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Wolfgang Beinert: Die Form der Reform
Ecclesia semper reformanda, die Kirche bedarf ständiger Reform. Wenn sie bleibt, wie sie ist, bleibt sie gerade nicht, was sie ist. Doch was ist eigentlich das Ziel aller Kirchenreform? Der renommierte Theologe, Professor em. für Dogmatik und Dogmengeschichte, glaubt die Antwort zu kennen. Jedenfalls weiß er, wo man suchen muss: im Wesen der Kirche. Wer die Kirche reformieren will, muss wissen, wozu sie da ist.
Und tatsächlich, Wolgang Beinert hat beinahe sein ganzes Forscher- und Gelehrtenleben mit dieser Frage nach dem Sinn und Zweck von Kirche zugebracht: in seiner Dissertation (1964) ebenso wie in seiner Habilitation (1973) und in vielen einzelnen Beiträgen, Untersuchungen und Vorträgen. Kirche ist kein Selbstzweck. Kirche ist nicht für sich selbst da. Sie ist dazu da, das Wort Gottes weiterzugeben: damit die Welt glaube!
Was das heißt, legt Beinert in einer schonungslosen Analyse dessen vor, wie sich heute Kirche präsentiert. Es mangelt heute vielfach an Wahrhaftigkeit, an Katholizität auch, das Wort verstanden im Sinne von Universalität, und es mangelt – last but not least – an Empathie. Der unbedingte Wille zur Wahrhaftigkeit setzt Wahrheit voraus, den Glauben vor allem an den, der von sich behauptet hat, er sei der Weg, die Wahrheit und das Leben (vgl. Joh 14,6). Hier gelte es nicht nur ,mit jedweder Heuchelei und Doppelmoral in der Kirche aufzuräumen, Klartext zu reden und für Transparenz zu sorgen, sondern auch die Freiheit (107-126) der Kinder Gottes zu leben: in der Kirche selbst („Demokratie und Kirche“, 127-135; „Wer hat das Sagen in der Kirche?“, 148-153; „Kirchengehorsam“, 186-203) wie auch in der Gesellschaft. Der Mangel an Katholizität kann nur in einer radikalen Universalität überwunden werden. Sie räumt auf mit der Dichotomie von Klerus und Laien, revidiert den Klerikalismus und fördert die Synodalität und die allseitige Dialogbereitschaft („Die Reform der Kirche und ihr Staatsverhältnis, 136-147; „Das Gottesvolk …“, 204-228). Die Kirche ist in Christus „gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innerste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1).
Beinert beobachtet aber gerade hier erhebliche Defizite. Er spricht von einem erschreckenden Mangel an Empathie in der Kirche. Die Themen „Zölibat und Sexualmoral“ zeigen es exemplarisch. Gerade hier gelte es, den Vorrang der Liebe zu beachten. Das dürfe keineswegs als Votum gegen den Zölibat verstanden werden. Im Gegenteil: Beinert betont, dass er ihn sehr schätze. Er sei „ein Geschenk Gottes an seine Kirche“. Doch stehe außer Frage, dass das Junktim von Zölibat und ordo, also die Tatsache, dass „der Zölibat die unbedingte Voraussetzung für die Ordination von Priestern und Bischöfen“ (86) sei, einen Mangel an wahrhafter Empathie darstelle: nicht nur den Priesteramtskandidaten, sondern auch der Gemeinde gegenüber. Schließlich werde der eklatante Priestermangel durch dieses Junktim nicht behoben, sondern im Gegenteil noch forciert; und zwar mit der schlimmen Folge, dass „die Eucharistie nicht mehr hinreichend bezüglich Ort und Anzahl vollzogen werden“ könne. So gerate die „Ecclesia in Not: Sie verhungert elend“ (86).
Auch die geltende Sexualmoral sei von einem erschreckenden Mangel an Empathie gekennzeichnet. In einem „Schnelltest“ (87-104), der sich auf das praktische und theoretische Grundverhältnis der Kirche zur Leiblichkeit der Menschen bezieht, sucht der Verfasser nachzuweisen: „Wenn es irgendwo der Erneuerung bedarf, dann ist es in der Thematik Sex und Liebe.“ (100) Dabei zeigt sich: Beinert argumentiert aus der seelsorglichen Praxis, die er neben seiner Profession als Ordinarius für Dogmatik immer auch gepflegt hat. Die Theologie des Leibes nach Johannes Paul II. aber wird – wie so oft im deutschen Sprachraum – auch von ihm vollkommen ausgeblendet. Schade, denn so kennt er offensichtlich auch nicht den neuesten Argumentationsstand, der inzwischen auf der Linie der Theologie des Leibes international erreicht wurde. Hier schlägt Beinert Schlachten von vorgestern.
Dafür setzt er sich intensiv mit dem „Ordinationsverbot für Frauen“, besonders mit dem Apostolischen Schreiben Ordinatio Sacerdotalis (nicht Sacerdotalis ordinatio!) von Johannes Paul II., auseinander (141-147). Auch hier liege ein erschreckender Mangel an Empathie den Frauen gegenüber vor. Überhaupt werde hier „nicht theologisch, sondern biologisch und kulturell begründet“ und so „dem allgemein verbreiteten patriarchalischen Denken voll“ entsprochen (146).
Auch wenn Beinert die sattsam bekannten Forderungen der Altvorderen nach „Frauenpriestertum“, Aufhebung der Verpflichtung geistlicher Amtsträger zum Zölibat und nach Änderung der Sexualmoral fordert, so lohnt sich doch die Lektüre. Sie lohnt sich allein schon deshalb, weil der Autor dank seiner gründlichen ekklesiologischen und dogmengeschichtlichen Expertise immer wieder auf das verweist, wozu die Kirche da ist: den Menschen das Wort Gottes zu bringen. Ein „Gelehrter alter Schule“, ein umfassend gebildeter Kenner der Kirche und der Theologiegeschichte erinnert – in meisterhafter Prosa, spannend serviert und nicht ohne Humor – an das, was im Eifer des Gefechts um die Erneuerung der Kirche oft vergessen wird: dass die Kirche nur durch jene Kräfte erhalten wird und Zukunft hat, die sie ursprünglich ins Leben gerufen haben, omne regnum iisdem mediis continetur, quibus conditum est.
Anmerkungen zur Lage und Lehre der Kirche
Regensburg: Friedrich Pustet Verlag. 2024
239 Seiten m. s-w Abb.
24,00 €
ISBN 978-3-7917-3548-1