Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Religionslehrer:in im 21. Jahrhundert

Die Entkirchlichung und Entchristlichung Mitteleuropas kann nicht ohne Konsequenzen für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen bleiben. Vieles an der gegenwärtigen religionspädagogischen, in Teilen auch zivilgesellschaftlichen Diskussion über die Zukunft des Faches ähnelt Überlegungen und Frontstellungen der 1970er Jahre, als es den Kirchen sowie der universitären Religionspädagogik schlussendlich gelungen ist, den RU neu zu begründen und zu stabilisieren. Gegenwärtig stehen v. a. organisatorische Änderungen im Blickpunkt, also die flächendeckende Einführung des konfessionell-kooperativen oder des christlichen RU in Niedersachsen. Im Kern wird hier administrativ allerdings lediglich nachgeholt, was in den Schulen schon längst vorlaufende Praxis ist.

Dass die Organisationsfrage aufs Ganze gesehen jedoch nur einen Teilbereich der anzugehenden Probleme darstellt und mit Blick auf die Gesamtsituation des Faches ohnehin von nachrangiger Bedeutung ist, zeigte eindrucksvoll die Heidelberger Konsultation „Religionslehrer:in im 21. Jahrhundert“ im Frühherbst 2022, deren Voten jetzt in gedruckter Form vorliegen. Die von protestantischen und katholischen Fakultätentagen gemeinsam initiierte Veranstaltung sowie der Sammelband führten bzw. führen Perspektiven und Überlegungen in operativer Absicht zusammen, die bislang verstreut, manchmal auch nur hinter vorgehaltener Hand die Einzeldebatten bestimmt haben.

Im Kern geht es um die Subjekte des Religionsunterrichts, allerdings nicht um die Schülerinnen und Schüler, sondern um die zukünftig Lehrenden und deren Verortung in theologisch-fachlichen, fachdidaktisch-kommunikativen sowie religiös-kirchlichen Kontexten. Dass die Studierenden seit vielen Jahren andere Skills in das Studium, das Referendariat und die Schule einbringen als die Altersgenossen im letzten Jahrtausend, ist als Erkenntnis nicht neu. Viele Fertigkeiten sind dabei höchst bedeutsam; erinnert sei nur an die Kompetenzen im digitalen Bereich. Gleichwohl werden in dem Sammelband behutsam „Defizite“ zur Sprache gebracht: eine häufig nur rudimentäre Vertrautheit mit christlicher Praxis, eine extrinsische Motivation, zuweilen auch fehlende intellektuelle Kapazitäten. Diese „problematischen Erscheinungen“ stehen gestiegenen Anforderungen an den Lehrberuf im Allgemeinen und den Religionslehrer-Beruf im Besonderen gegenüber. Nach Ansicht der im Tagungsband zu Wort Kommenden sind für alle drei Bildungsphasen (Studium – Seminarausbildung – Fortbildung) freilich noch keine adäquaten und flächendeckenden Konsequenzen aus der insgesamt veränderten Konstellation gezogen worden. Die Voten der Heidelberg-Tagung enthalten deshalb allerlei Reformvorschläge, deren Verwirklichung allerdings nur zum Teil im Befugnisbereich der Fordernden liegen.

Der erste Abschnitt des Sammelbands stellt modellartig Professionstheorien vor, die auch jenseits der Religionspädagogik diskutiert werden. Insbesondere das COACTIV-Modell sticht heraus, da es transparent die zu bespielenden Kompetenzfelder vorstellt und damit einer handhabbaren und fachlich grundierten Theorie-Praxis-Verzahnung entgegenkommt.

