Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
„Staurothek“ Limburg Foto: Werner Baumann

Die Limburger Staurothek

Religionsunterricht im Kontext von Theologie, Geschichte und Kunst

Mit jedem Kreuzfest gerät die Limburger Staurothek ins Bewusstsein der Menschen im Bistum. Dann wird ihr Schatz, eine der größten Kreuzreliquien der Christenheit, feierlich den Menschen gezeigt und verehrt. Der kostbare Aufbewahrungsort, die Staurothek (Stauros – Kreuz; Theke – Lade), bleibt dabei freilich im großen Tresorraum des Diözesanmuseums, wohin die Kreuzreliquie später wieder zurückgeführt wird. Dort bilden beide den Mittelpunkt des Museums als frömmigkeitsgeschichtlicher und kunsthistorischer Schatz des Bistums.

Die Reliquie

Im Mittelpunkt der Betrachtung und Erschließung der Staurothek steht die Kreuzreliquie. Sie ist, wie jede Reliquie, ein Erinnerungsstück oder Überbleibsel, hier aus der Passionsgeschichte des Jesus von Nazareth. Sie ist ein Stück von jenem Kreuz, an dem Jesus gestorben ist und als solches von den Menschen hoch- und wertzuhalten.

Nicht nur im religiösen Kontext sind uns solche Erinnerungsstücke bekannt, wir kennen sie auch aus unserem profanen Alltag: die Brille des geliebten Großvaters, ein Kleidungsstück der Urgroßmutter, die ersten Schuhe unserer Kinder, unsere eigenen ersten Haarspangen oder Kinderlocken usw.

Im Raum der Religion – nicht nur in der römisch-katholischen Kirche, auch in der Orthodoxie, im Judentum und Islam – werden solche Erinnerungsstücke z.B. an einen berühmten Rabbi, an Mohammed usw. aufbewahrt und verehrt. Verehrt wird dabei nicht das Ding, sondern vielmehr die gemeinte Person. Die Reliquie verweist also auf die Menschlichkeit und Geschichtlichkeit der Person, die dahinter steht, aber auch darauf, dass unser Glaube keine Kopfgeburt, sondern lebendige historische Wirklichkeit ist. Das bezeugen uns auch all die, die vor der Reliquie einstens beteten und heute noch beten.

Die Staurothek

Die Limburger Kreuzreliquie befand sich bis Anfang des 13. Jahrhunderts am kaiserlichen Hof in Konstantinopel. Sie besteht aus sieben millimeterdünnen Brettchen vom Holz des Kreuzes, die auf ein Trägerholz aufgebracht sind und in einer Ummantelung aus Goldblech stecken, die Kaiser Konstantinos VII. zwischen 945 und 959 anfertigen ließ. Er ließ auch die kostbare Lade als Aufbewahrungsort der Reliquie herstellen, deren Bildschmuck aus Email zu dem Kostbarsten gehört, was wir aus dieser Zeit besitzen.

Der Deckel der Lade ist mit neun figürlichen Emails und mit Edelsteinen besetzt. Die Emails zeigen in der Mitte Christus als wiederkommenden Weltenrichter in kaiserlichem Ornat auf dem Thron sitzend. Ihm zur Seite stehen Maria und Johannes der Täufer, beide ebenfalls in kaiserlichen Gewändern. Neben ihnen stehen die Erz
engel Michael und Gabriel als ihre Leibgarde. In der oberen und unteren Reihe sind auf sechs Emails die Apostel je zu zweit als Hofbeamten zu sehen. Der Deckel der Kreuzlade bildet also den „Kaiser“ samt seinem kaiserlichen „Hofstaat“ ab. Das Innere der Lade ist, seitlich neben der Kreuzreliquie, geschmückt mit Emails, die die Engelshierarchien zeigen: die vierflügeligen Cherubin und die sechsflügeligen Seraphim und die als Soldaten gekleideten Erzengel bewachen die Kreuzreliquie.

