Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Sebastian Kleinschmidt: Kleine Theologie des Als ob

Die Gattung der Apologie ist eine uralte. Seit es die Christen gibt, suchen sie ihren Glauben zu vermitteln, Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die sie erfüllt. Nun legt Sebastian Kleinschmidt, der in den Jahren 1991 bis 2013 die renommierte Literaturzeitschrift „Sinn und Form“ leitete, einen eigenwilligen Versuch über Gott und den Glauben vor. Er umfasst zehn Kapitel, die Biographisches wie Systematisches geschickt verschränken.

Man darf von einem ostdeutschen Hintergrund sprechen. Kleinschmidt, 1948 geboren, stammt aus Schwerin, der ältesten Stadt Mecklenburgs. Sein Vater war Prediger am Dom – zugleich ein „religiöser Sozialist“ und Mitglied der SED. Ein „Doppelmissionar“, der, wie der Sohn anmerkt, vor die Wahl zwischen Luther und Müntzer gestellt, stets für den zweiten optierte. Eine Doppelung wies auch die religiöse Reifung auf. Das Gebet, ob als abendliches Ritual oder hilfloses Stammeln angesichts des Freitodes seines Bruders, gehörte zu den frühen Jahren dazu. Zugleich kommt der spätere Philosoph und Essayist mit der – ihn auch sprachlich beeindruckenden – Religionskritik von Feuerbach und Marx, von Lukrez und Bertrand Russell in Berührung. Eine letzte Durchschlagskraft besaß diese Kritik freilich nicht: „Ich hatte den Verdacht, hier werde etwas abgewiesen, das man nicht begriffen hat. Mit Worten, die keine Saatkraft hatten, wurden Worte abgewiesen, die wie Samen keimten.“ Im Lutherjahr 1983 studiert Kleinschmidt die Schriften des Reformators und versteht „zum ersten Mal“ etwas vom Glauben. Die lutherische Grundeinsicht von der Freiheit eines Christenmenschen erscheint genauso fruchtbar wie der Grundsatz, dass man Gott stets größer zu denken habe: „Wo ist Gott in diesem wirren Geschehen? Überall – antwortet Luther.“

Seine Nähe zum fordernden theologischen Denken expliziert Kleinschmidt in zwei Kapiteln, die sich den christlichen Grundtugenden Glaube – Liebe – Hoffnung und der komplexen „Erbsünde“-Metaphorik widmen. Beide Felder verweisen auf die unbeständige menschliche Existenz. „Es gibt keine Ruhe im Glauben, in der Hoffnung, in der Liebe, die nicht eine Ruhe vor dem Sturm oder eine Ruhe nach dem Sturm wäre. Wie oft wird das vergessen.“ Entsprechend liegt für Kleinschmidt der Ursprung des Religiösen weniger in der religionskritisch postulierten Angst und Unwissenheit, vielmehr „im Wissen und Ahnen der unauslotbar tiefen Zwiespältigkeit des Menschenwesens selbst“. Das Zwiespältige betrifft selbstverständlich auch die fundamentale religiöse Frage nach Gott. Wir seien Gott-Skeptiker, lebten in einer „entgötterten Welt“. Oftmals sei schon eine Glaubensform, die der Autor mit „Als-ob“ benennt, „nicht wenig“. Dieser Begriff irritiert, kann er doch auch Fiktion und Heuchelei meinen. Die Reihe der Philosophen, die die Denkfigur des „Als-ob“ ins Spiel brachten, kann diese Irritation nicht wirklich beseitigen. Betonte der Kantianer Karl Forberg (1770–1848) noch die „praktische“ Dimension des Glaubens – das Gegenstück ist der „theoretische Glaube“ –, so ist für den Philosophen Karl Vaihinger, den Verfasser einer umfänglichen „Philosophie des Als Ob“ (1876–1878) und für den Neukantianer Friedrich Albert Lange (1826–1875) der Gottesglaube sinnlos, sind religiöse Vorstellungen „bewusste Erdichtungen“. Und wie in der Poesie seien auch die Konzepte der Religion als Vergeistigungen und Metaphern, nicht als „Wirklichkeit“ zu vermitteln.

Wenn Sebastian Kleinschmidt das „Als ob“ des Glaubens wiederaufnimmt, dann verweist das eher auf Pascals „Wette“ (mit der er sich leider nicht auseinandersetzt) und explizit auf die Lyrik von Christian Lehnert, dessen Werk dem „Offenhalten“ von Glaubensgütern diene: „Alles Verweisen auf das Religiöse geschieht lautlos, wie im Verborgenen, in äußerster Diskretion. Die Poesie unterwirft sich nicht. Gott ist in ihr ein unbewohnter Name, ‚ein reines, leeres Feld‘. An einer Stelle heißt es: ‚Was ich glaube, ist ganz unverstanden‘.“ Ja, das ist „nicht wenig“, mag die von Kleinschmidt ausgerufene „Brückentheologie für religiös Unentschiedene“ einem Gemüt, das nach der göttlichen Offenbarung Ausschau hält, nicht genügen. An einer Stelle vermerkt der Autor: „Ein fruchtbarer Konjunktiv ist besser als ein unfruchtbarer Indikativ.“ Das ist schön und versöhnlich formuliert. Die „Kleine Theologie des Als ob“ lässt sich als eine geistreiche Fingerübung ansehen, die den Leser durchaus fremdeln lässt und noch mehr nachdenklich macht.

claudius essay
München: Claudius Verlag. 2023
124 Seiten
20,00 €
ISBN 978-3-532-62883-6

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