Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung
The Dark Knight (USA/GB 2008, Regie: Christopher Nolan) Heath Ledger © Warner Bros. Pictures / Cinetext

Sympathy for the Devil?

Die Theologie und die Religionspädagogik scheuen den Teufel wie der Teufel das Weihwasser. Doch gerade in der Primarstufe sollte der Teufel und mit ihm das Phänomen des Bösen zur Sprache gebracht werden.

Problemanzeige

Die moderne Geistesgeschichte
kennzeichnet eine Verwissenschaftlichung
des Umgangs mit
dem Bösen und eine damit einhergehenden
Betrachtung, die das
Böse relativiert, entradikalisiert,
ja sogar euphemisiert. Es erfährt
eine stetige Verlagerung aus dem
menschlich Verantwortbaren heraus,
sodass es entmoralisiert und
auf vom Einzelnen nicht zu verantwortende
Ursprünge reduziert
wird. Die „modernen Genealogen
der Moral” (Anton Hügli) verlegen
das Böse weit ab von der persönlichen
Freiheit des Menschen in
das Triebschicksal, die Gattungsgeschichte
und die Gesellschaft.

Wegen dieser Anstrengungen
um eine sozialpsychologische und
evolutionsbiologische Deutung und
der damit verbundenen Verharmlosung
des Bösen ist es kaum verwunderlich,
dass die Humanwissenschaften
das sittliche Böse und die
eigene Schuld als natürlichen Teil
der menschlichen Verfassung angesehen
haben. In der Konsequenz
wird Schuld und Sünde nicht mehr
als eine aus dem freiheitlichen Akt
hervorgegangene schuldhafte Tat
verstanden, sondern auf ein Vergehen
reduziert, das sich aus der
menschlichen Natur ableiten lässt.
Durch diese „Normalisierung“ entschwindet
das Ärgernis der Sünde
und verliert das Böse seine
„schlechthinnige Sinnlosigkeit”
(Jörg Splett).

Verdrängung und Gegenwart des Mythos

Aus dieser Perspektive erschließt
sich ein erster Aspekt, der die Rede
vom Bösen erschwert. Die Fähigkeit,
das Böse wahrzunehmen, schwindet
und verliert seine Position als
das „Nicht-zu-Rechtfertigende”
(Paul Ricoeur): sei es durch die Argumentation,
dass der Mensch von
Natur aus zum Bösen neigt, also
dass Gott eine Welt wollte, in der es
das Böse gibt; oder sei es dadurch,
dass die neuzeitliche Theodizee
das Böse in der Welt zu relativieren
versuchte und so Grundlage für die
„Entübelung der Übel“ (Odo Marquard)
bot. Karl Rahner sieht in
der Reduktion des Bösen auf eine
allgemeine Absurdität des Daseins
die Flucht in eine falsche Harmlosigkeit.

Ein zweiter Aspekt betrifft die
diesem Denken fremde Rede von
einem personalen Bösen. Der Teufel
als Personifikation der „radikalen
Außenheit des Bösen” (Paul Ricoeur)
hat seit Beginn der Neuzeit
zunehmend an Glaubwürdigkeit
verloren. Während er in bestimmten
aufklärerischen Kreisen bereits
früh als überkommenes Traditionsgut
und Teil einer mittelalterlichen
Fabelwelt betrachtet wurde, blieb
er bis ins 20. Jahrhundert vor allem
im Volksglauben lebendig. Dadurch
erhielt das Festhalten an der Wirklichkeit
des Teufels den negativen
Beigeschmack, Merkmal einer nicht
aufgeklärten religiösen und moralischen
Bildung zu sein.

