Der Eulenfisch
Zur Erinnerung ein wenig Exegese in eigener Sache
Was ist eigentlich wichtiger, die Eule oder der
Fisch? Lange waren sie getrennt, bis sie im Eulenfisch
ihren biologisch-spirituellen Qualitätssprung getan
haben. Aber eins nach dem anderen. Erstens die Eule:
Erst in der Dämmerung erhebt die Eule der Minerva
nach einem berühmten Dictum von G.W.F. Hegel ihre
Schwingen. Der Vogel der Weisheit ist ein Nachtvogel.
Wenn alle Tagesgeschäfte ruhen, ist die Stunde der Reflexion
gekommen: Die Eule dreht den Kopf nach hinten:
Was war heute? Was davor? Reflexion durchläuft
in ganzer Konsequenz die Zeit. Blickt sie zurück, findet
sie erst bei Alpha, dem Anfang von allem, ihren letzten
Halt. Dreht sie, wie Eulen das so gut können, den Kopf
um 160 Grad nach vorne, fragt sie nach morgen und
übermorgen, aber auch diesmal gibt es vor Omega, dem
Ende von allem, keinen natürlichen Halt. Glaukopis
Athene, lateinisch Minerva, ist die eulenäugige Göttin
der Weisheit. Sie steht für die Vernunft.
Unsere Pointe besteht in der Behauptung, dass es
nicht nur in Athen, vor und nach Sokrates eine Aufklärung,
eine Hochkonjunktur der Vernunft gegeben hat,
sondern auch im alten und neuen Israel: die biblische
Aufklärung. Im Monotheimus Israels zeigt sich erstmals
in der Religionsgeschichte der Menschheit der
nicht selbstgemachte Gott. Die biblische Aufklärung
setzt sich daher ab von den Gottheiten, die sie als Verlängerung
menschlicher Interessen und Wünsche als
selbstgemacht entlarvt hatte. In Jesus, dem Fleisch gewordenen
Logos, findet sie ihren Höhepunkt.
Der Fisch, das geheime Erkennungszeichen der frühen
Christen, fasst diesen Höhepunkt zusammen in
dem Bekenntnis: Jesus Christus Gottes Sohn, Retter.
Und nun werden Eule und Fisch von einem einzigen
Blutkreislauf erwärmt. Fides et ratio, Glaube und Vernunft
finden in einem Wappentier zusammen, dem Eulenfisch.
Die Frage nach Fisch und Vogel und wer von
beiden wichtiger ist, ist verschwunden.
Eine Entdeckung in Ephesus
Das berühmte Kryptogramm oder Akrostichon der frühen
Christen freut alle Kinder. Gerade für sie haben Geheimzeichen
ihren eigenen Reiz. Was Kinder reizt, muss
auch Religionslehrern gefallen.
Wie kommt es, dass der Fisch zum Geheimzeichen
der frühen Christen wurde? Erst mit Konstantin wurde
es ja den Christen möglich, öffentlich aufzutreten.
Vorher waren sie verfolgt und lebten im Untergrund.
Einerseits wollten sie eine „gute Nachricht“ verkünden
und andere für Christus gewinnen, andererseits war
es lebensgefährlich, sich zu einer Bewegung zu bekennen,
die von der Staatsgewalt als bedrohlich angesehen
wurde, weil sie sich weigerte, dem Kaiser als Gott zu
opfern. Da war Intelligenz gefragt.
Wir müssen unsre Phantasie nicht besonders anstrengen,
um uns Situationen auszumalen, bei denen
das Geheimzeichen des Fisches zum gegenseitigen Erkennen
führt. Wie kann einer zu erkennen geben, dass
er ein Christ ist, ohne das Risiko sich zu verraten? Da
malt einer, scheinbar zufällig, einen kreisförmigen Bogen
in den Sand.
Wenn sein Gegenüber dann ebenfalls einen Bogen
von der anderen Seite dagegensetzte, erschien der Umriss
eines Fisches und die Sache war klar, der andere
war auch ein Christ.
Reagierte der andere nicht, dann hatte man, gedankenverloren,
scheinbar ohne sich dabei etwas zu denken,
einen gebogenen Strich auf den Boden gekritzelt.
Die Sache war also ziemlich ohne Risiko.
Wieso aber wird der Fisch zum Erkennungszeichen?
Die Antwort: Weil die Anfangsbuchstaben des griechischen
Wortes für „Fisch“, Ichthys, die Abkürzung eines
knappen aber kraftvollen Bekenntnisses zu Christus
ergeben. Das sieht so aus:
Diese Geschichte ist inzwischen ziemlich bekannt.
Das Fischzeichen ist weit verbreitet. Es erscheint auf
Druckwerken, T-shirts und als Autoaufkleber. Im Eulenfisch
ist es enthalten, hier kommt dann als besondere
Pointe noch der Vogel der Weisheit dazu. Unser Wappentier
steht für die Einheit von Glauben und Vernunft.
Kaum bekannt und eigentlich sensationell ist die
Entdeckung, dass das Ichthys-Akrostichon auch in einer
anderen Variante existierte. In Ephesus findet sich
in einem christlichen Kontext in Stein gemeißelt das
folgende Zeichen:
Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Rad mit
Speichen, kann ebenfalls in das Wort „Ichthys“ aufgelöst
werden. Das geht so:
Jetzt müssen aber die Kirchenhistoriker zunächst
einmal klären, ob diese Geschichte etwas mit dem
Mainzer Rad zu tun hat, das ja genauso aussieht und
plötzlich mit einer ganz neuen Bedeutung aufgeladen
wäre. Seit wann gibt es dieses „Wappen“, erscheint es
schon im frühchristlichen Mainz? Weiß man in Mainz
um die Möglichkeit, es als Akrostichon zu lesen?
Die Forschung geht weiter!
Zur Person
Eckhard Nordhofen
ist Honorarprofessor für theologische
Ästhetik und Bildtheorie an der
Justus-Liebig-Universität Gießen.