Der Reform des Theologiestudiums ist der zweite Block der Beiträge gewidmet. Als Nucleus scheint sich ein Konsens dahingehend abzuzeichnen, dass Studierende Assistenz bräuchten in der Herausbildung einer je eigenen Theologie als organisierendes Prinzip des Lernens und Ordnens von Kenntnissen. Die intellektuell-fachliche und die intellektuell-persönliche Bearbeitung von Herausforderungen beinhaltet damit genau das, was niedrigschwelliger mit den Schülerinnen und Schülern geleistet werden soll. Damit ist ein Bogen geschlagen zu der in jüngster Zeit erneut aufgekommenen Debatte um die „Positionalität“ von Lehrkräften und zu dem ebenfalls nicht neuen Vorwurf an die Universitäten, sie bereiteten die Studierenden nur mangelhaft auf die Anforderungen in der Schulpraxis vor. Diese Diskussionsstränge sind implizit in allen Debattenbeiträgen gegenwärtig. Daneben wird die heikle „Auslesediskussion“ aufgegriffen, die als „Berufseignungsabklärung“ firmiert und Universitäten sowie Studienseminare mehr oder weniger intensiv beschäftigt.

Überlegungen zu schulformen- und schulstufenspezifischen Herausforderungen mit ihren je eigenen Praxislogiken sowie bundesländerspezifische Organisationsfragen bestimmen einen Teil des dritten Abschnitts. Dass der RU in der Oberstufe eines von Bildungsbürgern favorisierten Gymnasiums andere Fertigkeiten einfordert als eine sich inklusiv verstehende Brennpunktschule, bedarf keinerlei Ausführungen. Deutlich wird aber: Die Religionslehrkraft gibt es nicht, Professionalisierung ist höchst kontextgebunden. Und nicht alles, was an schulformbezogenen Herausforderungen wartet, wird in der ersten und zweiten Phase zufriedenstellend bearbeitet werden können.

Interessant, informativ, aber nur bedingt von praktischem Interesse sind die Darstellungen zur Bildung nichtchristlicher und orthodoxer Lehrkräfte sowie die Situationsskizzen für ausgewählte Staaten Europas. Wer die Berichte aus den Nachbarländern studiert, wird die vergleichsweise organisatorische Übersichtlichkeit in Deutschland und die Option, das konfessorische Profil starkmachen zu können, zu schätzen wissen.

Wie schwierig es ist, eine inhaltliche Neuausrichtung des Lehramtsstudiums vorzunehmen, wird im vierten großen Abschnitt des Bandes deutlich: Was muss bleiben, was muss modifiziert werden und was kann weg? Während beispielsweise die Frage der Sprachen-Voraussetzungen Jahrzehnte alt ist, hätte vor nicht langer Zeit die Forderung, das Studium an Lehrplänen der Schulen bzw. Länder auszurichten, Kopfschütteln hervorgerufen. Es ist gut, dass die Autoren entsprechende Ansinnen zurückweisen. Deutlich wird aber: Die sich aufstapelnden Herausforderungen sind in den vergleichsweise wenigen Jahren, die für Studium und Referendariat vorgesehen sind, nicht zu bearbeiten.

Die abschließenden Tagungsrückblicke machen noch einmal deutlich, dass der Religionslehrer-Beruf deutlicher als bisher als eigene spezifische Profession anerkannt werden muss und dass insbesondere die Universitäten hier einen wesentlichen und deutlicheren Beitrag als in der Vergangenheit zu leisten haben.

Der Tagungsband ist ein echter Gewinn für diejenigen, die in unterschiedlichen Kontexten und in unterschiedlicher Verantwortung mit der Bildung von Lehrkräften befasst sind. Angetan ist der Rezensent vom Optimismus der Artikel, den er selber mit Blick auf die Entwicklung des Faches in den Schulen nicht teilen kann.

Martin Hailer / Andreas Kubik / Matthias Otte / Mirjam Schambeck sf / Bernd Schröder / Helmut Schwier (Hg.)
Transformationsprozesse in Beruf und theologisch-religionspädagogischer Bildung in Studium, Referendariat und Fortbildung
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. 2023
689 Seiten
48,00 €
ISBN: 978-3-374-07456-3

Zurück