Hinzu kommt drittens die Kritik
am ungeschickten und höchst defizitären
Umgang der Kirche mit der
Lehre vom Teufel, was sich in religionspädagogischen
Situationen
in der Instrumentalisierung des
Teufels als Verstärkungsmoment
in der moralischen Erziehung ausdrückte.
Die Kritik an einer solchen
katechetischen Praxis wollte eine
notwendige Korrektur des unangemessenen
Umgangs mit der mythischen
Erzählung bewirken, schoss
jedoch über ihr Ziel hinaus und förderte
eine nicht minder problematische
Behandlung des Mythos.

Im Zuge der europäischen Aufklärung
wurden symbolische Sprache
und mythische Geschichten als
vorwissenschaftliche und defizitäre
Weltzugänge disqualifiziert.
Dieses Denken tritt beispielsweise
im heutigen Sprachgebrauch des
Wortes Mythos zu Tage, wenn man
davon spricht, dass es sich nur um
einen Mythos handelt. So kann es
nicht verwundern, dass die Rede
vom moralischen Bösen als eine dem
Menschen und Gott entgegengesetzte
Wirklichkeit in Person des Teufels
als ein nicht zu vermittelndes altertümliches
Artefakt erscheint.

In seinen Studien über den Mythos
und dessen wissenschaftstheoretische
Implikationen versuchte
der Philosoph Kurt Hübner zu zeigen,
dass es nicht die Vernunft geben
kann und Wissenschaft nicht
ein genaueres, sondern vielmehr
ein anderes Bild der Wirklichkeit
zeichnet. In seiner Arbeit über die
Rationalität des Mythos zieht er
das Fazit: Unser aufgeklärtes und
wissenschaftliches Zeitalter ist in
Wahrheit weder rationaler noch
vernünftiger als andere; es ist nicht
auszuschließen, dass Mythisches
wieder allgemein erlebbar und erfahrbar
werden kann.

Erwin Reisner formulierte 1947
in seinem Werk „Der Dämon und
sein Bild”, dass der abendländische
Mensch meinte, die Dämonen überwunden
und ihr Nichtvorhandensein
endlich erkannt zu haben. Aber
er hat sie tatsächlich nur in der
Weise überwunden, wie einer das
Licht überwindet, der sich selbst
die Augen aussticht. Demnach verschließt
sich der Mensch einer ihm
stets ausgesetzten Wirklichkeit,
die sich umso wirkmächtiger im
Leben zeigen kann. Reisner bezieht
sich dabei nicht auf die bloße Außenheit
des Bösen. In seinem Werk
weist er stattdessen vor allem auf
die aus dem Innern des Menschen
wirksamen Kräfte hin, die in der
durch die Aufklärung eingeengten
Perspektive auf das Selbst aus dem
Blick geraten sind.

In seiner Schrift „Die Würde des
Menschen” betont Bernhard Welte,
dass selbst durch heftigste gesellschaftliche
Verdrängungen der Mythos,
das heißt die ursprünglichen
religiösen und integrativen Kräfte
des Menschen, sich niemals ganz
unterdrücken lässt. Er stellt die
These auf, dass der heutige Mensch
auf zwei sich fremdgewordenen
Ebenen lebt: der bewussten, rationalen
und der verdrängten, religiösmythischen
Welt. Jeder Mensch
bedarf der zweiten Welt, um seiner
Sehnsucht nach Sinn und nach
Integration seiner Existenz in das
Ganze zu begegnen. Jeder sucht
nach Antworten, die ihm Wissenschaft
und Technik nicht bieten
können; mit wachsender wissenschaftlicher
Erkenntnis vergrößert
sich die Fragwürdigkeit. So konstatiert
Leszek Kolakowski, dass mit
dem Verschwinden des ursprünglichen
religiösen Bewusstseins und
dem Untergang des Mythos nicht
zu rechnen ist.

