Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Stefan Alkier/Thomas Paulsen: Das Evangelium nach Lukas und die Taten der Abgesandten. Neu übersetzt

Nach den Evangelien nach Markus und Matthäus, dem Evangelium nach Johannes und den johanneischen Briefen sowie der Apokalypse des Johannes legen Stefan Alkier und Thomas Paulsen mit dem Evangelium nach Lukas und den Taten der Abgesandten den vierten Band der Reihe „Frankfurter Neues Testament" (FNT) vor, die sich um philologisch-kritische Neuüberbesetzungen der fundierenden Texte des Christentums, sprich: der Ur-Kunde des Glaubens, verdient macht. Wie in den Vorgängerbänden wird der biblische Text in einer Lesefassung ohne Kapitel und Versangaben und einer Studienfassung mit diesen Zusätzen geboten und ist von sachdienlichen, philologisch-hermeneutischen Hinweisen, einer Orientierung über den aktuellen Diskurs zur Entstehung der Texte, weiterführenden Überlegungen zu historischem Kontext, Theologie und Rezeption sowie einem Glossar flankiert.

Im Vorwort bekräftigen die Autoren ihren Anspruch, „keine Rücksicht auf kirchliche Traditionen zu nehmen, sondern die im Neuen Testament versammelten Texte als das zu übersetzen, was sie sind: Texte des Koine-Griechisch, die kaum einer religiösen Sondersprache, sondern vor allem dem allgemeinen Sprachgebrauch des Griechischen im 1. und 2. Jahrhundert verpflichtet sind" (VIII). Dieses Programm wird den Lesern immer wieder ins Bewusstsein gerufen, sodass mitunter der Eindruck entstehen kann, jenseits des FNT gebe es keine Übersetzung des NT, die nicht vor Anachronismen, theologischen Vorentscheidungen und Kirchenjargon mit dem zugehörigen Triumphalismus und Machtanspruch trotzt. Dass gerade beim Lukasevangelium und der Apostelgeschichte die Gefahr besteht, spätere Vorstellungen vom harmonischen und normativen Beginn in die Texte hineinzulesen, ist unstrittig. Schon der Verfasser der Apg selbst bügelt so manchen Konflikt in der Rückschau glatt, um die gemeinsame Identität der „Schüler und Zeugen Jesu Christi" (269) zu stärken. Die Beobachtungen im Epilog, wenn Alkier und Paulsen „Terminologien kollektiver Identitätsbildung" von Lk und Apg analysieren, sind entsprechend besonders instruktiv. Neben der längst überfälligen und von vielen Fachleuten geforderten Verabschiedung der Begriffe „Juden", „Heiden" und der Komposita „Judenchristen" und „Heidenchristen" ist zu lernen, dass Apg sich die Fremdzuschreibung „Christianer" (11,26; 28,26) nicht zu eigen macht und Paulus sich entsprechend nirgends mit „Ich bin ein Christianer" vorstellt. Die Christen „als eigenständige Gruppe und Größe sieht Apg gerade nicht, sondern führt auf der Linie des LK die ‚Familienzugehörigkeit‘ zum Volk Israel“ (270) weiter. An paulinischen Sprachgebrauch anknüpfend lässt sich mit Alkier/Paulsen festhalten, dass die Ekklesia „als anspruchsvolle Transformation israeltheologischer Erwählungstheologie interpretiert werden" (269) kann. Damit geht es in den Taten der Abgesandten weniger um eine Trennung der Wege von „Kirche und Synagoge" als darum, die Botschaft des Evangeliums bei bleibender Verwurzelung im Judentum als Fortführung der Geschichte Israels mit seinem Gott in hellenistisch-römische Kontexte einzubetten.

Vor diesem Hintergrund lesen sich beide Übersetzungen, gerade auch in ihrer sprachlichen Fremdheit und Sperrigkeit (nicht immer sind die Partizipien sofort verständlich und manche Formulierung wirkt irritierend fremd) als hilfreiche Irritation kirchlicher Selbstverständlichkeiten. Wenn von der Lektüre des Lukasevangeliums alleine die Neufassung der Versuchung Jesu durch den „Zerwerfer" (Lk 4,2) hängen bleibt, ist viel gewonnen. Die philologisch korrekte Übersetzung „Wenn du ein Sohn Gottes bist, dann ..." (Lk 4,3) hat heilsame christologische Konsequenzen, die aus dem entrückt-erhöhten Gottessohn der ökumenischen Konzilien des 4. und 5. Jahrhunderts wieder Jesus von Nazareth machen, der zwar eine besondere Verbindung zu Gott hat, aber als ein Sohn (unter anderen Söhnen und Töchtern) Gottes vor allem Lehrer und Vorbild in Sachen Gottesbeziehung und entsprechender Lebenswandel ist. Insofern ist es treffend, dass Lk und Apg nicht von Christen sprechen, sondern von einer Gruppe, deren Identität darin besteht, Schüler und Zeugen Jesu Christi zu sein.

Die Frage ob Lk und Apg aus einer Feder stammen und daher als „Lukanisches Doppelwerk" zu verstehen sind, diskutieren die Autoren im Eingangsteil anhand philologischer Beobachtungen und eines sehr ausführlichen Blicks in die (evangelische) Rezeptionsgeschichte. Dabei sind die philologischen Beobachtungen häufig instruktiver als der Blick in die Rezeption; hier liegt die Stärke nicht nur dieses Bandes des FNT, gerade auch weil die philologischen Beobachtungen und Erklärungen deutlich weniger apologetisch eingefärbt sind als die theologischen bzw. rezeptions- und wirkungsgeschichtlichen. Man kann sich gut vorstellen, wie Alkier und Paulsen mit Text und Formulierung, schwierigen grammatikalischen Konstruktionen und (theologisch) aufgeladenem Vokabular gerungen haben. Dieses Ringen hat sich – einmal mehr – gelohnt. Unabhängig davon, ob die Texte aus einer Hand stammen und wann das „Corpus Lucanum" (32) genau entstanden ist (auch hier wird die Linie aus den Vorgängerbänden weitergeführt und jeglicher Konsens in Sache Datierung infrage gestellt), bieten die Übersetzungen einen frischen Blick auf die beiden neutestamentlichen Bücher und drängen darauf, sich nicht mit theologischen und kirchlichen Selbstverständlichkeiten zufriedenzugeben, sondern neu zu erkunden, was Selbstverständnis und Identität der Schüler und Zeugen Jesu in den ersten christlichen Generationen ausmacht. Davon können aktuelle kirchliche wie theologische Auseinandersetzungen nur profitieren.

Frankfurter Neues Testament
Paderborn: Brill/Schöningh Verlag. 2023
298 Seiten
66,00 €
ISBN 978-3-506-70437-5

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