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Uwe Wolff: Engel
Der erste Blick auf die opulente Anthologie mag irritieren. Der Einband ist pechschwarz, und an das „G“ des Titelwortes schmiegt sich ein kleines Wesen, das gewiss eher teuflisch denn himmlisch ausschaut. Die Innenseiten des Einbandes wiederum bilden auf jeweils zwei Seiten beide Sphären ab: höchst bewegliche, kleine Engelsgestalten und dunkle, gehörnte „Flecken“, die auf Teuflisches verweisen. Wer den Band studiert, merkt rasch, dass der Autor die ganze, ambivalente Engel-Tradition in den Blick nimmt: die alterslosen Bewohner der Ewigkeit („Engel sind ewige Jugendlichkeit, verbunden mit der Weisheit des Alters“) wie die „gefallenen“ Engel, die man weniger mit „Sphärenmusik“ denn mit Dämonen oder dem Blocksberg verbindet. Diese Anthologie, von A bis Z geordnet, lässt sich als eine Summa des Theologen und Kulturwissenschaftlers entgegennehmen. Für Uwe Wolff, 1955 geboren, wurden Engel zu einem Lebensthema. Er widmete ihnen zahlreiche Werke und Betrachtungen, ist in der Öffentlichkeit immer wieder als eine anregende Stimme zu diesem „flüchtigen“ Thema gefragt. Auch deshalb, weil er glücklicherweise nicht zu einem Engel-Dogmatiker oder Esoteriker wurde. Ja, Engel „gibt“ es und sie „wirken“ auch, so veranschaulicht es der Autor ein ums andere Mal. Aber sie wirken „mit“, wie auch Romano Guardini meinte, „in der Stimme des Gewissens, in den Warnungen des Herzens, im Wort der Freunde, in den Folgen des Tuns, im Sinn der Geschehnisse“. Eine solche Bestimmung lässt vieles offen – und wird womöglich dadurch dem unaufdringlichen Wesen der Engel wie der menschlichen Freiheit gerecht.
Rund 270 Begriffe aus der Welt der Engel wie der Menschen sind in dem Band versammelt. Nach „Altern“ bildet „Angelus“ das zweite Stichwort, das uns zu einer der schönsten christlichen Gebetstraditionen führt; zu dem Engel des Herrn, einem Gebet, das im 13. Jahrhundert entstand, mit dem der Fromme drei Mal am Tag die Gottesmutter Maria grüßt. In einem angenehm lockeren, heiteren Ton, der den Band prägt, merkt der Autor an: „Auch im Medienzeitalter bleibt das Gebet der direkte Draht zum Himmel und die schnellste Möglichkeit der Kommunikation mit Gott. Die himmlischen Server funktionieren immer, kennen keinen Datenstau und keine Überlastung.“
Doch wo Menschen sind und ihre nicht selten katastrophische Geschichte, da kann es nicht nur die „reine Stirn der Engel“ (Gottfried Benn) geben. Bei Paul Klee wie bei Walter Benjamin wird dies deutlich. Häufig suchte Klee unvollkommene Engel-Motive darzustellen („Hässlicher Engel, „Zweifelnder Engel“, „Engel im Kindergarten“), und Benjamin deutete Klees „Angelus Novus“ von 1920, ein Bild, in dessen Besitz er war, als Symbol der Heimatlosigkeit und Ohnmacht: „Der Engel der Geschichte muss so aussehen.“ Wer sich mit Engeln beschäftigt, kann somit zu einer weiteren Linse finden, zu ungewöhnlichen Sichten auf unsere schillernde Lebenserfahrung. Das dichte Netz an künstlerischen, literarischen oder musikalischen Motiven, das der Autor in dieser Anthologie auswirft, ist ja kein Zufall. Verblüffend, dass Wolff neben all den Großen (Dante Alighieri oder, natürlich, Rainer Maria Rilke) auch einen umfangreichen Eintrag zu Karl May präsentiert. „Viele seiner Bücher beschreiben Erlösungsdramen“, stellt Wolff fest und zitiert den Autor von „Winnetou“ mit Sätzen, die fast schon eine Engel-Pädagogik zum Vorschein bringen: „Der Mensch denkt in allen Stücken zunächst an sich selbst, der Engel aber an seinen Schützling. Auch der Mensch tut Gutes, aber er will Dank sehen, der Engel aber niemals!“
Man mag an Engel „glauben“ oder nicht: Die Anthologie inspiriert und macht nachdenklich. Man kann sie als ein anspruchsvolles „Coffee table book“ sehen, zu dem wir immer wieder greifen, um der Schwere der Welt etwas Federleichtes, Beflügelndes zu entlocken.
Mit Illustrationen von Sebastian Rether
Frankfurt / Wien / Zürich: Büchergilde Gutenberg. 2023
360 Seiten mit s-w Abb.
38,00 € (Nur für Mitglieder)
ISBN 978-3-7632-7426-0