Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Wilhelm Schmidt-Biggemann: Gott, versuchsweise

Seit geraumer Zeit tauchen aus der Philosophie wieder Publikationen mit „Gott“ oder mit dem „Göttlichen“ im Titel auf dem Buchmarkt auf: Volker Gerhard (Der Sinn des Sinns. Ein Versuch über das Göttliche, 2014) oder Holm Tetens (Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie, 2015), um nur die beiden prominentesten im deutschsprachigen Raum zu nennen (beide in Eulenfisch Literatur besprochen). Nun liegt seit Anfang 2018 mit Wilhelm Schmidt-Biggemann „Gott, versuchsweise. Eine philosophische Theo-Logie“ ein weiterer Titel vor – erneut von einem Berliner Philosophen.

Im Vergleich zu Gerhards Werk tritt dieses Büchlein – wie das von Tetens – deutlich bescheidener auf, nicht nur im Umfang, sondern auch im Anspruch. Es fällt auf, dass alle drei – man möchte sagen: wie es sich wissenschaftlich für diese Thematik geziemt – den Versuchscharakter ihrer philosophischen Überlegungen hervorheben. Während aber Gerhard das ozeanische Ganze des Sinns und Tetens die auf Erlösung hoffende Frage nach Leid und Tod zum Ausgangspunkt nimmt, geht Schmidt-Biggemann von der infiniten Unruhe aus, die Gott in der Kultur des Menschen erzeugt, zumal der monotheistische Gott des Judentums, des Christentums und des Islams. Wohlgemerkt, das philosophische Nachdenken ist hier nicht – wie im 20. Jahrhundert üblich – auf Religion oder Glauben als menschliches bzw. kulturelles Phänomen bezogen, sondern auf Gott bzw. das Göttliche selbst. Was kann eine moderne Philosophie des 21. Jahrhunderts mit dieser transzendenten Bezugsgröße anfangen, mehr noch, mit der personalen Dimension dieses „Gegenstandes“? Um diese Frage geht es – nicht nur um die philosophische Reflexion religiöser bzw. als religiös zu identifizierender Phänomene.

Das Büchlein beginnt nicht mit dem Sinn und auch nicht mit der Hoffnung, sondern – unzeitgemäß zeitgemäß – mit dem Teufel. Dabei rekurriert es ebenso wie die anderen Autoren auf Nietzsche, aber nicht zuerst auf dessen Ironie des Nihilismus, sondern auf dessen Methode der Genealogie. Es erzählt eine „Mustergeschichte“ und entwickelt von dort aus seine „philosophische Theologie“ oder „theologische Philosophie“ in acht ungleichen Schritten: zum Mysterium iniquitatis (I.), zur Theodizee (II.), zur sakramentalen Verwaltung (III.), zum Geheimnis (IV.), zur Mystik (V.), zur Negativen Theologie (VI.) und zur institutionellen bzw. konfessionellen Kirchlichkeit (VII.), zusammengefasst schließlich in einem nicht abschließenden, sondern weitere Fragen aufwerfenden „Finale“ (VIII.). Durch diese acht Abschnitte hindurch arbeitet sich der Autor immer wieder vor allem an Leibnitz ab und hält seiner Gotteslogik die Ungereimtheiten des christlichen Gottesglaubens entgegen. Mit den Seiten werden Schmidt-Biggemanns Ausführungen zunehmend bruchstückhaft, bis hin zu unfertigen Halbsätzen und losen Zitaten.

Die Erwartungen, die das Büchlein am Anfang weckt, werden am Ende nicht eingelöst. Es lässt einen ziemlich ratlos zurück. Es mag philosophisch, insbesondere für die Epoche der Aufklärung und ihre Folgen bis heute, erhellend sein und durchaus das eine oder andere Fundstück auch für den Religionsunterricht bereithalten, erreicht aber nicht das Problemniveau der Gottesfrage in der gegenwärtigen Philosophie. Theologisch bleibt es auf die – sicherlich abendländisch prägenden – christologischen und soteriologischen Konzepte von Augustinus und Anselm von Canterbury beschränkt. Die Theologie verfügt jedoch über Alternativen, über die philosophisch nachzudenken sich lohnen würde. Es gibt ernstzunehmende Kritik an einer Sündenfalltheologie und einer Theologie der konditionierten Erlösung. Der biblische Heilsuniversalismus eines um seine ganze Schöpfung werbenden Gottes eröffnet darüberhinaus Spielräume, die für die Philosophie eine andere Herausforderung bedeuten würden als die Verteidigung einer bestimmten „schwer verdaulichen Kost“ (140) der Kirche, zumal der in diesem Fall mit der römisch-katholischen Konfession identifizierten Kirche. Nach dem 2. Vatikanischen Konzil soll der Prüfstein des christlichen Gottesglaubens das Wohl aller sein, in der kommenden Welt, aber auch schon in diesem Leben, in Kooperation mit den Menschen anderer Organisationen, Religionen und Kulturen. Von der anspruchsvollen Weite dieses Blicks hätte Schmidt-Biggemanns Büchlein philosophisch profitiert.

Eine philosophische Theo-Logie
Freiburg: Herder Verlag. 2018
134 Seiten
18,00 €
ISBN 978-3-451-38123-2

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