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Simone Hirth: Malus. Roman
Das Unheil springt die Leser schon zu Beginn des Romans mit dem Titel „Malus" an und beschleicht sie von Seite zu Seite mit zunehmend düsterer Ahnung.
Verfremdend erzählt wird jene auf den alttestamentlichen Sündenfall zurückgreifende Geschichte von Adam und Eva, die mit einem Mord endet. Inhalt ist nicht der von Kain verübte Mord an seinem Bruder Abel. In dieser Erzählung wird Eva von ihrem Mann Adam getötet. Da Eva gegen das ausdrückliche Verzehrverbot Gottes die Frucht vom Baum der Erkenntnis genoss, ist Adams Verhältnis zu ihr zerrüttet. Er betrachtet sich von ihr zum Sündenfall genötigt und bemitleidet sich in seiner ihm lieb gewordenen Opferrolle. Eva ihrerseits konnte, durch die Einflüsterungen Satans neugierig geworden, der Verheißung nicht widerstehen, nach dem Verzehr der verbotenen Frucht Einsichtgewinn in Gut und Böse zu erlangen. Seitdem sie sich zum Gebotsübertritt entschloss, Eigenständigkeit gegenüber Gott und auch ihrem Mann bewies, schlängelt sich der Versucher weiterhin kommentierend durch ihr Leben. Nach Verbannung aus dem Garten Eden trennt sich die schwangere Eva von Adam und lebt durch wundersamen Ort- und Zeitsprung versetzt im Wien der Gegenwart.
Zunächst wohnungslos, wird sie von der ebenfalls dem biblischen Kontext entnommenen Magdalena aufgenommen und umsorgt. Die wortmächtige Verkünderin von Jesu Auferstehung – und somit erste Apostelin – arbeitet naheliegenderweise als Angestellte in einer Leihbücherei. Magdalena empfiehlt der lesehungrigen Eva auf dem Weg zur Emanzipation eine Reihe feministischer Literatur, die im Anhang des Romans von der Autorin mit Blick auf ihre Adressatinnen nochmals eigens aufgelistet wurde. Seit biblischen Zeiten mit dem Ruf der Ehebrecherin behaftet, ermutigt Magdalena ihre Mitbewohnerin auch zu selbstbestimmter sexueller Erfahrung jenseits ihrer uranfänglich und nicht frei gewählten Bindung an Adam. Zur Wohngemeinschaft der beiden Frauen stößt wegen Evas Schwangerschaft eine Hebamme hinzu. Es ist Johanna von Orleans, deren eigentümliches Accessoire das Geräusch von knisterndem Feuer und Brandgeruch ist. Historisch bewährte sich Johanna als Geburtshelferin Frankreichs auf dem Schlachtfeld gegen England angesichts eines schwachen Königs, der nicht zum Heerführer taugte. Die dritte starke Frau im Bunde steht nun der Erstgebärenden zur Seite.
Der von dieser Frauengemeinschaft ausgeschlossene Adam entwickelt sich als Stalker Evas. Eifersüchtig verfolgt er ihre Schwangerschaft in der Absicht, der Mutter sofort nach der Entbindung das Kind zu entziehen. Ein patriarchal gezeichneter Gott hält zu dem zurückgesetzten Adam, gebärdet sich ebenso wie der männliche Erdling observant gegenüber Eva und mahnt sie bisweilen aus einem nicht näher beschriebenen Off. Wegen anhaltend nostalgischer Erinnerungen an das Paradies sucht sich die Vertriebene eine Bleibe in einer Kleingartenanlage. Evas Lebensplanung als Selbstversorgerin, Selbstverdienerin und Alleinerziehende beendet Adam, kaum dass sie den Sohn Kai(n) geboren hat. Bei ihrem ersten Treffen nach der Entbindung besteht Eva beharrlich auf ihrer Eigenständigkeit. Gekränkt und wütend nimmt Adam der Widerspenstigen alle Luft zum Atmen, erstickt sie neben dem schreienden Kind mit dem Stillkissen. Seine eigene Mitschuld am Sündenfall verleugnend, nimmt er nun Rache für den nur Eva zugeschriebenen Ausschluss aus dem Paradies und seinen Ausschluss aus ihrem Leben.
Im Nachwort schreibt die Autorin. „Dieser Roman ist all jenen Frauen gewidmet, die Opfer eines Femizids wurden. Jeder Femizid ist ein Femizid zu viel. Dieser Roman ist ebenso all jenen Frauen gewidmet, die Gewalt erfahren haben oder noch immer erfahren." Bei allem Respekt für den von Simone Hirth mit in Blick genommenen Adressatinnenkreis ist anzumerken: Der aufgegriffene biblische Stoff und dessen Figuren werden im Sinne feministischer Hermeneutik benutzt und ein – neueren exegetischen Studien widersprechend – überholtes Vorurteil patriarchaler Lesart bedient. Das Beharren auf solcherart unkritisch verfestigter Rezeption übergeht aber die biblische Heilsaussage von der Gleichwertigkeit beider Geschlechter und verfehlt somit auch die im Buch Genesis vermittelte Vorstellung eines Gottes, der Mann und Frau nach seinem Abbild schuf. Die Autorin zeichnet das Drama zwischen Adam und Eva als eine Art Parabel, die das Original verfälscht. So wird im fiktiven Rückgriff auf den Schöpfungsmythos eine verhängnisvolle Gottes- und Geschlechterbeziehung als urzeitliches Erbe tradiert – als ein fortgesetzter Sündenfall oder, wie im Titel angekündigt, als Malus.
Wien: Kremayr & Scherikau Verlag. 2023
24,00 €
ISBN 978-3-218-01410-6