Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Volker Stelzmann: Panoptikum

Deutsch/Englisch

„Panoptikum“ ist ein treffender Titel für das bildnerische Werk von Volker Stelzmann, entwirft er doch ein geradezu kurioses Kabinett menschlicher Beziehungen. Mit starker Farbigkeit beobachtet er Menschen im Varieté, beim Karneval, in der Großstadt – und schafft ein nur auf den ersten Blick realistisches Szenario. Seine Figuren haben stereotype Gesichtszüge, sind oftmals auffällig gekleidet, ja kostümiert, haben schräge Frisuren und tragen exzentrische Kopfbedeckungen. Verwirrender noch sind ihre Beziehungen zueinander: Verschraubt und verrenkt taumeln und schweben sie unter Missachtung aller Gravitation durch den Bildraum und wirken wie solipsistische Monaden – selbst dann, wenn sie sich eng auf den Leib rücken.

Der Künstler malt in altmeisterlicher Manier mit Ölfarbe (auf MDF) und ist dazu als Zeichner und als Grafiker hervorgetreten. Sein übergreifende Thematik – „Ecce homo“ – hat vielfältige kunstgeschichtliche Bezüge. Der 1940 in Dresden geborene Stelzmann hat an der berühmten „Hochschule für Grafik und Buchkunst“ in Leipzig studiert und dort als Professor unterrichtet. Er gehört somit zur zweiten Generation der „Leipziger Schule“, die der künstlerischen Qualität und einem nicht vordergründigen Realismus verpflichtet ist. 1986 flieht er aus privaten Gründen aus der DDR und wirkt bis 2006 in Westberlin als Professor für Malerei. 

Der selbstkritische Maler, der ohne Modell arbeitet, kennt, wie das Bild „Werkstatt im Herbst“ von 1990 zeigt, die Einsamkeit vor der weißen Tafel. Um sie zu füllen, steht er im kontinuierlichen künstlerischen Dialog mit Größen der Kunstgeschichte. Für Stelzmann sind dies so unterschiedliche Maler wie der Verist Otto Dix (†1969) oder der Manierist Jacopo da Pontormo (†1557); von Matthias Grünewald (†1528), sagt er, könne auch heute niemand unberührt bleiben.

Vor diesem Hintergrund ist es nur zu verständlich, dass sich der Künstler seit 1978 mit der christlichen Ikonografie auseinandersetzt und seine Werke Titel wie „Versuchung“ (des hl. Antonius), „Pietà“, „Kreuzabnahme“, „Abendmahl“, „Auferstehung“, Pfingstbild“ oder „Gericht“ tragen; hinzu kommt das intensive malerische wie grafische Ringen mit der Offenbarung des Johannes. Dabei steht Stelzmann in einer Kette von Künstlern, die auf die traditionelle Ikonografie zurückgreifen, um sie im Horizont eigener Erfahrungen neu zu interpretieren – nicht religiös, sondern metaphorisch bzw. säkular. Für Stelzmann entstehen auf diese Weise „Musterbilder“ (vgl. 95), die an Werke der Tradition anknüpfen, über lange Zeiträume und über politische Systeme hinweg verständlich bleiben und darum noch immer Orientierung geben können. So kann der religiös Unmusikalische in der Passion Christi ein „Musterbild“ für das erkennen, was Menschen einst und heute noch immer anderen Menschen antun. Oder das Stürzen und Aufsteigen, das Stelzmann so sehr mit Pontormo verbindet, kann zum Bild für die eigene Stimmungslage oder für das Unbehagen an Gesellschaft und Politik werden. Der Künstler übrigens komponiert sich in viele seiner Gemälde hinein – und erweist sich als ein unvermeidlich ins Geschehen Verstrickter, ohne damit aber unmittelbare politische Aussagen zu verbinden. 

Hingewiesen ist noch auf eine weitere Facette von Stelzmanns Werk, seine ausdrucksstarken Porträts einerseits und seine knurrigen Selbstporträts andererseits, die einen einsamen und melancholischen, grimmig dreinblickenden Zeitgenossen zeigen, der im persönlichen Gespräch freundlich und humorvoll begegnet.

Das reich bebilderte Katalogbuch „Panoptikum“ erschien anlässlich der beiden Ausstellungen, die das „Osthaus Museum Hagen“ und „DIE GALERIE“ in Frankfurt anlässlich des 65. Geburtstags des Künstlers ausgerichtet haben. Neben einem Interview mit dem Künstler sind insbesondere die Beiträge von Eduard Beaucamp und Kai Uwe Schierz lesenswert, weil sie den Jubilar in kunstgeschichtliche Zusammenhänge einordnen – ohne seinen Bildern, die ja alles andere als eingängig sind, ihr Geheimnis zu nehmen.

München: Prestel Verlag. 2015
160 Seiten m. farb. Abb. 
29,95 €
ISBN 978-3-7913-5487-3

 

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