Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Volker Reinhardt: Der nach den Sternen griff. Giordano Bruno

Giordano Bruno gilt heute als eine schillernde Gestalt in den Reihen moderner Vordenker. Sein Leben, das auf dem Scheiterhaufen in Rom ein schmähliches Ende fand, ging allerdings erst spät in die Geschichtsbücher über geachtete Persönlichkeiten ein. Seine Zeitgenossen erkannten in ihm nicht weniger als einen Ketzer, der an den Grundfesten des christlichen Glaubens jedweder Konfession rüttelte. Zu den größten Vorwürfen, die im Laufe seines mehrjährigen Inquisitionsprozesses erhoben wurden, gehörten folgende: Leugnung der Trinität und der Transsubstantiation, Bezeichnung Jesu Christi als Schurke, da er nur zum Schein Wunder vollbracht habe, Propagierung unendlich vieler Welten, die Gott stets neu erschaffe, Lehre von der Seelenwanderung, Absage an die Jungfrauengeburt etc.

Brunos deviante Weltanschauung ist bereits in zahlreichen Studien erforscht, in populären Medien verbreitet und das Interesse an seiner Person und seinem Denken durch Neueditionen seiner Werke ungebrochen. Nicht überraschend ist daher die Aufmerksamkeit – um nicht zu sagen Sympathie – des renommierten Frühneuzeithistorikers Volker Reinhardt für diesen von vielen so bezeichneten „Märtyrer der Wissenschaft bzw. der Gedankenfreiheit“. Im aufsehenerregenden Titel seiner quellenbasierten Biographie Giordano Brunos, „Der nach den Sternen griff“, zeichnet er den Lebensweg und seine Reiseroute durch ganz Europa minutiös nach. Gleichzeitig will er Licht ins Dunkel der interesse- und ideologiegeleiteten Überzeichnungen seiner Person bringen. Stattdessen spürt er dem Exzentriker und realitätsfernen Antihelden anhand seiner Schriften im Spiegel des religions- und gesellschaftspolitischen Kontextes nach. In beinahe kriminalistischer Spurensuche bemüht sich Reinhardt um eine möglichst detailgetreue Annäherung nicht nur an die chronologischen Eckdaten von Brunos Leben, sondern liefert auch plausible Einsichten in die dunklen Flecken seiner Reise, die anhand der Quellenlage nur schwer zu ermitteln waren. Dazu vertieft er sich als einer der Ersten in Dokumente des Inquisitionsprozesses, die erst Ende des 20. Jahrhunderts vom Vatikan freigegeben wurden. Diese eher trockenen Gerichtstexte wie auch die oft schwer verständlichen philosophischen Schriften Brunos erweckt Reinhardt in lebendiger Sprache zu einem unterhaltsamen Lesevergnügen.

Die Reise Giordano Brunos, die anhand einer Karte und einer Zeittafel im Anhang anschaulich nachvollzogen werden kann, brachte ihn in die Machtzentren sowohl der Reformation als auch der Gegenreformation. Als Freigeist dem „Irrenhaus“ (58) seines dominikanischen Ordensklosters entronnen, brachte ihn seine Reise von Italien ausgehend in die Schweiz über Frankreich nach England, ins Heilige Römische Reich und wieder zurück nach Italien. Je nach Stätte wechselte er seine Konfession wie seine Kleidung. So präsentierte er sich beispielsweise in Genf als glühender Verfechter des Calvinismus, in Venedig hingegen als treuer Anhänger der römisch-katholischen Kirche – wie es ihm gerade nützlich erschien. Seine Schriften indes, die er auf seiner Reise verfasste und deren Inhalte er an verschiedenen europäischen Universitäten lehrte, offenbaren seine wahre Gedankenwelt in seinen spöttischen, satirehaften, in Kontrasten verstrickten und andererseits begeistert neue Welten heraufbeschwörenden Sprache. Als ihm zusehends ein unrühmlicher Ruf vorauseilte und er daher keine Lehraufträge mehr erhielt, inszenierte er sich bei privaten Unterstützern als Großmeister magischer Künste, die er natürlich nur vortäuschte. Das sollte ihm letztlich zum Verhängnis werden, da er von einem enttäuschten Bewunderer bei der Inquisition denunziert wurde, was ihm den Tod auf dem Scheiterhaufen einbrachte.

Auch wenn Reinhardt mancherorts seiner Bewunderung für den vermeintlich aufgeklärten „Nolaner“, wie er Bruno aufgrund seines Geburtsortes nennt, nicht verhehlen kann, attestiert er der „psychisch instabilen Persönlichkeit“ dennoch „Realitätsverlust“ und „selbstmörderischen Leichtsinn“ (293f). Er sei eine „typische Gestalt des Übergangs“ (322) in wild bewegten Zeiten gewesen, der mit Sorglosigkeit in einem intoleranten geistigen Klima, in dem Denunziationen überspitzt ausgedrückt zur „Christenpflicht“ (254) gehörten, nicht weniger als ein neues Weltbild propagierte. Mit Wortwitz hält Reinhardt fest, dass Bruno sogar Arius, den altkirchlichen Gegner des trinitarischen Gottesbildes, öffentlich in Lebensmittelgeschäften und Buchläden rehabilitierte und „zwischen Mortadella und Pecorino“ verkündete, „dass ein seit mehr als einem Jahrtausend von der Kirche verdammter Erzketzer kein Irrlehrer gewesen, sondern nur falsch verstanden worden sei“ (270). Auch im frühneuzeitlich als eher „liberal“ einzustufenden Venedig, dem vorletzten Ort seiner Lebensreise, von wo aus der Inquisitionsprozess startete, sei dies grenzenloser Leichtsinn gewesen.

Ein Kernaspekt dieser umfangreichen Biographie ist Reinhardts Plädoyer für Wissenschaftsfreiheit, die – so gibt er vielerorts zu bedenken – gerade auch heute wieder angefragt sei, sowohl von allgemeingesellschaftlicher wie wissenschaftlicher Seite. Dies auszusprechen ist so gewagt wie zutreffend, weshalb ihm mit seiner historischen Biographie der Schulterschluss mit der Gegenwart gelingt und er einen wertvollen Beitrag zur Etablierung eines Geschichtsbewusstseins leistet, das nur allzu oft in der heutigen Gesellschaft fehlt. „So betrachtet“, schließt er denn sein absolut empfehlenswertes Buch, „ist der Kampf des Nolaners für Gedanken- und Publikationsfreiheit eine weiterhin aktuelle Mahnung zur Wachsamkeit gegen jede Form der Intoleranz und eine stetige Warnung vor neuen Inquisitionen und ihren nicht minder unduldsamen Wortführern im 21. Jahrhundert“ (322).

Ein ketzerisches Leben
München: C.H. Beck Verlag. 2024
352 Seiten m. s-w Abb.
29,90 €
ISBN 978-3-406-81362-7

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