Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Wolfgang Reinbold: Koran und Bibel. Ein synoptisches Textbuch für die Praxis

Wolfgang Reinbold, apl. Professor an der Fakultät für evangelische Theologie der Universität Göttingen, hat beim renommierten Vandenhoeck & Ruprecht Verlag ein inhaltsstarkes – und mit 966 Seiten und einem Gewicht von mehr als 1700 Gramm sehr voluminöses – „synoptisches Textbuch für die Praxis“ vorgelegt. Daher sollen sowohl der Inhalt als auch die Praxistauglichkeit des Buches besprochen werden, wobei sich ein Vergleich mit den üblichen Synopsen biblischer und koranischer Texte anbietet, die sich in der Praxis gut bewährt haben. Hierzu greife ich auf das beim Katholischen Bibelwerk 2007 in zweiter Auflage erschienene Textbuch „Von Adam bis Muhammad: Bibel und Koran im Vergleich“ von Stefan J. Wimmer und Stephan Leimgruber zurück.

Während Wimmer/Leimgruber thematisch geordnete Texte aus Koran, Bibel und den wichtigsten biblischen Apokryphen in deutscher Übersetzung nebeneinander präsentieren, entscheidet sich Reinbold für den durchlaufenden kompletten Korantext, dem neben biblischen Vergleichstexten und biblischen Apokryphen weitere patristische, jüdische und islamische Traditionstexte sowie Umwelt-Literatur der Spätantike beigegeben sind. Wer also z.B. die unsystematisch verstreuten Aussagen zu Jesus im Koran mit ihren biblischen und außerbiblischen Bezugstexten vergleichen will, muss bei Reinbold zuerst in das Register schauen und die zahlreichen Fundstellen in den Suren einzeln nachschlagen. Sein Buch beschränkt sich dabei auf die Zusammenstellung der Texte, ohne dass diese durch Kommentare oder Erläuterungen eingeordnet werden. Bei Wimmer/Leimgruber schlägt man dazu das Kapitel „Jesus“ auf und erhält die wichtigsten Textauszüge synoptisch zusammengestellt, die durch ein einleitendes Kapitel kurz kommentiert und gegenüber den weniger prominenten Stellen im Koran eingeordnet werden. Andererseits erhält man bei Reinbold zu einem wichtigen Text wie der Geburt Jesu (Sure 19:22-28) nicht nur wie bei Wimmer/Leimgruber den bekannten Bezugstext aus dem Apokryphon des Ps.-Matthäus, sondern zusätzlich spätantike Umwelttexte und islamische Hadithe (Aussprüche Mohameds) mit traditionellen Auslegungen des Koranverses. Dies ist insbesondere für den Islamischen RU oder in religiös gemischten Lerngruppen mit muslimischen Schülerinnen und Schülern eine nützliche Hinzufügung.

Reinbolds Auswahl der Bezugstexte folgt dem aktuellen Stand der Koranforschung, wobei natürlich jede Form der Auswahl aus der schier unüberschaubaren Anzahl von Hadithen persönliche Präferenzen erfordert. Herauszuheben ist die Sorgfalt, mit der Reinbold die deutschen Übersetzungen der Texte ausgesucht hat. Die Hadithe und der Koran werden in der deutschen Wiedergabe des arabischen Christen Adel Theodor Khoury dargeboten, die als eine der kundigsten Übertragungen gilt und auch bei muslimischen Fachwissenschaftlern viel Anklang findet. Eine besondere Schwierigkeit ist es aber, deutsche Übersetzungen der zahlreichen apokryphen und spätantiken Bezugstexte zu finden, die gleichzeitig lesbar und fachwissenschaftlich vertretbar sind. Hier wird in der Synopse nur die Spitze des Eisbergs einer jahrelangen kenntnisreichen Beschäftigung mit Texten und Versionen deutlich – und dafür gebührt Reinbold Anerkennung.

