Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Rainer Enskat: Aufklärung – Wissenschaft – Religion

 

In seinem in einem essayistischen Format gehaltenen Buch diagnostiziert Rainer Enskat ein neuzeitliches Spannungsfeld, das an eine Zerreißprobe grenzt. Anhaltspunkte dafür sieht er in der Selbstüberschätzung des Aufgeklärtseins, dem grenzenlosen wissenschaftlichen Fortschrittsoptimismus sowie im Heilsversprechen des Konsumismus. Die Themen Aufklärung, Wissenschaft und Religion markieren hierbei die zum Verständnis der Struktur des Spannungsfeldes entscheidenden Größen. Zur Erfassung dieser Struktur muss geklärt werden, ob innerhalb von Wissenschaft Aufklärung vollständig geleistet werden kann, und, wenn Religion angesichts von Wissenschaft und Aufklärung überhaupt eine Rolle spielen kann, welche das dann sein soll.

Enskat wählt zur Erklärung der Genese des Spannungsfeldes drei historische Schwerpunkte: Das 18. Jahrhundert als das „Taufjahrhundert“ der Aufklärung steht im Zentrum seiner Betrachtung. Die anderen beiden sind die Reflexion auf dieses Jahrhundert innerhalb der letzten 100 Jahre, sowie die Philosophie Platons, die er als Vorgeschichte der Aufklärung versteht. Maßstab für das, was Aufklärung leisten soll, ist das von Jürgen Mittelstraß entwickelte Kriterium für „gute Aufklärung“, nämlich die ausdrückliche, kritische Reflexion auf das Wissen und Sollen. Enskat legt besonderen Wert darauf, das Sollen nicht zu vernachlässigen. In einem szientistischen Modell von Aufklärung (Diderot) wird der Aspekt des Sollens nicht berücksichtigt, der pragmatische Bezug nur über die Nützlichkeit der Wissenschaft thematisiert. Die Wissenschaft wäre in diesem Modell zum einen alleine in der Lage, Aufklärung zu leisten, und zum anderen würde die Wirklichkeit religiöser Aussagen bestritten werden.

Gegen die Auffassung, dass Aufklärung ohne die Frage nach dem Sollen auskommt, argumentiert er mit Platon. In dessen Höhlengleichnis sieht Enskat Aufklärung zur Sprache gebracht, die die Menschen ans Licht führen soll, wobei das Licht bei Platon für die Idee des Guten steht. Die implizierte Frage nach dem Sollen führt bei Platon zur Religion, der Erfüllung des Willens der Götter. Religion wird die Funktion zugewiesen, für moralischen Halt zu sorgen.

Aufklärung ist demnach immer zur „caritas“ (Bacon) verpflichtet: Das bedeutet, dass den Wissenschaften auch Grenzen gesetzt werden müssen. Dem Menschen fällt dann die Aufgabe zu, an den politischen Entscheidungen teilzuhaben. Die erfordert die Ausbildung der Urteilskraft (Rousseau). Für Rousseau nimmt die Vorstellung des durch Vernunft aufgeklärten Menschen die Stelle religiöser Erlösungshoffnung ein. Mit Kant will Enskat schließlich aufzeigen, dass sich rechtmäßiges Handeln allein aus der Vernunft ableiten lässt und auch ohne die Existenz eines Gottes als „göttlich“ bezeichnet werden kann.

Anzumerken ist, dass Enskat Religion lediglich als ein Mittel versteht, um die Verbindlichkeit des Rechts („Augapfel Gottes“) und die Hoffnung auf Erlösung zu stabilisieren. Dafür wird seiner Ansicht nach weder Gott noch Offenbarung benötigt. Dass Aufklärung innerhalb von Religion eine wichtige Rolle spielt, wird völlig übersehen, die negative Theologie z. B. des biblischen Bilderverbots oder die von Nikolaus v. Kues wird gänzlich ignoriert.

Die Interpretation Kants ist in wesentlichen Punkten unzutreffend: Enskat bezieht sich nicht direkt auf dessen Definition von „Recht“, worin Recht als Vereinbarung (Vereinigung der Willkür) verstanden wird, mit dem Maßstab des „allgemeinen Gesetzes“ (Kategorischer Imperativ). Stattdessen meint er, eine Handlung sei nur rechtmäßig, wenn sie die Wahlfreiheit des Anderen nicht einschränke. Solche Handlungen gibt es nicht. Der Kant‘sche Begriff der Maxime wird als Handlung bzw. Handlungsintention missverstanden, bei Kant sind Maximen Prinzipien. Seine – völlig abwegige – Konsequenz daraus ist, dass er meint, wenn eine Handlung rechtmäßig sei, sei jeder verpflichtet sie auszuführen. Enskat wirft Kant vor, seine Postulatenlehre sei konsequentialistisch. Dass es um die Verwirklichung des „Höchsten Gutes“ geht, wird nicht einmal erwähnt.

Enskat nimmt des Weiteren deutlich Stellung gegen das „free thinking“, der Herstellung von Wissen „ad placitum“. Als Wegbereiter sieht er John Locke mit seinem Wissensbegriff, den er (mit Rainer Specht) für widersprüchlich hält. Wissen versteht Locke als die Evidenz, dass etwas sich so verhält wie die Idee davon. Dieser Begriff verrät von der Definition her noch nichts darüber, wie die Ideen gewonnen werden. Evidenz ist nicht nach Belieben wählbar. Dass hierfür die Plausibilität von Gründen eine Rolle spielt und diese durch empirische Forschung gewonnen werden können, widerspricht dem Begriff in keiner Weise. Widersprüchlich wird es nur dann, wenn man vom Wissensbegriff verlangt, dass Wissensinhalte allgemein als wahr gelten müssen. Da Enskat eine ausdrückliche kritische Haltung zum Wissen vermissen lässt, muss man bezogen auf den Begriff der „guten Aufklärung“ sagen: Der Aspekt des Sollens wird zwar in diesem Buch ausgebreitet, die Frage aber, was man wissen könne, wird so weit ausgeblendet, dass man ein Aufklärungsdefizit konstatieren muss.

Insgesamt ist dieses Buch durch zahlreiche Nebenaspekte und gedankliche Verästelungen nur schwer lesbar. Man sollte die Bereitschaft mitbringen, Sätze, Abschnitte oder manchmal ganze Kapitel mehrfach zu lesen. Um den gedanklichen Weg besser verfolgen zu können, sei empfohlen, die Lektüre mit dem Anfang des Epilogs zu beginnen.

Zur Genese und Struktur unseres neuzeitlichen Spannungsfeldes
Hamburg: Meiner Verlag. 2022
118 Seiten
16,90 €
ISBN 978-3-7873-4145-0

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