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Ruben Zimmermann: Parabeln in der Bibel
An Gleichnisbüchern herrscht kein Mangel. Wie kaum ein anderer Bereich der Jesusüberlieferung ziehen die Gleichnisse Jesu in ihren Bann. Im kulturellen Gedächtnis der Christenheit sind sie tief eingeschrieben und nach wie vor auch lebendig, wie die Erzählung vom „Barmherzigen Samariter“ als Argumentationshilfe in ethischen oder politischen Debatten zeigt. Die Frage, ob der „Barmherzige Samariter“ damit nicht überstrapaziert wird, führt mitten hinein in einen theologisch regen Diskurs.
Der Mainzer Neutestamentler Ruben Zimmermann gehört zu dessen engagiertesten Stimmen, wie schon die Fülle seiner Beiträge zum Thema eindrucksvoll belegt. Mit seinem jüngsten Gleichnisbuch knüpft er daran an, so dass es durchaus als Summe seiner Gleichnisexegese gelten kann. In zwei Teilen I und II behandelt es die „Hermeneutik der Parabelauslegung“ und „die Parabeln Jesu nach Quellenbereichen“. Viele Abschnitte greifen auf bisherige Publikationen zurück, überall ist aber die neueste Forschung eingearbeitet. Dies gilt besonders für den das reiche Material souverän aufbereitenden Forschungsüberblick in Kap. 2. Entgegen der von A. Jülicher begründeten These, dass die Gleichnisse Jesu einfach und verständlich seien, betont Zimmermann in seiner hermeneutischen Hinführung in Kap. 1 die Rätselhaftigkeit, Sinnfülle und Unabgeschlossenheit der Bildrede Jesu. Damit ergibt sich das Paradox, dass die Rätselhaftigkeit Verstehensprozesse auslösen soll, die letztlich zu einer tieferen Sinnbildung führen. Die Multisemantik liegt nicht nur in der internen Bild- und Erzähllogik, sondern auch in der Deutungsaktivität und Kontextualisierung der jeweiligen Leser begründet. Zimmermann verfolgt den Ansatz einer integrativen Parabelhermeneutik, die historische, literarische und rezeptionsästhetische Zugänge verbindet (Kap. 3-5). Da die Rückfrage nach dem historischen Jesus bleibend aktuell ist und die Parabelrede Jesu Authentizität beansprucht, kann sich die historische Fragestellung auch in der Parabelforschung gut behaupten. Die Intention, zur Parabelrede Jesu selbst zurückkehren zu können, birgt aber die Gefahr, eine Differenz zwischen den kanonischen Erzählungen und dem vermeintlichen Ursprung der Rede und Redesituation Jesu aufzubauen (61f.). Der Verfasser kritisiert insbesondere die kriterienbezogene Prüfung der historischen Authentizität der Parabeln Jesu. Wenn etwa J. P. Meier aufgrund seiner fünf Authentizitätskriterien den größten Teil der Parabelüberlieferung ausscheidet, „zerstört (dies) den Quellenbefund und legt ihn nicht aus“ (61). Die Exegese setzt daher verstärkt auf die literarische Gedächtnisforschung, die nicht den historischen, sondern den erinnerten Jesus („Jesus remembered“) als Referenzgröße der Gleichnisüberlieferung betrachtet (62-82). Den Parabeln Jesu kommt so eine traditions- und sinnstiftende Funktion zu.
In der literaturwissenschaftlichen Annäherung an die Parabeln konzentriert sich Zimmermann auf die formkritische Frage nach der Gattung „Parabel“. Hierbei wendet er sich gegen die weitverbreitete Binnendifferenzierung der Parabeltexte in „Gleichnisse im engeren Sinn“, „Parabel“ und „Beispielerzählung“, da diese Untergattungen dem Terminusgebrauch und Gattungsbewusstsein der antiken Quellen widersprächen (101). Literaturgeschichtlich ordnet Zimmermann die ntl. Parabeln dem Horizont hellenistisch-römischer Fabeltradition und Rhetorik sowie dem hebräischen Mashal und den jüdisch-rabbinischen Erzählgattungen zu (119). Seine eigene Parabeldefinition beinhaltet sechs Merkmale, darunter vier Kernkriterien und zwei ergänzende Merkmale. Danach ist eine Parabel notwendig 1) narrativ, 2) fiktional, 3) realistisch, 4) metaphorisch sowie ergänzend 5) appellativ-deutungsaktiv und/oder 6) kontextbezogen. Den systematischen Teil des Buches schließt der Verfasser mit Überlegungen zur Polyvalenz der Deutungen (157-166). Die Interpretationsspielräume, die sich durch einen offenen Wahrheitsbegriff ergeben, können der Gefahr, in eine poststrukturalistische Dekonstruktion abzugleiten, durch zwei Begrenzungen entgehen: zum einen durch eine Kontextualisierung, die eine Auslegung vor wilder Allegorisierung schützt, zum anderen durch die Einbettung einer Einzelinterpretation in eine lesende Gemeinschaft.
