Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ulrich Lüke: Das Glaubensbekenntnis vor den Anfragen der Gegenwart

Das Ziel des Buches ist eine Auslegung der Glaubensbekenntnisse. Apostolikum und das Bekenntnis von Nikäa-Konstantinopel finden in den Ursprachen und in der deutschen Übersetzung Berücksichtigung. Die meisten Kapitel folgen versweise dem Text, eingestreut sind vier „Fokus“-Kapitel, die Schöpfung, Schuld, Heilsbedeutsamkeit Jesu und Auferstehung noch einmal diskutieren. Hinzu kommt eine Einführung zur Geschichte der Symbola am Anfang und ein Kapitel über die trinitarische Struktur des Glaubensbekenntnisses in der Mitte. So kommt das Buch auf insgesamt 10 Kapitel und 49 Unterkapitel.

Im Kapitel über den Artikel zu Gott, dem Schöpfer, weist Lüke naturwissenschaftliche Entwürfe einer „Theory of Everything“(TOE) zurück, weil hier aus einer nur aus der Religion verstehbaren Einheitssehnsucht heraus Zukunftserwartungen behandelt werden, für deren Einlösbarkeit durch künftige Physik von heute aus gesehen nichts spricht. Das Kapitel, das die Schöpfung in den Fokus rückt, befasst sich mit der creatio continua, die Lüke von dem Begriff der strengen Gegenwart her zu erfassen sucht, um ein Auseinanderfallen des anfänglichen und des ständigen Schöpfungshandelns Gottes zu überwinden.

Das Kapitel über die Dreieinigkeit referiert zunächst die biblischen Anknüpfungspunkte, hebt dann drei Strukturmomente des Dogmas hervor: Es partizipiert so an der Wahrheit, dass es zugleich über sich hinausweist, bleibt auf das schon angebrochene und zugleich ausstehende Heil bezogen und hat seine Heimat im Kommunikationsraum der Kirche. Diskutiert werden die Einheit oder Unterscheidbarkeit von immanenter und ökonomischer Trinität sowie die Anwendbarkeit des Personenbegriffes angesichts seines Bedeutungswandels; in Form einer Tabelle werden trinitätstheologische Häresien benannt sowie mathematische, physikalische, ontologische, anthropologische und soziale Analogien kritisch vorgestellt. Abschließend urteilt Lüke, dass alle Trinitätsspekulation dem Abzahlen eines unbezahlbaren Kredits gleicht, den wir Menschen mit der Formulierung des Trinitätsdogmas aufgenommen haben: Der Mensch könne über Gott nur als Mensch denken und sei deshalb nie mit ihm fertig, sondern bleibe immer Anfänger.

Das abschließende Kapitel „Im Fokus: Auferstehung“ profiliert den Auferstehungsglauben gegen Identifizierungen mit dem Weiterleben des Menschen in seinen Werken und gegen Versuche der künstlichen Lebensverlängerung mit modernen, etwa gentechnischen Instrumenten. Dann referiert und kommentiert er verschiedene Zugänge zum Auferstehungsdogma: Die Ganztodhypothese lehnt er ebenso ab wie alle Begriffsbildungen, die zwischen Körper und Seele eine dritte Instanz wie „Leib“ oder „Gestalt“ einfügen wollen, schließlich alle Vorstellungen einer zeitlich gestreckten Situation zwischen dem individuellen Tod und dem jüngsten Tag, auch die einschlägige Formulierung des Katechismus der katholischen Kirche. Die Lösung Lükes sieht die Auferstehung im Tod identisch mit der Auferstehung am Jüngsten Tag; nur in der Hinterbliebenenperspektive gebe es eine zeitliche Trennung, da im „Jenseits“ keine Zeit mehr vergeht. Materie sei ohnedies nicht identitätsstiftend, da wir uns bei jedem Stuhlgang von Materie trennen und in jeder Mahlzeit andere aufnehmen. So trennen wir uns auch im Tod von etwas, das für unsere Identität keine Bedeutung hat.

Diese drei Gedankengänge habe ich herausgegriffen, um exemplarisch zu zeigen, wie Lüke in den textorientierten und in den Fokuskapiteln vorgeht: Es ist also ganz überwiegend ein dogmengeschichtlich argumentierendes Buch, wobei ich zwischen den einzelnen Kapiteln keinen roten Faden außer dem Text des Glaubensbekenntnisses habe finden können. Schaut man sich das Literaturverzeichnis an, liegt der Schwerpunkt bei Theologen des 20. Jahrhunderts.

Die Auslegung des Glaubensbekenntnisses ist die Aufgabe des Katechismus, der als Lehrbuch der Kirche von hochrangigen Stellen verabschiedet wird. Was braucht man mehr? Der Titel des vorgelegten Buches verspricht eine Auseinandersetzung mit den „Anfragen der Gegenwart“; der Klappentext spricht vom naturwissenschaftlich orientierten Denken. Obwohl Lüke ein abgeschlossenes Biologiestudium hat, kommen dezidiert naturwissenschaftliche Themen nur an den beiden oben erwähnten Stellen vor.

Damit verfehlt das Buch seinen Anspruch, ein „Überblickswissen“ zu vermitteln, denn dazu müsste dem Leser transparent gemacht werden, warum gerade diese Debatten an der Zeit sind und keine anderen und was es dem Rezipienten „existentiell“ nützt, sich den herausgeschälten Sichtweisen anzuschließen. Am Anfang des Buches schildert Lüke anrührend die Begegnung mit einem alten Ehepaar, das sich mit dem gemeinsamen Singen des Glaubensbekenntnisses über eine bedrückende Lebenssituation mit eingeschränkter Wahrnehmungs- und Bewegungsfähigkeit hinwegtröstet. Den alten Leuten hilft, dass sie den Gesang auswendig können; die Argumentationen des vorliegenden Buches würden sie nicht verstehen.

Freiburg: Herder Verlag. 2019
288 Seiten m. s-w Abb.
28,00 €
ISBN 978-3-451-37798-3

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