Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Sergio Ramirez: Sara. Roman

Sergio Ramirez bringt, wie bereits der Buchtitel verspricht, aus der Perspektive der Ahnfrau Sara alle wichtigen Stationen ihrer Lebensreise mit Abraham zur Sprache. Jedoch schwingt in Saras biographischem Erzählen stets Rebellion gegen ihren Mann und seinen Gott mit, da er niemals die Anordnungen des Höchsten hinterfragt. Der Autor versteht es, die biblischen Textvorlagen um Fiktives, kulturhistorisch Erforschtes zum Alltag der Ahneltern zu erweitern. Er erzählt in der für lateinamerikanische Schriftsteller urtümlichen Farbigkeit und einer zuweilen dem Phantastischen zuneigenden Fabulierfreude. Bisweilen kommentiert sein auktorialer Erzähler mit unterschwelligem Humor das Geschilderte und verknüpft es mit weiteren biblischen Geschichten bis hin zu Leben und Sterben Jesu von Nazareth. Der Erzähler kritisiert das lineare Zeitverständnis, denn für ihn ist in dem, was gerade geschieht, Vergangenes und Künftiges enthalten. Daher bleibt die Lektüre des Romans auch für den biblisch Kundigen kurzweilig und von Anfang bis Ende unterhaltsam.

Sara wird wie in der Bibel, so auch im Roman, von Beginn an mit dem Makel der Unfruchtbarkeit vorgestellt. Im alttestamentlichen Buch Genesis Kapitel 11, das die Genealogie von Sem bis Abraham auflistet, heißt es wenig hoffnungsvoll von Sara: „Da nahmen sich Abram und sein Bruder Nahor Frauen. Abrams Frau hieß Sarai ..., aber Sarai war unfruchtbar" (vgl. Gen 11,29-30). In der Bibel tritt Sara nach erstmaliger Erwähnung namentlich erst wieder bei der Ägypten-Reise auf. Für den Romanschriftsteller ist Sara keinesfalls die Stumme, die widerspruchslos ihrem Mann folgt. Von den ersten Zeilen an ist sie eine Kämpferin, die mit dem Gott Abrahams ringt, eine Gottesstreiterin wie ihr Enkel Jakob, der nach dem Kampf mit dem Engel Gottes am Jabbok (Gen 32,29), den Ehrentitel Israel erhält. Sara ringt nicht nur mit Gott, den sie „Zauberer“ nennt, sondern auch mit der Gottesbeziehung ihres Mannes. Mit dem Begriff „Zauberer“ artikuliert Sara einerseits die stets variierenden Erscheinungsformen Gottes wie auch ihr Ausgeliefertsein. „Der Zauberer hatte alle Macht darüber, ob sie Kinder bekäme oder nicht. Sie war seine Gefangene.“ In spöttischem und wenig ehrfürchtigem Ton gibt der Autor die Wahrnehmung Saras wieder, wenn sie beobachtet, wie Abraham sich dem für sie Unbegreiflichen unterwirft: „Abraham, [der] auf die Knie fiel, kaum dass er seine [des Zauberers] Stimme hörte, als habe er einen Faustschlag ins Genick bekommen.“ Ramirez gelingt es durch den trotzigen Erzählton seiner Protagonistin, dass Lesende seines Romans die Perspektive patriarchaler Dominanz biblischer Narration reflektieren. Im Gegensatz zu ihrem Mann Abraham ist die Ahnfrau nie Adressatin der Gottesrede. „Nie sprach er zu ihr, nie bat er um eine Unterredung oder erschien ihr im Traum.“

Für Ramirez ist Saras Empörung berechtigt. Im Buch Genesis Kapitel 18, das den Besuch der drei Engel bei Abraham in Mamre schildert, spricht Gott erst- und einmalig zu Sara, wegen ihres Lachens als Reaktion auf seine Kindesverheißung. Der Romanautor beginnt die Erzählhandlung mit ebendiesem Besuch der drei Engel und Saras Unmut gegen deren überfallartiges Erscheinen. „Jetzt ist der Zauberer auch noch auf die Idee gekommen, drei auf einmal zu sein, schimpfte Sara.“ Der Autor bezieht sich auf exegetische Forschung, die in diesem alttestamentlichen Kapitel auf den irritierenden Wechsel zwischen dem Plural „die Engel Gottes" und dem Singular „Engel JHWHs" (als Bezeichnung für Gott selbst) hinweist. Das in der Kunstgeschichte und Ikonenmalerei beliebte Motiv des Engelbesuches bei Abraham in Mamre (als Vorgriff auf ein trinitarisches Gottesverständnis) nimmt Ramirez in Saras Schilderung der schönen Himmelsgestalten auf. Die jenseitigen Wesen erscheinen ihr als geschlechtslose, androgyne Schönheiten. „Als sie [die Engel] näher kamen, sah Sara, dass es sich um zarte Jünglinge mit sanften Augen handelte, die nicht einmal einen Anflug von Bartflaum zeigten ... Ihren Gesichtern und langen Mähnen nach zu urteilen hätte man sie für genau gleich aussehende Mädchen halten können.“ Aber die Sara des Romans erstarrt nicht vor Ehrfurcht, bewirtet auf Geheiß ihres Mannes die Gäste, jedoch ohne die Sorgfalt einer um das Wohl der Besucher bemühten Gastgeberin. Saras Lachen als Kern der biblischen Mamre-Erzählung ist im Roman keinesfalls Ausdruck gelöster Freude, sondern „eine Art spöttisches Schnauben, das ungläubige Verachtung erkennen ließ. Hohngelächter“. Zu lange schon fühlt sie sich von dem „Zauberer“ hingehalten mit dem Versprechen auf Nachkommen. Sara ist wahrhaft eine Tochter Evas, die sich gegen Gottes Weisungen stellt, sogar bei Abrahams Opfergang eingreift und ihren Sohn rettet (in der biblischen Version ist der Retter Isaaks ein Engel).

Ramirez ist es gelungen, durch seine Schilderung der Erzeltern Abraham und Sara den in jedem Menschen möglichen Zwiespalt durchlebter Gottesbeziehung zur Sprache zu bringen: Phasen unerschütterlichen Glaubens, wie er dies durchweg Abraham zuschreibt, aber auch Phasen bitteren Zweifelns bis hin zur Aufruhr gegen Gott, wie in der Figur der Sara angelegt. Die beim Lesen sich einstellende Identifikation mit der Romanheldin ist daher nicht verwunderlich. Ramirez gestaltet sie in der Ehrlichkeit ihrer nicht nachlassenden lebenslänglichen Auseinandersetzung mit Gott. Am Ende ihres Lebens lässt Ramirez sie noch auf dem Sterbebett mit dem für sie Unbegreiflichen streiten, ob er nicht doch nur eine Kopfgeburt der Menschen sei, worauf Gott ihr antwortend seinen Namen offenbart: „Ich bin der, der ich bin" (vgl. Exodus 3,14; Erscheinung JHWHs vor Mose im Dornbusch).

Aus dem nicaraguanischen Spanisch von Lutz Kliche
Zürich: edition 8. 2021
214 Seiten
21,80 €
ISBN 978-3-85990-415-6

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