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Ulrich Kropač / Mirjam Schambeck (Hg.): Konfessionslosigkeit als Normalfall
Angesichts des hohen Maßes an Selbstreferentialität, Redundanz und formelhafter Terminologie, die der gegenwärtigen universitären Religionspädagogik sehr häufig anhaftet, soll diese Besprechung eines viel zu umfangreichen Buches mit dem Titel „Konfessionslosigkeit als Normalfall“ dazu dienen, den unter zeitökonomischen Zwängen stehenden, aber dennoch an Fragen des künftigen Religionsunterrichts interessierten Leser auf einzelne inspirierende Aufsätze des Werkes, das als Verschriftlichung eines im Jahr 2021 stattgefundenen Symposions eine Momentaufnahme darstellt, hinzuweisen.
Sehr viel besser als der „Einleitung“ gelingt es dem Schlusskapitel „Thesen in bilanzierender Absicht“, mit denen man die Lektüre beginnen sollte, für die Problematik, der sich Religionslehrer künftig verstärkt ausgesetzt sehen werden und die in Zeiten von Traditionsabbruch und Säkularisierung eine Neukonzeption des schulischen Religionsunterrichts erforderlich machen dürften, zu sensibilisieren: „Das religionsunterrichtliche Handeln steht damit vor der Herausforderung, Schüler:innen zu motivieren, sich überhaupt mit religiösen Deutungen auseinanderzusetzen, deren rationale Dignität anzuerkennen und zu erproben, wohin diese Deutungen zumindest denkerisch führen könnten. […] Die Religionen interessieren nämlich nicht mehr qua se, außer vielleicht noch um einer enzyklopädischen Vergewisserung willen nach dem Motto ‚Wenn man erklären können will, warum der Karfreitag Feiertag in Deutschland ist, muss man wissen, was die Christ:innen an diesem Tag feiern‘. Die Religionen sind vielmehr in einem bildungstheoretischen Sinn nur dort von Belang, wo sie etwas dafür austragen, dass Schüler:innen durch die Auseinandersetzung mit ihnen eine eigene, vernunftverantwortete Position in Bezug auf Religion ausbilden.“ (362f.) Weiterhin ist in diesem letzten Aufsatz der kurze, aber gehaltvolle Rekurs auf Baumerts vier Weltbegegnungsmodi (370) und die im Unterschied zum Religionsunterricht noch weitgehend ausgebliebene Reflexion auf die „Standortgebundenheit im Ethikunterricht“ (372) erwähnenswert.
Auf den circa ersten hundert Seiten verdienen allein die von Harald Schwillus erläuterten „Zahlen und Fakten zu konfessionslosen Schüler:innen in Ost und West“ nähere Betrachtung. In seiner Analyse wird im Anschluss an eine instruktive Tabelle mit „Begriffsdefinitionen von Typen der Konfessionslosigkeit“ (47) gut begründet und mit Blick auf den rein quantitativen Gegensatz zwischen niedriger Konfessionszugehörigkeit und dennoch hoher Teilnahmequote am Religionsunterricht – besonders krass ist dieses Verhältnis in Mecklenburg-Vorpommern: Obwohl nur 18,5% der Gesamtbevölkerung einer Kirche angehören, besuchen im Schuljahr 2017/18 40,6 % der Schüler:innen trotz etabliertem Ersatzfach den Religionsunterricht – dargelegt, warum die Kirchen sich für einen für alle offenen Religionsunterricht engagieren sollten.
In einem solchen einladenden Unterricht gilt es, wie Joachim Willems richtig beschreibt, eine „Quadratur des Kreises“ zu bewältigen: „Damit sich bewusst konfessionslose Personen für den dezidiert konfessionellen Religionsunterricht entscheiden, muss dieser so gestaltet sein, dass in ihm (auch) religiös kommuniziert und damit religiöse Bildung ermöglicht wird (sonst ist es kein konfessioneller Religionsunterricht), zugleich aber die Möglichkeit gegeben bleibt, sich aus religiöser Kommunikation auszuklinken und stattdessen eine religionskundliche Position einzunehmen, von der aus diese religiöse Kommunikation beobachtet wird. Die Lehrkräfte benötigen deshalb, übrigens nicht nur im Umgang mit konfessionslosen Schüler:innen, ein hohes Maß an Sensibilität und Reflexionsfähigkeit mit Blick auf die Unterscheidung zwischen religiöser, theologischer und religionswissenschaftlicher Sprache. Außerdem benötigen sie die Fähigkeit, für die jeweiligen Lerngruppen altersangemessen transparent zu machen, welche Sprachform sie jeweils gerade verwenden und welche Optionen die Schüler:innen haben, sich dazu zu verhalten.“ (124).