Konsequenzen

„Allein die Menschen sind nicht
besser dran. Den Bösen sind sie
los, die Bösen sind geblieben” lässt
Goethe Mephistopheles im „Faust“
sprechen und ablehnend auf die
Begrüßung der Hexe reagieren,
wenn diese ihn mit Junker Satan
anspricht. Satan als die personifizierte
dunkle Macht des Bösen von
damals hat sich der Menschheitsentwicklung
äußerlich angepasst:
„Auch die Kultur, die alle Welt beleckt,
/ Hat auf den Teufel sich
erstreckt (…)”. Mephistos Worte
machen deutlich, dass ihn der kulturelle
Wandel nur „beleckte”, sein
Wesen davon aber unbehelligt
blieb. Erschien er dem Menschen
zuvor als der Satan, so zeigt er sich
nun in vielen Variationen.

Das Böse tritt dem modernen
Menschen nicht mehr in Form einer
mythischen Urgestalt entgegen,
sondern verflüchtigte sich in
Systeme und Prinzipien; mit der
Konsequenz, dass es durch seine
Abstraktheit noch schwerer
zu fassen ist. Reisner drückt es drastisch aus; für ihn ist der Teufel
damit dem Menschen allzu nahe gerückt,
gar in den Menschen hinein:
„Was früher vor den Augen stand,
hat sich sozusagen hinter ihnen
einquartiert. (…) [Damit war der
erkennbare Feind nicht mehr der
Teufel,] sondern eine Doktrin, die
sich des Menschen bemächtigte,
die ihn besessen hielt und ihm als
Auswirkung seines eigenen Willens
vorgaukelte, was er tatsächlich als
blindes Werkzeug in den Händen
der Dämonen verrichten musste.”

Bereits aus den wenigen, hier
angeführten Beobachtungen erscheint
es nicht ratsam, die Frage
nach dem Bösen aus religionspädagogischen
Prozessen fernzuhalten
oder mit vorschnellen Lösungen
stillzulegen. Vielmehr sollte an
folgende Aspekte der katholischen
Lehre von der Sünde und der Rede
vom Teufel angeknüpft werden:

• daran, dass der Mensch als ein
von Gott gut und frei geschaffenes
Geschöpf stets Opfer und
Täter sündhafter Strukturen ist;

• an Erfahrungen, in denen Menschen
sich als Verursacher von
Leid selbst fremd werden und in
der Tat sich nicht mehr selbst erkennen
können;

• an Empfindungen des in Versuchung-
geführt-Werdens von
einer von sich selbst verschiedenen
Kraft, deren Ursprung
nicht ergründbar und die in der
mythologischen Gestalt des Teufels
gebündelt ist.

Die Erzählung um den Engelssturz
und die Gestalt des Teufels
verlagert die für den Menschen
letztlich nicht klärbare Frage nach
der Herkunft des Bösen und kann
in letzter Konsequenz ebenso keine
Antwort geben. Wenn sie keine pervertierte
Auslegung erfährt, liegt
ihre Leistungskraft in der Vermittlung
von menschlichen Unheilserfahrungen
mit unhintergehbaren
Offenbarungsinhalten.

Fazit

Was folgt daraus für den religionspädagogischen
Vermittlungsprozess?
Bereits früh kommen Kinder
mit der sprachlichen Unterscheidung
zwischen „gut“ und „böse“
in Kontakt. In erzieherischen Situationen
fällt schnell die Phrase:
Das ist böse! Sie ist Ausdruck für
eine nicht akzeptable Handlung
oder einen Zustand aus Sicht des
Erziehenden. Ferner kommen Kinder
über Geschichten oder Erzählungen
in Kontakt mit „gut“ und
„böse“. Sie prägen starke Bilder,
wie die der bösen Hexe oder der
guten Großmutter, welche mit den
beiden Deklarationen verbunden
werden. Nicht nur die klassischen
Märchen thematisieren das Böse,
auch Inhalte moderner Medien
greifen dieses Ringen auf. Die bis
ins Erwachsenenalter anhaltende
Popularität der produzierten archaischen,
mythischen und dualistischen
Bilderwelten zeugt von
der Orientierungsbedürftigkeit des
Menschen, nachdem traditionelle
Sinnangebote als überkommen
empfunden werden.

