den Geist“ (Joh 1,13). „Alles, was hilft, diesen Durchgang zu ermöglichen, in allen Religionen einschließlich der unsrigen, ist Weg des Heils und der Erkenntnis des lebendigen Gottes. Alles, was daran hindert und im Besitzen, im Haben einsperrt, in allen Religionen einschließlich der unsrigen, führt bloß in Unkenntnis und Tod.“ Mit der Hingabe des eigenen Lebens im Dienst seiner Herde hat Claverie dieses Wort durch sein Zeugnis bekräftigt.

Wer nachbarschaftlich, in der Kommunalarbeit, als Lehrender oder in der Geflüchtetenhilfe im Dialog mit Muslimen engagiert ist, findet in diesem vom Islamwissenschaftler Felix Körner SJ kenntnisreich eingeleiteten Band Inspiration und Ermutigung.

Einleitung von Felix Körner SJ
Aus dem Französischen von Marta Pavlíková und Marie-Elisabeth Hoyos
Freiburg: Johannes Verlag. 2020
179 Seiten
14,00 €
ISBN 978-3-89411-453-4

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