Ein weiteres Desiderat für den künftigen Religionsunterricht stellt die Orientierung an der (Religions-)Philosophie dar. Explizit formuliert Ulrich Kropač in seinem eindrucksvollen Plädoyer „Philosophieren im Religionsunterricht“, dass dieser „der Philosophie als Bezugsdisziplin“ bedarf. Nicht zufällig rekurriert er in diesem Zusammenhang auf Rudolf Englerts großartiges Werk „Religion gibt zu denken“ aus dem Jahr 2013. Konkret statuiert diesem Sachverhalt korrespondierend Bernd Schröder in der Antwort auf die Frage „Was der Religionsunterricht vom Ethikunterricht lernen könnte“: „Doch die strenge Schulung des Argumentierens, der zielgerichteten Textarbeit und insbesondere auch des exegetischen sowie hermeneutischen Umgangs mit biblischen Texten gehört unerlässlich zu einem Religionsunterricht“ (231f.). Er wiederum verweist auf die Didaktik des Religionspädagogen Hubertus Halbfas, denn „neben dieser Schulung im Argumentieren soll weder die Befassung mit der Eigenart ‚symbolischer‘ Sprache und damit mit der Eigenart religiöser Sprache noch das Bemühen um vielsinnige Methodik einschließlich performativer Elemente zurücktreten.“ (231)
Verheißungsvoll, aber für den realen Unterricht noch zu konkretisieren sind die Andeutungen, die Klaus König über „Weisheit als Modus religiösen Lernens in der Schule“ zu geben vermag. Ähnliches gilt für René Torklers Gedanken zur „Religion als Ressource“, die auf François Julliens Buch „Ressourcen des Christentums. Zugänglich auch ohne Glaubensbekenntnis“ zurückgehen (welches der Rezensent in Eulenfisch Literatur 1/2021 besprochen hat).
Verknüpft man alle diese hier skizzierten Stränge, ergäbe sich als Desiderat für ein Lehrwerk, das den Anforderungen eines modernen Religionsunterrichts genügt, eine Synthese, die sich an Theologie, Philosophie, Religionswissenschaft sowie Hermeneutik orientiert, eine Kompetenzschulung im Denken, Deuten, Argumentieren intendiert und unabhängig von der weltanschaulichen Positionalität die Schüler zu Dialog, Perspektivenwechsel und zur Wertschätzung anderer weltanschaulicher Standpunkte befähigt. Die vorhandenen Lehrwerke sind leider meilenweit davon entfernt!
Abschließend seien noch kurz die weiteren Aufsätze des Buches genannt, deren Lektüre sich lohnt: Detlev Pollack stellt sehr grundsätzliche „Überlegungen zur Funktion von Religion und Kirche in Deutschland“ an; Michael Kühnlein geht sehr gewinnbringend der Frage nach, „Was der Ethikunterricht vom Religionsunterricht lernen und wie er in der schulischen Praxis von ihm profitieren könnte“; Katrin Bederna empfiehlt dem Ethikunterricht, „dieser sollte […] auch Möglichkeiten eröffnen, zur Reflexion der eigenen Religiosität oder der eigenen religiösen Unmusikalität, der eigenen oder vererbten Konfessionalität oder Konfessionslosigkeit.“ (259) Zu guter Letzt macht sich Sabine Pemsel-Maier für eine „differenzierte Performanzorientierung“ stark: „Das breite Spektrum zwischen Beobachten und Teilnehmen, das vom Wahrnehmen von Religion ohne emotionale Betroffenheit über das affizierende Erleben durch Anschauung bis hin zum Mit-Erleben in Form existenzieller Teilhabe reicht, ist darum auszuschöpfen.“ (334)
Religions- und Ethikunterricht in säkularen Kontexten
Freiburg: Herder Verlag. 2022
383 Seiten
42,00 €
ISBN 98-3-451-39046-3