Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ursula Ulrike Kaiser: Neutestamentliche Exegese kompakt

Die von Ursula Ulrike Kaiser im Vorwort skizzierte Ausgangslage, es gebe „schon genügend Exegesebücher auf dem Markt“, stimmt skeptisch gegenüber dem Mehrwert eines weiteren exegetischen Methodenbuchs zum Neuen Testament. Die seit 2019 an der TU Braunschweig lehrende Professorin für Biblische Theologie betritt jedoch mit ihrem Lehrbuch „Neutestamentliche Exegese kompakt“ Neuland mit der systematischen Integration von jüngsten hermeneutischen und technologischen Umwälzungen innerhalb der exegetischen Fachkultur.

So ist der Arbeit mit neuester Bibelsoftware nicht nur ein eigenes Kapitel gewidmet, sondern es finden sich im gesamten Buch QR-Codes, die Lesende sofort mit E-Books oder Websites versorgen, die für das jeweilige Thema nützlich sind. Der innovative Ausgriff auf das Genre „Methodenbuch“ zeigt sich auch in Anordnung und Schwerpunktsetzung bei den einzelnen exegetischen Methoden. Während sich Lesende, die sich über das Wie und Wozu der Rückfrage nach dem historischen Jesus informieren möchten, mit zwei Seiten und einigen Literaturhinweisen begnügen müssen, wendet sich Kaiser ausführlich synchronen Analyseschritten zu, die den neutestamentlichen Text als Ganzes in den Blick nehmen.

Dazu passt, dass die herkömmlichen historisch-kritischen Methoden erst im „Teil D: Der Text und seine Entstehungsgeschichte“ in vergleichsweise knapper Form eingeführt werden. Ausgangspunkt ist dagegen nach einer kurzen Einführung in Ziel und Inhalt des Buches ein erster Teil A zur Textsicherung, der die textkritische Auseinandersetzung mit den überlieferten neutestamentlichen Handschriften behandelt, die zunehmend Spezialisten überlassen wird. Kaiser betont mehrfach ihr Anliegen, die exegetischen Methoden einem breiten Publikum zugänglich zu machen, und gibt deshalb immer wieder Hilfestellungen für Leserinnen und Leser ohne griechische Sprachkenntnisse. Trotzdem zeigt gerade das Kapitel zur Textkritik die Flughöhe von Kaisers Methodenbuch. Hier werden Lesende zur Benutzung des textkritischen Apparats, Unterscheidung der wichtigsten Handschriften und zum Treffen eigener textkritischer Entscheidungen angeleitet.

Auch die im Teil B („Der Text als Ganzes“) geschilderten Schritte einer grammatischen, semantischen, narratologischen und pragmatischen Analyse bleiben keineswegs bei einem Überblick an der Oberfläche stehen. Kaiser gibt anhand zahlreicher Beispiele aus unterschiedlichen neutestamentlichen Schriften detailreiche Anleitungen zur Textsegmentierung, wortsemantischen Analyse oder zur Analyse der Erzählperspektive, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei der in Teil C vorgestellten Analyse von Gattungen und Traditionen begnügt sich das Lehrbuch ebenfalls nicht mit allgemeingültigen Basics, von denen gerade im Bereich der Wunder- und Gleichnisexegese nicht mehr die Rede sein kann. Kaiser zeichnet hier die aktuellen hermeneutischen Grundsatzdiskussionen kurz nach, die für die Art und Weise der Auslegung entscheidend sind. Nach dem bereits genannten Crashkurs in historisch-kritischer Rückfrage nach dem Textwachstum durch literar- und redaktionskritische Methoden (Teil D) folgt schließlich ein Kapitel zur Rezeptionsgeschichte der neutestamentlichen Texte sowohl im antiken als auch im zeitgenössischen Kontext (Teil E). Abgerundet wird das Lehrbuch mit einem letzten Teil F mit praktischen Hinweisen für das Arbeiten mit Bibelsoftware und das Verfassen einer exegetischen Hausarbeit, wie etwa zur korrekten Angabe von Bibelstellen bzw. deren Parallelen oder zu Spezifika exegetisch-theologischer Bibliografie. Nicht nur hier merkt man, dass der „Sitz im Leben“der Ausführungen der exegetische Alltag der universitären Bibelkunde ist. Wie die Autorin selbst betont, stehen im Hintergrund des Buches die Erfahrungen und der Austausch mit Studierenden und Kolleginnen und Kollegen ausgehend von exegetischen Proseminaren.

Durch den übersichtlichen Aufbau des Buches, das mit hilfreichen Registern und eingängigen Icons bei Hinweisen auf Hilfsmittel oder auf Verknüpfungsmöglichkeiten mit anderen exegetischen Methoden ausgestattet ist, erfüllt es seinen primären Zweck als kompaktes Lehrbuch für Studierende, die sich mit unterschiedlichen Methoden für die eigene Textarbeit etwa im Rahmen eines exegetischen Essays vertraut machen möchten. Gleichzeitig leistet Kaiser durch ihre neue Schwerpunktsetzung und konsequente Berücksichtigung digitaler Möglichkeiten einen Beitrag zur Methodenreflexion innerhalb der exegetischen Zunft.

Eine Einführung in die wichtigsten Methoden und Hilfsmittel
Tübingen: Mohr Siebeck Verlag. 2022
243 Seiten
22,00 €
ISBN 978-3-8252-5984-6

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