Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Stefan Alkier / Thomas Paulsen: Das Evangelium nach Johannes und die drei Johannesbriefe

„Geschrieben steht: ‚Im Anfang war das Wort‘ / Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? / Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, / Ich muss es anders übersetzen, / Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.“ Nicht nur Goethes Faust bereitet die Übersetzung des Johannesevangeliums erhebliches Kopfzerbrechen. Er streicht bereits beim ersten Vers die Segel. Wie die Übersetzer Stefan Alkier und Thomas Paulsen feststellen, entfernt sich Faust mit seinen Übersetzungsversuchen des Wortes λόγος (Sinn, Kraft, Tat) sukzessive weiter von einem möglichen Wortsinn, um schließlich bei einer Bedeutung anzukommen, die der Begriff unter keinen Umständen haben kann. So lässt sich der Beginn von Goethes Faust als exegetischer Treppenwitz lesen. Je länger über der adäquaten Übersetzung gebrütet wird, desto schlechter wird sie. Ein solches Zeugnis kann allerdings dieser Neuübersetzung des Johannesevangeliums und der Johannesbriefe keineswegs ausgestellt werden.

Mit dem dritten Band des Frankfurter Neuen Testaments legen der Professor für Neues Testament an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main Dr. Stefan Alkier und der am dortigen Institut für Klassische Philologie lehrende Prof. Dr. Thomas Paulsen eine für Experten und Laien gleichermaßen erhellende Übersetzung vor, die den Text der johanneischen Schriften noch einmal neu zu Wort kommen lässt. Für Leserinnen und Leser, die der griechischen Sprache nicht mächtig sind, finden sich in einem Glossar sowohl das griechische Alphabet als auch wesentliche Vokabeln mit Umschrift und Übersetzungsmöglichkeiten. Der Band beginnt mit aufschlussreichen Überlegungen zu Sprache und Stil im Corpus Johanneum. Bereits hier wird deutlich, dass es nicht darum geht, die Dauerbrenner johanneischer Forschungsfragen abzuarbeiten. Wer beispielsweise am viel diskutierten Nachtragscharakter des 21. Kapitels interessiert ist, muss sich mit einer Fußnote begnügen. Auch wenn die Autoren durchaus einen Vorschlag für die Entstehungschronologie der johanneischen Schriften bieten, stehen klassische Einleitungsfragen nicht im Mittelpunkt des Interesses. Diese würden häufig als Ausgangspunkt der Textinterpretation überlastet – „ein Gewicht, das keine Einleitungshypothese zu tragen vermag“ (25).

Der im Vorwort formulierten Intention, Leserinnen und Lesern eine neue Begegnung mit den scheinbar so vertrauten johanneischen Schriften zu ermöglichen, wird das Buch vielmehr durch eine möglichst wörtlich am griechischen Text bleibende Übersetzung gerecht, die so den ein oder anderen eingefahrenen Pfad verlässt. Damit wird dem Leser immer wieder vor Augen geführt, wie sehr perspektivisch-kanonische Lesarten Übersetzungen beeinflusst und zuweilen in unserem kulturellen Gedächtnis zementiert haben. So liest man im dritten Johannesbrief nichts von einer Kirche oder Gemeinde unter der Leitung des Diotrephes, sondern das griechische έκκλησία; es wird, der zeitgemäßen Bedeutung entsprechend, mit „Versammlung“ wiedergegeben. Interessant ist auch, dass Jesus in der Übersetzung von Alkier und Paulsen die 153 in Joh 21 gefangenen Fische gemäß dem griechischen Ausdruck ὀψάριον als „Happen“ bezeichnet, deren Verwendungszweck vor dem Hintergrund von Jesu Aufforderung „Kommt und frühstückt!“ kaum Raum für Spekulationen lässt. Vor dieser Übersetzung steht eine in der Johannesexegese nach wie vor gängige allegorische Auslegung der Szene vor erheblichen Schwierigkeiten, bei der Petrus in der ihm bei den Synoptikern aufgetragenen Mission als Menschenfischer unterwegs sei. Wenn man ohne Menschenopfer auskommen möchte, lassen sich die gefangenen „Happen“ kaum mehr als die gesammelten Gläubigen interpretieren.

Der dritte Band des Frankfurter Neuen Testaments hält für seine Leserinnen und Leser viele weitere Überraschungen im johanneischen Text bereit, die es zu entdecken lohnt. Dafür ist der sogenannten Studienfassung in der klassischen Verseinteilung eine Lesefassung beigegeben, die den Gesamttext ohne Unterbrechung und strukturierende Kapitelangaben oder Zwischenüberschriften darbietet. Beim (Vor)Lesen dieser Lesefassung am Stück kommt man der antiken Kommunikationssituation, in der und für die das Johannesevangelium verfasst wurde, näher. Diese spielt erfreulicherweise beim Textzugang der Übersetzer eine maßgebliche Rolle, wenn etwa vom antiken Zuhörer oder von im Ohr haftenden Passagen die Rede ist.

Es lohnt sich also, einen ausgiebigen Blick in das Frankfurter Neue Testament zu werfen, um die ein oder andere sprachliche Verkrustung aufzubrechen und den Dialog mit den johanneischen Texten lebendig zu halten.

Neu übersetzt und mit Überlegungen zu Sprache, Kosmologie und Theologie im Corpus Johanneum sowie einem Glossar
Frankfurter Neues Testament 3
Paderborn: Brill / Schöningh Verlag. 2022
169 Seiten
49,90 €
ISBN 978-3-451-38278-2

Zurück