In der Fülle der Bezugstexte liegt eine Besonderheit ihrer Darstellung im Buch. In der Mittelspalte jeder Seite wird ein Abschnitt des deutschen Korantexts wiedergegeben, darunter das arabische Original in Form einer Transliteration – einer Wiedergabe des arabischen Korantextes mit den Buchstaben des lateinischen Alphabets und zahlreichen zusätzlichen Sonderzeichen – und wiederum darunter eine Korankonkordanz in Form von Stellenangaben und -verweisen, die sich auf einzelne Verse oder auf den ganzen Abschnitt beziehen können. Bleibt dann noch Platz, so können auch in der Mittelspalte bereits außerkoranische Bezugstexte erscheinen, die sich ansonsten auf die beiden äußeren Spalten verteilen. Dabei werden biblische Bezugstexte, außerbiblische Apokryphen, patristische und jüdische Traditionstexte, spätantike Umweltliteratur und Hadithe in gleicher Formatierung, Schriftgröße und Farbe dargestellt. Ihre Identifizierung geschieht zu Ende des Textes durch Kurztitel, Verfasser oder Abkürzungen. Wer also die Begriffe Exodus Rabba 5 und Ex 4,10 oder Tirmidhī nicht sicher zuordnen kann (Beispiel von 690), der muss blättern und im Verzeichnis der „Abkürzungen, Verweise und Fundorte“ (ab 933) suchen. In den Außenspalten finden sich weiterhin in eckigen Klammern notierte Zahlen, welche auf Surenverse mit intertextuellen Bezügen verweisen. Reinbold selber weist darauf hin (937), dass das Buch ob dieser Komplexität nicht für den Einsatz im Unterricht, sondern für die Lektüre theologisch gebildeter Personen im interreligiösen Dialog gedacht ist. Im schulischen Handlungsfeld geht es also wohl vor allem um die Unterrichtsvorbereitung der Lehrkräfte, die hier für ihre selbst erstellten Arbeitsblätter aus einem wohl sortierten Fundus von relevanten Texten in ausgesucht guten Übersetzungen schöpfen können.

Aber hierfür, man möge es mir verzeihen, werden sich heute nur noch die wenigsten Lehrkräfte ein Buch zum Preis von 55 € anschaffen. Seitdem die Berliner Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth ihr Projekt Corpus Coranicum (https://corpuscoranicum.de/de) barrierefrei ins Netz gestellt hat, mit dem Reinbold seine Textauswahl abgeglichen hat (Vorwort VIII), ist der Markt für solche Bücher leider sehr eingeschränkt. Im Corpus Coranicum findet sich ein freier Zugang zu allen bisher genannten Texten und Traditionsbezügen mit Ausnahme der Hadithe. Die koranischen Bezugstexte werden fortlaufend ergänzt und bei Neuausgaben oder Neuübersetzungen aktualisiert. Diese reichhaltigere und immer aktuelle Auswahl, die zusätzliche Varianten und Lesarten des Korantextes bietet, wird durch einfaches Anklicken eines Surenverses aufgerufen. Man kann je nach Bedarf es also entweder mit dem üblichen Korantext und wenigen zusätzlichen Informationen bewenden lassen oder aktiv eine Fülle von Bezugstexten und Einordnungen aufrufen. Diese mediale Darbietung ist mittlerweile methodisch gewohnter als der Textspaltenvergleich in einer gedruckten Synopse. Für viele Suren ist im Corpus Coranicum weiterhin ein exegetischer Kommentar abrufbar.

Unterm Strich: Für den „schnellen“ Einsatz im Unterricht bleibt der Wimmer/Leimgruber aufgrund seiner Kompaktheit und Übersichtlichkeit und aufgrund der beigefügten Erklärungen das einfacher zu verwendende Buchmedium. Für die Unterrichtsvorbereitung und als Textbasis für selbst erstellte Arbeitsblätter hingegen hat Reinbold die bessere, weil inhaltsstarke, umfänglichere und mit sorgsam ausgesuchten Textübersetzungen versehene Synopse vorgelegt. Dies gilt für die deutsche Koranübersetzung auch gegenüber dem Corpus Coranicum, denn die von Neuwirth ausgewählte deutsche Übersetzung von Rudi Paret ist fachwissenschaftlich zwar sehr anerkannt, aber ästhetisch wenig zugänglich. Angesichts der sonstigen Vorteile des digitalen Portals hat Reinbold mit seinem schönen Buch wohl den Schwanengesang herkömmlicher gedruckter Koransynopsen geliefert.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Verlage. 2022
XXVII und 938 Seiten
55,00 €
ISBN 978-3-525-63413-4

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