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Rüdiger Haude: Als Adam grub und Eva spann
Werden biblische Texte außerhalb des gewohnten theologischen Zirkels analysiert, ergeben sich oft ungewohnte Perspektiven. Eine solche bietet auch Rüdiger Haude, Privatdozent für historisch orientierte Kulturwissenschaften an der RWTH Aachen mit dem Forschungsschwerpunkt „Politische Anthropologie“. Sein besonderes Interesse gilt der Erforschung der kulturellen Bedingungen eines herrschaftsfreien Zusammenlebens – durchaus in der Intention, ein solches auch als Alternativentwurf für die Gegenwart zu avisieren. Bereits der Titel seines Buches greift ein herrschaftskritisches Sprichwort aus dem 14. Jh. auf, das zur Zeit der Bauernkriege die Legitimation adliger Grundherrschaft in Anknüpfung an die biblischen Ureltern in Frage stellte: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ Haude weiß um die globale politische und soziale Wirkkraft der Bibel bis heute und sieht – ohne herrschaftsstabilisierende Traditionsstränge zu leugnen – Herrschaftskritik bzw. Herrschaftsfeindschaft als in die DNA der Bibel eingeschrieben. Spezielle Bedeutung misst er dabei den Erfahrungen Israels aus der vorstaatlichen Richterzeit zu. Das Bewusstsein für diese befreienden Traditionen will der Autor sowohl in Theologie und Exegese als auch im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs in Erinnerung rufen. Dazu versammelt er in seinem kleinen Band vier teils ältere Aufsätze aus verschiedenen Kontexten.
Der erste Beitrag (2015) liefert den ideengeschichtlichen Hintergrund für seinen Ansatz. Sein Lehrer, der Soziologe und Ethnologe Christian Sigrist, hatte anhand „segmentärer Gesellschaften“ in Afrika Beispiele aufgezeigt, wie in egalitären Verwandtschaftssystemen ohne herrschaftliche Gewalt gelebt werden kann – eine Forschung, die auch bei einigen Alttestamentlern in Übertragung auf Israel Resonanz fand. Haude zieht hier wiederum die Parallele zur Richterzeit, die von der bewussten Ablehnung staatlicher Herrschaft geprägt gewesen sei. Im zweiten Aufsatz (1999) wendet sich der Autor bezüglich des oft hergestellten Entstehungszusammenhangs von Literalität und Demokratie gegen die Privilegierung des griechischen, vokalisierten Alphabets zuungunsten der orientalisch-semitischen Sprachen. Entgegen einer solchen westlich-verengten Perspektive, in der die modernen Gesellschaften einseitig als evolutionäre Errungenschaft verstanden werden, rechnet er mit einer demokratischen Literalität schon im richterzeitlichen Israel.
Konkreten Textbeispielen wenden sich in einer komplementär angelegten Interpretation die beiden letzten Beiträge (von 2000 und 2003) zu. Die Erzählung vom Turmbau zu Babel liest Haude als Stadtkritik gegen Städte mit Herrschaftsarchitektur. Bei dem Turm von Babel handle es sich um eine Herrschaftschiffre und die Unklugheit des Kollektivs besteht darin, ohne Not die bestehende Herrschaftsfreiheit aufgeben zu wollen. Im Buch Jona dagegen treffe man mit den Seeleuten auf ein multinationales Kollektiv, das sich im krisenhaften Moment der Seenot bestens selbst organisiert und den Steuermann überflüssig macht.
Haudes Interpretationen und Schlussfolgerungen (speziell die starke Fokussierung auf die Richterzeit auch in Datierungsfragen) sind durchaus eigenwillig, mit klar angezeigtem Erkenntnisinteresse und des Öfteren quer zu gängigen exegetischen Positionen. Nichtsdestotrotz kann die Lektüre ein inspirierender „Stachel im Fleisch“ sein in Bezug auf die Wahrnehmung, Herrschaft sei eine unhinterfragbare Selbstverständlichkeit.
Herrschaftsfeindschaft in der Hebräischen Bibel
Berlin: Matthes & Seitz Verlag. 2023
140 Seiten
15,00 €
ISBN 978-3-7518-0574-2