Wie aber kam die Staurothek nach Limburg in den Domschatz? Bis zum vierten Kreuzzug (12021204) nämlich befand sie sich im kaiserlichen Palast in Konstantinopel in der dortigen Reliquienkapelle. Konstantinopel wurde gegen den Willen des Papstes Innozenz III. von den Kreuzrittern überfallen und verwüstet. 1207/1208 gelangten Teile der kaiserlichen Reliquien, unter ihnen die Staurothek, nach Trier und von dort in das Augustinerinnenkloster in Stuben an der Mosel, wo sie bis 1782 verborgen blieb. In der Säkularisation 1802/03 kam sie in den Besitz des Herzogs von Nassau, der sie 1835 dem seit 1827 bestehenden Bistum Limburg schenkte. Seitdem wird die Staurothek in Limburg aufbewahrt und die Reliquie dort verehrt.

Die Kreuzlegende

Die Geschichte vom Hl. Kreuz, die neben dem Turiner Grabtuch, dem Hl. Rock in Trier und dem Vera Ikon (= wahren Bild Jesu) in Rom zu den bedeutendsten Jesusreliquien zählt, wird in der sogenannten Kreuzlegende in der Legenda Aurea des Jacobus de Voragine (um 1230- 1298) erzählt („Von des hl. Kreuzes Findung“ – Kreuzauffindung am 3. Mai sowie „Von dem hl. Kreuze als es erhöhet ward“ – Kreuzerhöhung am 14. September).

Die Legende erzählt, Kaiserin Helena, die Mutter Kaiser Konstantins, habe bei einer Pilgerfahrt ins Heilige Land das Kreuz des Herrn entdeckt und durch ein Wunder beglaubigen lassen. Schließlich hätten die Perser das Kreuz Christi geraubt. Der byzantinische Kaiser Heraklius habe das Kreuz nach Jerusalem zurückgebracht, konnte aber hoch zu Pferd das Stadttor nicht durchreiten, weil ein Engel das Tor verschlossen hielt. Erst als er vom Pferd stieg und barfuß das Kreuz trug, konnte er in die Stadt einziehen.

Der Frankfurter Kreuzaltar von Adam Elsheimer

Eine der schönsten Bildsetzungen der Kreuzlegende lieferte der Frankfurter Maler Adam Elsheimer (1578-1610). Sein Kreuzaltar ist ein kleiner Hausaltar in sieben Bildern, der im Städel Museum in Frankfurt gezeigt wird und zu den Kostbarkeiten dieses Museums gehört. Ab 1600 hält sich Elsheimer in Rom auf, wo der Altar wohl 1603/1605 entstanden ist. Im Mittelpunkt des Altares steht die Erhöhung oder himmlische Verehrung des Kreuzes durch die Heiligen des Neuen und Alten Testamentes. Im Bildhintergrund ist die Krönung Mariens im Himmel zu sehen. Um dieses zen
trale Bild gruppieren sich die weiteren Bilder zum Thema. Sie sind allesamt klein (z.B. 14,8 cm x 15,8 cm) auf versilbertes Kupfer in Öl gemalt.

Elsheimers Altar ist ca. 600 Jahre nach der Entstehung der Staurothek in Konstantinopel und ca. 400 Jahre nach deren Überbringung nach Stuben entstanden. Er feiert in seinem Mittelbild das Kreuz, an dem Jesus von Nazareth hing, in einzigartiger Weise. Er schildert weiter die Einschiffung Helenas zur Pilgerfahrt nach Jerusalem, die Befragung eines Juden nach dem Versteck des Kreuzes, die Grabung nach dem Kreuz und seine Auffindung, die Probe der Echtheit des Kreuzes durch ein Wunder, der Versuch des Kaisers Heraklius das Kreuz nach dessen Raub durch die Perser auf einem Pferd nach Jerusalem zu bringen und seine Pilgerschaft in Demut durch das Stadttor von Jerusalem mit dem Kreuz auf der Schulter.

