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Raphaela Brüggenthies: „Heilige Schwelle“ Der frühe Heine – ein jüdisch-christliches Itinerarium
Wenn man lesend den Kosmos Heinrich Heines (1797-1856) betritt, nähert man sich gleich zwei Welten: einmal der eines der herausforderndsten deutschsprachigen Dichter seiner Epoche, darin ganz und gar individuell und einzigartig; gleichzeitig aber auch dem Leben einer repräsentativen Gestalt, hin- und hergerissen zwischen den Welten des ererbten Judentums und der durch Konversion erschlossenen Welt des (evangelisch geprägten) Christentums.
Dass Heines Konversion kaum einer wirklich religiösen Überzeugung entsprochen hatte, dass er sie umgehend bereuen und später herunterspielen würde, das war bekannt. Auch, dass diese Taufe ihm primär als billet d’entrée zur kulturellen Zugehörigkeit dienen sollte – eine Wunschvorstellung, die sich nicht erfüllen würde –, gehörte zum Allgemeinwissen über diese Dichter.
Was bislang aber nicht vorlag, war eine gründliche Untersuchung über „die Bedeutung des Konversionsthemas im Frühwerk in seiner ganzen Breite und Tiefe“ (10), die „interdisziplinär germanistisch-theologisch-judaistisch angelegt“ (9) ist. Diesen Ansatz legt nun Raphaela Brüggenthies in ihrer germanistischen Dissertation vor. Sie ist Ordensschwester der Benediktinerinnenabtei St. Hildegard (Rüdesheim). Der grenzensprengende Grundzug dieser bestens lesbaren Arbeit wurde mit dem „Kulturpreis Bayern 2021“ ausgezeichnet.
Die Arbeit folgt einem „biographischen Ansatz“ – ein in den Literaturwissenschaften umstrittener Ansatz. Warum hier dieser Zugang? Weil „im Zeitalter der Romantik kaum ein Dichter sein Privatleben so offen zum Stoff seiner Literatur erklärt hat“ (12). Eine überzeugende Entscheidung, die sich in den Entfaltungen der Arbeit bewährt. Gleichwohl arbeitet die Verfasserin dicht an den zugrunde gelegten Texten. Texte, zeitgeschichtliche Kontexte und biographische Durchdringungen ergeben ein dichtes Gewebe.
Heines Leben und Schreiben ist von Reisen geprägt. Sein Werk folgt einem eingeschriebenen Itinerar, diese Idee weist der Studie ihren Titel. Drei Frühwerke stehen im Zentrum dieser inneren wie äußeren Reise: zunächst ein Erstlingswerk, die Tragödie Almansor, die sich äußerlich einem mittelalterlichen muslimisch-christlichen Konflikt widmet, darin jedoch parabolisch die deutsch-jüdische Problematik von Heines Gegenwart spiegelt. Heines Erstroman „Der Rabbi von Bacharach“ geht erneut zurück in eine historische Episode, wagt aber den Sprung in die geographische Nähe im Blick auf die „Schum-Städte“ Speyer, Worms und Mainz, die vor den Kreuzzugspogromen als „Jerusalem am Rhein“ (172) galten.
„Die Harzreise“ schließlich spiegelt Heines Ringen um einen eigenen gesellschaftlichen Platz auch vor, während und nach der – wie nebenbei und fast verschämt vollzogenen – Taufe am 28.06.1825 in Heiligenstadt. „Kein Akt des Glaubens“ (S. 148) war diese Taufe, sondern der Versuch, sich anzupassen. Die erhoffte Aufnahme in die Gesellschaft – beruflich, als Schriftsteller, in die erhofften Peergroups – erfolgte nicht. Die Studie zeichnet die Verbitterungen Heines nach, sein Ringen um Anerkennung und Zugehörigkeit, sein immer wieder neues Durchdenken von Christentum und Judentum im Spiegel von historischen Sujets. Dass dieses Ringen auch von einer „tiefen Antipathie gegen das Christentum“ (89) geprägt war, gehört zu den Erkenntnissen dieser Studie.
Die Jahre zwischen 1816 und 1826 lassen sich so im Nachhinein als „Schwellenzeit“ (407) charakterisieren: als – vergebliche – Versuche, sich vom Judentum zu befreien. Die „Harzreise“ etablierte ihn zwar als ‚deutschen Autor‘, der sich gleichwohl nicht von seiner Herkunft befreien konnte. „Der nie abzuwaschende Jude“ treibe ihn „von hinnen“ (ebd.), schreibt er 1826 in einem Brief. 1831 wird er Deutschland verlassen und nach Paris gehen. Die Krankheit zum Tode wird ihn dort noch einmal ganz anders, ganz neu zu seinem Judentum zurückführen. Aber das ist nicht mehr Thema dieser Studie.
Die Dissertation zeigt glänzend auf, was die Germanistik gewinnt, wenn sie sich auf die Wege interdisziplinärer Brückenschläge traut und hermeneutisch die widersinnige Beschränkung auf textimmanente Verfahren aufsprengt. Das vorliegende Itinerarium verlockt zum Mitgehen. Schade nur, dass die Arbeit ausgerechnet vorliegende Studien des theologisch-literarischen Dialogfeldes ausblendet. Karl-Josef Kuschel hat 2002 eine Studie über „Gottes grausamer Spaß?“ publiziert, einen Einblick in „Heinrich Heines Leben mit der Katastrophe“. Wo Brüggenthies auf Heines Anfangsjahre im Spannungsfeld der Religionen blickt, zentriert sich Kuschel auf die Endjahre, freilich mit Rückblenden auf die in der vorliegenden Arbeit zentral betrachteten Fragen. Heines „Almansor“ lässt sich – so Kuschel in einem aufgeführten, aber nicht genutzten Aufsatz von 2007 – als Gegenentwurf zu Lessings „Nathan“ deuten, gerade in der Parabolisierung persönlicher Konstellationen. Hier bleibt die vorliegende Arbeit zu stark in ihrem Eigenduktus verhaftet. Weitere Verschränkungen und Perspektiven neben dem gewählten Fokus wären möglich, gewinnbringend und herausfordernd. Da der Verfasser im vorliegenden Feld weiterarbeitet, erhofft sich der Rezensent eine künftige Diskurserweiterung. Die Perspektiven sind glänzend.
Göttingen: Wallstein Verlag. 2022
464 Seiten
39,00 €
ISBN 978-3-8353-5175-2