Stefan Kiechle: Gott die Ehre

Der Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola (1491-1556), verfasste als Frucht seiner persönlichen Erfahrungen eine Sammlung geistlicher Übungen (im spanischen Original mit dem Titel „ejercicios espirituales“), die als Klassiker in die Spiritualitätsgeschichte des Christentums eingegangen sind. Das lateinische Wort „exercitium“ bedeutet „Übung“. Wie ein Sportler trainieren muss, um seine Fertigkeiten zu entwickeln, so ist es auch im geistlichen Leben. Wer Exerzitien macht, übt sich darin, das eigene Leben zu ordnen, neu auszurichten und aufmerksam zu werden für das, was sich an inneren Regungen zeigt. Geistliche Exerzitien kennen keinen Leistungsdruck, sie sind eine Zeit der Unterbrechung des Gewohnten, sie weiten den Blick für Ungeahntes, sie leben vom Loslassen und Sich-Einlassen, von innerer Stille und äußerem Schweigen sowie von der Meditation der Hl. Schrift. Exerzitien sind ein geistlicher Übungsweg, der dabei helfen will, mit Gott (wieder) in Dialog zu kommen und sein Wirken im eigenen Leben immer mehr zu entdecken.

Mit vorliegendem Buch bietet der Jesuit Stefan Kiechle, der viele Jahre Novizenmeister und Exerzitienleiter des Ordens war, einen profunden Über- und Durchblick durch die Theologie der ignatianischen Exerzitien. Seine Ausführungen verstehen sich nicht als historischer, pastoraler oder theologischer Kommentar, sondern wollen ein „theologisches Nachdenken“ sein, das die ignatianische Spiritualität und spirituelle Praxis für heutiges Fragen theologisch ausdeutet. Dabei bleiben Begrifflichkeiten und der Aufbau des Exerzitienbuches für die Ausführungen strukturgebend. Kiechle gliedert den Exerzitienweg, der in der Ursprungsform 30 Tage umfasst, sehr sorgfältig in fünf Hauptkapitel, die den Spannungsbogen nahezu poetisch wiedergeben: 1. Geschaffen (15-44), 2. Geheilt (45-70), 3. Gesandt (71-106), 4. Gerettet (107-120), 5. Geliebt (121-144). Im Fokus der essayistischen Betrachtungen steht, wie Gott im Menschen und mit dem Menschen wirkt. Mit insgesamt 23 Schritten geht Kiechle den Exerzitienweg von der Schöpfung bis zum selbstlos liebenden Engagement des Menschen nach. Er formuliert mit großer Präzision und einer anschaulichen Sprache: „Kluge Liebe nimmt die Realität ehrlich und wertschätzend wahr, mit Nähe und mit Distanz. Sie bleibt frei und achtsam. Sie urteilt, aber abwägend und respektvoll. Sie entscheidet mit Leidenschaft, aber ebenso mit Vernunft und Klarheit. Sie gibt etwas von sich und sich selbst für andere. (…) Wer klug liebt, nimmt sich selbst barmherzig an und kann daher Erlösung geschehen lassen.“ (142) Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen Einführung in den Schwerpunkt der nächsten Exerzitienphase und schließt mit einer prägnanten Zusammenfassung, die pointiert, von wem die Initiative ausgeht: „Gott gibt zu denken – darum betreibt der Mensch Theologie“ (14); „Gott pflanzt dem Menschen eine Sehnsucht ein, die ihn zu ihm zieht“ (39); „Gott verabscheut die Sünde, er liebt die Sünder“ (51); „Gott will wirkliche Schuld vergeben“ (56); „Gott bewirkt in der Seele über seinen guten, heiligen Geist Regungen“ (66); „Gott ruft und sendet“ (106) usw. Anders gesagt: Wer den Weg der Exerzitien geht, gibt mit diesen Übungen eine persönliche, glaubende Antwort auf das Tun Gottes.

Es ist Kiechle mit einer ausgezeichneten Leserführung gelungen, eine „hermeneutische Brücke“ über 500 Jahre Distanz zu schlagen und prägnant die Theologie und bleibende Aktualität der ignatianischen Spiritualität zu erschließen. Das Einstimmen in das Lob Gottes ist das Ziel, zu dem die geistlichen Übungen die Gottsucher animieren und führen wollen: „Gott gebührt die Ehre – in Zeiten immer größeren Leistungsdrucks und narzisstischer Selbstbespiegelung hilft diese Perspektive, sich nicht zu sehr über Tun und Besitz und Ehre zu definieren, sondern das Gute Gott zu verdanken und ihn dafür zu ehren.“ (147)

Fazit: Die „Kurze Theologie der ignatianischen Exerzitien“ ist ein gehaltvolles und zutiefst geistliches Buch. Empfehlenswert!

Kurze Theologie der ignatianischen Exerzitien
Würzburg: Echter Verlag. 2021
154 Seiten
16,90 €
ISBN 978-3-429-05667-4