Während die Staurothek die Kreuzverehrung im Kontext der Kaiserliturgie zeigt und fordert (von der historischen Auffindung des Kreuzes spricht sie nicht), so zeigt Elsheimers Altar die Kreuzverehrung im Kontext der himmlischen Aufrichtung und Erhöhung des Kreuzes und seiner Verehrung durch die Heiligen im Himmel, aber auch die Geschichte der Auffindung des Kreuzes zur Beglaubigung der Erhöhung. Dass Elsheimer dabei auch mit dem barfüssigen Kaiser dessen Herrschaft relativiert, ist eine schöne Korrektur der herrschaftlichen Staurothek in Limburg. Beide Werke der Kreuzverehrung reflektieren und gestalten die Kreuzesfrömmigkeit sehr unterschiedlich, jedes Werk aber auf einem sehr hohen Niveau theologischer und künstlerischer Gestaltung. Während man in Konstantinopel die dingliche Repräsentanz des Kreuzes in den Vordergrund stellte, feierte man in Rom die Kreuzauffindung und -erhöhung. Genau darin werden die unterschiedlichen theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Haltungen der Kirche Konstantinopels und der römischen Kirche deutlich.

Religionsunterricht: Staurothek, die Kreuzreliquie, die Kreuzlegende und die Kunst

Die Staurothek, die Kreuzreliquie in Limburg und das Kreuzfest können Anlass sein, im Religionsunterricht das Thema Kreuz aufzunehmen. Ergänzt um die Passionsgeschichten der Evangelien und die paulinische Theologie bietet es Anlass genug, die Frage nach dem identitätsstiftenden Zeichen der Christen zu stellen und zu besprechen. Dabei kann deutlich werden, dass das Kreuz nicht „nur“ als „Symbol“ zu verstehen ist, sondern als Jesu Marter- und Todeswerkzeug eine reale Wirklichkeit hat, die für die Christen von Anbeginn und nach Helenas Kreuzauffindung sowie Kaiser Heraklius‘ Kreuzerhöhung historisch besonders wirksam war. Das Kreuz ist für die Christen – so paradox es klingt – das historisch begründete Heilszeichen schlechthin. Deshalb werden auch kleinste Teile bis in unsere Tage verehrt. Für diese Verehrung ist die kaiserliche Staurothek und ihre Kreuzreliquie in Limburg ein künstlerisches wie theologisches Ausnahmestück: Es verkündet den am Kreuz den Verbrechertod gestorbenen Jesus von Nazareth als den Herrscher der Welt.

Einen zweiten großen Themenkreis bilden die Kreuzzüge, insbesondere der vierte Kreuzzug, in dessen Folge die Staurothek über Trier ins Kloster Stuben gelangte. Mit der Auflösung dieses Klosters, der Überbringung der Staurothek auf die Feste Ehrenbreitstein und ihres Besitzerwechsels im Gefolge der Säkularisation (Reichsdeputationshauptschluss 1803) ergibt sich die Möglichkeit, auf die Geschichte der Gründung des Bistums Limburg 1827 und die Schenkung der Staurothek an das Bistum 1835 durch Herzog Wilhelm von Nassau einzugehen.

Die Limburger Kreuzreliquie kann Anlass sein, über das Thema Reliquien und Reliquienverehrung im Religionsunterricht zu arbeiten. Zahlreiche weitere bedeutende Reliquien und Reliquiare im Bistum – z.B. die Reliquien des Apostels Bartholomäus im Frankfurter Dom, die des Hl. Lubentius in Dietkirchen und die des Hl. Valentins in Hattenheim – liefern vielfältige Anschauung und reichlich Gesprächsgelegenheit. Dabei geht es um das Problem, den Glauben zu repräsentieren und zur Anschauung durch die Zeit hindurch zu bringen. Die Frage der Echtheit solcher Reliquien ist eine typisch neuzeitliche Frage, die sich im Mittelalter so nicht stellte, weil sich Wirklichkeit über Bedeutung konstituierte und damit anders rechtfertigte.

Auf diesem Hintergrund ist auch die Kreuzlegende zu beurteilen. Sie ist, obgleich in ihr historische Personen handeln – Helena, Konstantin, Heraklius – historisch nicht zu verifizieren und spielt dennoch bis in unsere Zeit ihre Rolle als Legitimation für die Verehrung der Kreuzreliquien. Dazu tragen auch die Bilder bei, die auf dem Hintergrund dieser Legende in der Kunstgeschichte entwickelt worden sind.