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Wolfgang Treitler: Jesus, Josefs Sohn. Der Messias als Tor des Bundes
Schon der erste Satz dieser umfangreichen Studie zeigt, dass es dem Autor nicht um theologische Glasperlenspiele geht: „In den vergangenen drei Jahrzehnten trafen mich mehrmals Augen von Überlebenden der Schoa.“ Die Verfolgungsgeschichte der Juden, die in der Schoa kulminierte, bleibt auf den folgenden 900 Seiten präsent, auch wenn Wolfgang Treitler, der in Wien Fundamentaltheologie betreibt, zuvörderst die christliche Spitzenaussage – Jesus ist der Christus, Messias und Sohn Gottes – zu bedenken sucht. Dieses Bekenntnis wurde zum unterscheidend Christlichen, zum Ausgrenzenden auch. Vor allem gegenüber den Juden, die post Christum keine messianische Wende zu erkennen vermochten, das Bekenntnis somit nicht teilten; die zudem recht bald als Antichristen, als „Gottesmörder“ gar, diffamiert wurden. Die tragische Geschichte des Volkes des ersten Bundes, des Volkes Jesu, nahm ihren Lauf. Angesichts dieser „messianischen Misere“ fragt Treitler, ob das dogmatische Bekenntnis, speziell auch das der Konzilien des 4. Jahrhunderts, aufrechterhalten werden kann. Wenn seine Antwort eine verneinende ist, so geschieht das auf dem Hintergrund einer intensiven Betrachtung der christlichen Theologiehistorie. Diese nahm in dem jüdischen Prediger und Heiler Jesus von Nazareth den verheißenen Messias wahr, erhob ihn nach und nach in den Rang eines Gottessohnes. Treitler sieht darin einen Sieg des Paganen gegenüber dem Jüdischen; einen Sieg, der zudem in den Dienst der weltlichen Mächte gestellt werden konnte.
Man könnte meinen, dass dieses epochale Stück Geistesgeschichte bereits unzählige Male – mit unterschiedlichen Akzentsetzungen – erzählt worden ist. Das Besondere dieser Studie ist die Alternative, die Treitler entwickelt. Nicht das triumphale „davidische“ Messias-Konzept entspreche dem Leben und Schicksal Jesu, vielmehr das kleinere, das man „josephinisch“ buchstabieren kann. „Das legt sich durch eine kleine, aber gewichtige talmudische Referenz nahe, in der sich in einer Haggada plötzlich ein dramatischer messianischer Prozess aufspannt.“ Die Zuschreibung Sohn Josefs lässt sich vordergründig auf das Josef-Motiv im Matthäusevangelium zurückführen, in der biblischen Tiefe aber auf den Josef der Genesis, den Sohn Jakobs und „Träumer“, den ein wildes Geschick nach Ägypten bringt, wo er sich hellsichtig bewährt und nach und nach zu einer führenden Gestalt seines Volkes wird: „Er kennt Leiden, die ihn bis an die Grenze des Todes brachten, und er kennt Augenblicke der Erhebung, die er seinen Fähigkeiten dankt, Träume zu deuten, weil er selbst ein Mensch der Träume war, gegen Verzweiflung und Untergang gewandt.“ Die Anknüpfung an die Josef-Tradition berichtet in der von Treitler aufgegriffenen Talmudstelle – Sukka 52a – vom Tragischen. Dennoch gerät sie dort in einen messianischen Zusammenhang, was für den Wiener Theologen den Vorteil hat, dass sie das Messianische nicht abschließt, vielmehr dynamisiert. „Jesus, Josefs Sohn“ wäre dann eine bleibende jüdische Spur; ein Moment in der Heilsgeschichte, das die Tatsache ernst nimmt, dass es kein „Ende der Geschichte“ gegeben hat, dass man das Leiden der Welt nicht durch allerlei postmessianische „Sublimierungen“ wegerklären kann und auch nicht sollte.
Der Rezensent dieser weitausholenden – auch abgründigen – Studie muss an vielen Stellen tief Luft holen. In gewichtigen Punkten mag er Wolfgang Treitler Recht geben, dort vor allem, wo es um das zu bewahrende jüdische Erbe wie um die menschliche Leidensgeschichte geht. An ebenso gewichtigen Stellen aber möchte er von „seinem“ Jesus nicht ablassen. Vom österlichen Jesus vor allem, dem der Fundamentaltheologe nicht viel zuzutrauen scheint. Hier möchte sich der Rezensent weiterhin an Paulus orientieren, der die Spannung von Kreuz und Ostern aufrechterhält; für den Jesu österlicher Sieg stets ein gekreuzigter Triumph ist. Die Geschichte ging nachösterlich weiter, in Herrlichkeit wie in furchtbarem Leiden. Doch davon spricht das Christentum in seinem Kern. Die Hinweise Wolfgang Treitlers freilich auf die rasche und nicht selten opportunistische Distanzierung der Christen von ihrer Mutterreligion, auf die „hellenistischen Vermessenheiten“ im Dogmatischen auch, bleiben gültig.
Paderborn: Brill | Schöningh Verlag. 2023
915 Seiten
99,00 €
ISBN 978-3-506-79178-8