Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Yassir Eric: Wir müssen reden, bevor es zu spät ist

So wie die Lektüre von Reiseführern über Deutschland, die von Autoren aus dem Ausland verfasst wurden, für den deutschen Leser immer wieder die eine oder andere – durchaus erhellende – Überraschung enthält, kann es intellektuell sehr anregend sein, die Perspektive der nach Deutschland Eingewanderten und hier heimisch Gewordenen in ihrem schriftstellerischen Wirken zu rezipieren. Dies kann, insbesondere bei dem Thema Migration, Asyl und Integration, einerseits dazu führen, die Wünsche und Bedürfnisse der „schon länger hier Lebenden“ als auch der „neu Hinzukommenden“ wahrzunehmen, andererseits aber auch dazu, Positionen, die dem gesunden Menschenverstand entspringen, jedoch nicht dem akademischen und journalistischen Mainstream entsprechen, zu ihrem Recht zu verhelfen.

Allein durch den Titel seines Buches, „Wir müssen reden, bevor es zu spät ist. Über radikalen Islam, Integration und unsere Ideale“, macht der Autor Yassir Eric deutlich, dass es ihm nicht um Polarisierung, sondern um Verständigung und Dialog geht, einen Dialog allerdings, in dem auch unangenehme Wahrheiten formuliert und so manche Axiome der sogenannten Migrationswissenschaften einem Faktencheck unterzogen werden.

Die Autorität von Yassir Erics Stimme verdankt sich den ausgewogenen Debattenbeiträgen, die er in seinen Vorträgen und mit seinen Veröffentlichungen abgibt, seinen profunden Kenntnissen über den Islam, den Nahen Osten sowie seinen Heimatkontinent Afrika, seiner Tätigkeit als Leiter des Europäischen Instituts für Integration, Migration und Islamthemen, aber ganz besonders seiner Biographie, die er ausführlicher in seinem Erstlingswerk „Hass gelernt, Liebe erfahren“ geschildert hat: Aufgewachsen in einer politisch einflussreichen Familie in Khartum, der Hauptstadt des seinerzeit noch ungeteilten Sudan, wurde Eric in jungen Jahren zur Unterweisung in den Koran an einen einsamen Ort in der Wüste geschickt, wurde durch die Prägung seines Umfelds dazu verleitet, einen Mordanschlag auf einen christlichen Klassenkameraden zu verüben, konvertierte selbst zum Christentum und studierte evangelische Theologie.

Erics Anliegen ist nun nicht der schriftstellerisch umgesetzte zornige Abschied von seiner früheren Religion, im Gegenteil: „Als evangelischer Theologe möchte ich nicht die bereits bestehenden Gräben vertiefen, sondern ein Brückenbauer zwischen den Religionen sein und zwischen den Kulturen vermitteln. Mein Ansatz gegenüber Muslimen ist Wertschätzung und nicht Abrechnung. In jeder Muslima sehe ich meine Schwester, in jedem Muslim meinen Cousin oder meinen Vater“. Eine solche Darstellung, die „keine wissenschaftliche Abhandlung“ sein will, vielmehr Empfehlungen zum gelingenden Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen geben möchte und vom Geist der Völkerverständigung und des interreligiösen Dialogs getragen ist, darf es sich erlauben, den Finger in die Wunde zu legen, und sich darum bemühen, gegenwärtige Diskursverengungen aufzubrechen. „Legitime Islamkritik“, so der Autor, darf nicht mit „Islamophobie“ gleichgesetzt werden; der Autor lehnt diesen Terminus auch deshalb ab, „weil er Ängste als krankhaft und völlig unbegründet hinstellt.“

Ein zu diesem klugen Realismus und Differenzierungsvermögen passendes Beispiel, das in politischen Diskussionen gern als Racial Profiling verurteilt wird, liefert Eric auf den ersten Seiten seines Buches: „Immer wieder, wenn ich in einem Zug nach Paris oder Zürich sitze, kommt die Grenzpolizei und will von mir als Einzigem im Abteil den Pass sehen. Fühle ich mich in solchen Situationen unwohl? Absolut! Sehe ich hinter dem Verhalten der Kontrolleure latenten Rassismus? Nein. Wenn Polizisten auf der Suche sind nach Menschen, die illegal einreisen, liegt es aus ihrer Sicht nahe, aus Zeitgründen nur die Menschen zu kontrollieren, die offensichtlich einen Migrationshintergrund haben und die europäisch aussehenden Reisenden außen vor zu lassen. Ich mache mir klar, dass die Beamten auch nur ihren Job erledigen müssen, und entscheide mich bewusst, mich nicht schnell als Opfer zu sehen.“

Es sind solche Episoden, biographische Details, psychologische und soziologische Reflexionen, insbesondere aber die zahlreichen Exkurse zur Lehre des Islam bzw. der diversen Richtungen in ihm, die Erics Buch zu einem flüssig lesbaren und dennoch erkenntnisreichen Erlebnis machen. Es ist hervorragend geeignet als Ganzschrift im Ethik- und Religionsunterricht ab der 10. Jahrgangsstufe; die Anschaffung eines Klassensatzes für die Schulbibliothek dürfte sich als sinnvolle Investition in Bildung erweisen.

Über radikalen Islam, Integration und unsere Ideale
München: bene! 2023
240 Seiten
20,00 €
ISBN 978-3-96340-124-4

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