Teil II bietet in Kap. 6 eine erste Orientierung in der Vielfalt der Parabeln Jesu und einen integrativen Methodenvorschlag zu den Auslegungswegen der Parabeln (169-196). Entsprechend seiner integrativen Hermeneutik lässt Zimmermann die genaue Zahl der Jesusparabeln offen (171). Auch bei den zahlreichen Systematisierungsvorschlägen, die er auflistet, lässt er offen, welchen er eine Prävalenz zuschreibt. Bei der Einzelanalyse ausgewählter Parabeln aus den Schriftgruppen der Spruchquelle Q, der kanonischen Evangelien und des Thomasevangeliums wählt er ein vierteiliges Auslegungsraster: (1) Text: Sprachlich-narratologische Analyse; (2): Realität: Kulturgeschichtliche Analyse; (3): Tradition: Analyse der Motive, Symbole und Bildfeldtradition und (4): Bedeutung: Entdeckung von Deutungshorizonten und Sinnwelten. Da die Fallbeispiele in das Parabelcorpus der jeweiligen Schriften eingeordnet werden, gewinnt man einen Einblick in die Funktionen der Parabeln in den verschiedenen Theologien. Dass der Verfasser seinen Durchgang durch die frühchristliche Parabelüberlieferung mit der Parabel im Thomasevangelium von der Frau mit dem Mehlkrug schließt, ist durchaus paradigmatisch für sein Loblied auf die offenen dynamischen Leseprozesse und das enorme Deutungspotential der Parabeln. Der Vergleich des „Königreichs des Vaters“ mit einer Frau, die ihren Krug mit Mehl füllt, ihn am Ende des Weges aber wegen eines Henkelbruchs zu Hause leer findet, ist und bleibt wohl änigmatisch.
In der Summe hat Zimmermann ein Kompendium vorgelegt, das die kaum noch überschaubaren Forschungen zu den frühchristlichen Bildreden eindrucksvoll zusammenführt und kritisch reflektiert. Nicht alles dürfte auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Vor allem seine dezidierte Ablehnung der gattungsmäßigen Binnendifferenzierung in Gleichnisse, Parabeln und Beispielerzählungen gefolgt von einer Beschränkung auf die alleinige Gattung „Parabel“ bleibt fraglich. Die Tatsache, dass kaum ein Bildtext eine eindeutige Zuordnung erlaubt, spricht nicht gegen diese Kategorisierung. Die grundlegende Differenz von erzählenden und episodalen Ereignissen, wie sie dem semantischen Gedächtnis eingeschrieben ist, spricht für die klassische Gattungsunterteilung (vgl. Theissen/Merz, Wer war Jesus? Der erinnerte Jesus in historischer Sicht, Göttingen 2023, 304). Auch die Verbindung von Jesu Parabeln mit den atl.-jüdischen Meshalim überzeugt nicht, da gerade Gleichnisse wie Ri 9,7-15; 2 Sam 1,1-12 und Jes 5,1-7 nicht so genannt werden. Schließlich sei notiert, dass die Bildreden des JohEv sich so deutlich von den Gleichnissen der Synoptiker unterscheiden, dass der Versuch, vom Gegenteil zu überzeugen, nicht aufgeht. Letztlich steht und fällt dieser Versuch mit der Akzeptanz der „Parabel“ als generalem Gattungsbegriff. Des ungeachtet stellt die Einzelexegese von Joh 16,21 einen Gewinn für die Joh-Forschung dar (338-363).
Die Sinnwelten der Gleichnisse Jesu entdecken
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 2023
464 Seiten
28,00 €
ISBN 978-3-579-08542-5