Daraus ergibt sich für Religionspädagoginnen
und Religionspädagogen
eine zwiespältige Ausgangslage:
Einerseits ist zu vermuten,
dass die Thematisierung der mythischen
Erzählung um den Teufel
im Religionsunterricht aus der Befürchtung,
Ängste zu schüren, auf
wenig Gegenliebe bei Eltern und
Pädagogen stößt. Die Schülerinnen
und Schüler (SuS) befinden sich
andererseits in einem Meer medialer
Produkte, die in einer mythologischen
Sprache von dem Bösen
sprechen. Bereits Grundschülern
ist diese Sprachwelt keineswegs
fremd und es nicht verwunderlich,
wenn der Teufel als Unterrichtsthema
von den Kindern selbst aufgeworfen
wird (Anton A. Bucher).

Diese Befunde weisen darauf
hin, dass eine bedeutsame Thematik
vorliegt. Ein Religionsunterricht,
der sich der Rede vom Bösen
verschließt, verpasst die Möglichkeit,
sich den Fragen der SuS zu
stellen. Gerade nicht aufgegriffene
Fragekomplexe erzeugen Leerstellen,
die im Heranwachsen gefüllt
werden wollen. Geht der Religionsunterricht
auf diese Bedürfnisse
nicht ein, suchen sich Kinder und
Jugendliche andere Deutungsangebote.
Unzählige Alternativen sind
dabei in der heutigen Medienlandschaft
auszumachen. Problematisch
ist dabei, dass Medieninhalte
unbewusst und unreflektiert Eingang
finden, unverarbeitet wirken
wie Fremdkörper und Ängste hervorrufen
können. Außerdem verdecken
viele Medienangebote die
existentiell bedeutsame Dimension
der Frage nach dem Bösen. Sie geben
vermeintliche Antworten durch
dualistische und undifferenzierte
Mythen und zerstreuen offengebliebene
Fragen durch inhaltsleere
Ästhetik. An dieser Stelle, so diagnostiziert
Michael Albus, waltet
das Böse in den Medien, die einer
geschlossenen, künstlich-medialen
Wirklichkeit jeden Blick auf die
Transzendenz und die Fragen im
Angesicht von Leid verwehrt.

Eine Aufgabe des Religionsunterrichts
muss es daher sein, die
Schülerfragen nach dem Bösen
ernst zu nehmen. Das bedeutet, beispielsweise
im Rahmen eines offenen
Unterrichtsgesprächs mehr
über die Fragen und die bisherigen
Deutungsmuster der SuS zu erfahren;
dabei anklingende Ängste müssen
aufgearbeitet werden, so dass
sie sich sprichwörtlich „ein Bild
vom Bösen” machen können. Durch
eine kreative Gestaltung wird Fragestellungen
und theologischen
Überlegungen Raum gegeben, die
ansonsten nicht in Sprache gefasst
werden könnten. Kindern wird die
Möglichkeit gegeben, je nach persönlicher
Lebenssituation und
den zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben
dem Bösen selbst
Gestalt und inhaltliche Schwerpunkte
zu geben. Ihnen werden
dadurch keine Fremdvorstellungen
aufgenötigt, die aufgrund entwicklungsbedingter
Bedingungen nicht
verarbeitet werden könnten.

Die Lehrkraft bedarf der Kompetenz,
in der Gesprächssituation
flexibel auf Schüleräußerungen zu
reagieren und weiterführende Gedankenimpulse
anzubieten. Das zu
verfolgende Ziel liegt darin, entwicklungs-
und persönlichkeitsgerechte
Antwortmöglichkeiten zu
erarbeiten – und vor allen Dingen
Bilder für die österliche Botschaft
von der Befreiung vom Bösen zu
entwickeln, denn Gott hat den Menschen
nach seinem Fall nicht aufgegeben.